Berlin. Der Grüne wird Vizekanzler, der Liberale erbt das Finanzministerium. Warum Konflikte zwischen den beiden bereits vorprogrammiert sind.

Auf dem Selfie, das kurz nach der Wahl den Beginn der neuen Allianz zwischen Grünen und FDP markierte, waren Christian Lindner und Robert Habeck sich sehr nah. Mit identisch offenem, vorsichtig optimistischem Gesichtsausdruck guckten sie da in die Kamera, die ersten Beobachter sahen schon ein „Traumpaar“ der deutschen Politik entstehen. Doch jetzt, da das Projekt Regierungsbildung gelungen ist, sieht es danach nicht mehr aus.

Aller Voraussicht nach wird Olaf Scholz in wenigen Tagen zum mächtigsten Mann in Deutschland gewählt. Habeck und Lindner nehmen dann seine derzeitigen Rollen ein. Habeck wird ihm als Vizekanzler folgen, Lindner übernimmt Scholz’ bisherigen Job als Finanzminister.

Verhältnis von Habeck und Lindner könnte über Erfolg der Regierung bestimmen

Welches Verhältnis die beiden zueinander entwickeln, kann über den Erfolg der neuen Regierung entscheiden. Finden sie einen Weg, an einem Strang zu ziehen, kann sich in vier Jahren Ampel-Regierung viel bewegen. Blockieren sie sich gegenseitig, kann das Fortschrittsprojekt, das diese Koalition sein will, krachend scheitern. Dann droht, was Grüne und FDP bei der großen Koalition stets von der Seitenlinie kritisiert hatten: endloses Gekabbel, das Aufwiegen von Erfolgen und Bewegung nur in Trippelschritten.

Robert Habeck (Grüne, links)  wird Olaf Scholz als Vizekanzler folgen,  Christian Lindner (FDP) übernimmt Scholz’ bisherigen Job als Finanzminister.
Robert Habeck (Grüne, links) wird Olaf Scholz als Vizekanzler folgen, Christian Lindner (FDP) übernimmt Scholz’ bisherigen Job als Finanzminister. © dpa | Michael Kappeler

Auf dem Papier haben der Grünen-Chef, 52, und der FDP-Vorsitzende, 42, wenig Gemeinsamkeiten. Auf der einen Seite der promovierte Literaturwissenschaftler, der Bücher schrieb und vergleichsweise spät in die Politik kam, auf der anderen Seite der Politikwissenschaftler, der schon mit 21 im Landtag saß.

Doch beide sind machtbewusst, beide gelten als eitel. Während Olaf Scholz auch in der Ästhetik eine Präferenz für eine gewisse trockene Sachlichkeit pflegt, inszenieren sich Habeck und Lindner gern mal auf eine Art, die die üblichen Bahnen der Politiker-Bildsprache verlässt (Lindner schwarz-weiß im Unterhemd, Habeck als Pferdeflüsterer im Gras).

Beide haben dafür nicht wenig Spott auf sich gezogen. Vor allem aber: Beide sind unangefochten die wichtigsten Männer in ihren Parteien – und mit der Bildung der Ampel-Koalition auf dem vorläufigen Höhepunkt ihrer Macht angekommen.

Ampel: Die Grünen hadern mit dem verlorenen Verkehrsressort

Doch an dieser Stelle enden die Gemeinsamkeiten. Denn Grüne und FDP gehen mit sehr unterschiedlichen Gefühlen aus diesen Koalitionsverhandlungen.

Lindner und seine Liberalen konnten bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags großzügig Lob verteilen, vor allem an die SPD und ihren künftigen Kanzler. Hatten sie doch ihre wichtigsten Punkte durchgesetzt und gleichzeitig viele symbolische grüne Herzensanliegen wie das Tempolimit oder die Abschaffung fossiler Subventionen verhindert.

Die Grünen dagegen – qua DNA ohnehin eine Partei, die zur Selbstkasteiung neigt – hadern schon jetzt. Vor und nach der Bundestagswahl hatten sie betont, dass die SPD eine Art natürlicher Partner ist. Doch in den Gesprächen hatte mancher Verhandler den Eindruck, sich einer rot-gelben Allianz gegenüber zu sehen. Oder zumindest: einer SPD, die ihnen im Zweifel nicht beisprang.

Vor allem der Verlust des Verkehrsministeriums sorgt für vernehmbaren Frust der Grünen-Basis. Und dass der designierte Minister Volker Wissing schon vor Amtsantritt vor zusätzlichen Belastungen für Dieselfahrer gewarnt hat, dürfte nicht dazu beitragen, die Gemüter zu beruhigen.

Mindestens ebenso schwierig für das Gelingen des grünen Großprojekts Klimaneutralität ist aber das Finanzministerium in Lindners Händen. Denn die Entwöhnung der viertgrößten Wirtschaftsnation von fossilen Brennstoffen wird viel Geld kosten – und ob die grün regierten Ressorts für Wirtschaft, Umwelt und Landwirtschaft das bekommen, entscheidet am Ende der FDP-Chef.

Nicht umsonst hatte auch Habeck versucht, den Posten für die Grünen zu reklamieren. Er weiß, wie entscheidend das Ressort ist, wenn es um die konkrete Umsetzung von Politik geht.

Ampel-Koalition: Viele Projekte haben noch kein Preisschild

Es half nichts – die FDP blieb hart, das Finanzministerium ging an Lindner. Trotzdem gibt sich Habeck optimistisch: „Wir wissen genau, was wir wollen. Wir wissen genau, wie wir’s bezahlen“, sagte er bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags. Details verraten die Partner darüber allerdings nicht.

Egal, ob beim extrem ambitionierten Ziel des Ausbaus der erneuerbaren Energien, bei der Dekarbonisierung der Industrie oder bei der Förderung von Schienenverkehr – fast nirgends hängt ein konkretes Preisschild dran. Die Konflikte zwischen den beiden zweiten Männern sind vorprogrammiert.

Ob sie eskalieren, hängt auch davon ab, wie sich Olaf Scholz verhält. Bislang macht es den Eindruck, als versuche der SPD-Mann, ähnlich wie zuletzt Angela Merkel, in seiner Rolle als Kanzler ein wenig über den Niederungen des Betriebs zu schweben und höchstens moderierend einzugreifen. Ob sich das durchhalten lässt, ist fraglich.