Berlin. Afrika galt in der Corona-Pandemie lange als Sorgenkind. Doch die Lage auf dem Kontinent ist vergleichsweise gut. Woran liegt das?

Eine neue Virusvariante bereitet Kopfzerbrechen: B.1.1.529 ist vielfach mutiert, könnte daher höchstansteckend sein und vielleicht, klar ist das noch nicht, auch die Immunantwort teilweise umgehen – Impfungen wären weniger wirkungsvoll. Für die Länder der Nordhalbkugel, die in die kalte Jahreshälfte gehen, könnte eine solche Variante verheerende Folgen haben.

Zum ersten Mal entdeckt wurde die Virusvariante in Südafrika, wo sie die Delta-Variante als dominierende Variante ablösen könnte. Das zumindest geht aus ersten vorläufigen Daten zu B.1.1.529 hervor. Groß ist der Schreck nun in Europa und Israel, Flugreisen an die Südspitze des afrikanischen Kontinents werden eingeschränkt, die Bundesregierung erklärt das Land zum Virusvariantengebiet. Die neue Variante lenkt den Blick auf Afrika, das als Sorgenkind in der Corona-Pandemie gilt. Wie schlägt sich der Kontinent mit seinen 1,2 Milliarden Menschen im Kampf gegen Covid-19?

Gute Trends auf dem Kontinent

"Afrika leistet bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie gute Arbeit", sagte Wynne Musabayana, Kommunikationsdirektorin der Afrikanischen Union am Donnerstag bei einem wöchentlichen Briefing zur Corona-Lage auf dem Kontinent. In Zahlen steht der Kontinent besser da als Europa oder Nordamerika. 8,6 Millionen Infektionen wurden dem African Center for Desease Control aus den Mitgliedsstaaten der Union gemeldet, etwas mehr als 8 Millionen Menschen sind genesen.

Von 222.301 Todesfällen im Zusammenhang mit Covid-19 weiß das African CDC. In Deutschland alleine starben über 100.000 Menschen an dem Virus. 81.616.626 Tests wurden unter der afrikanischen Bevölkerung seit Ausbruch der Pandemie durchgeführt. Tendenz derzeit rückläufig, wie John Nkengasong etwas zerknirscht mitteilte. Der Direktor des Afrikanischen Seuchenschutzzentrums rief die Mitgliedstaaten der Union auf: "Nutzen Sie die Tests, die wir ihnen zur Verfügung stellen, so viel wie möglich." Sie seien der einzige Weg, Infektionsketten zu entdecken und zu unterbrechen.

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Die Trends in den Regionen des afrikanischen Kontinents sind nicht nur bei den Tests rückläufig. In den vergangenen vier Wochen seit Ende Oktober haben sich insgesamt sechs Prozent weniger Menschen mit dem Coronavirus infiziert, alleine in der Woche bis zum 25. November ging die Zahl der Neuinfektionen um elf Prozent zurück. Laut Daten der Weltgesundheitsorganisation WHO hält dieser Abwärtstrend bereits seit Juli an. Zwar erheben nicht alle Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union gleich zuverlässig ihre Covid-Daten – die befürchtete unkontrollierte Ausbreitung des Virus auf dem Kontinent ist aber ausgeblieben.

"Ermutigende Fortschritte" beim Impfen

Das liegt nur in Teilen an der langsam anlaufenden Impfkampagne, die gerade einmal 6,6 Prozent der Afrikanerinnen und Afrikaner geimpft hat, überwiegend mit dem Johnson & Johnson-Impfstoff. 403 Millionen Dosen verschiedener Hersteller seien bislang auf dem Kontinent angekommen, "und es kommen zurzeit viel mehr Impfstoff-Dosen an", so Nkengasong. Die Herausforderung bestehe aktuell mehr in der Logistik der Verteilung und Verabreichung vorhandener Vakzine, unter anderem in Südafrika, Kamerun oder der Demokratischen Republik Kongo.

Zwar sind auf dem Kontinent etwas mehr als ein Viertel aller Mitarbeitenden im Gesundheiswesen gegen Covid-19 geimpft, in den reichen Industriestaaten liegt die Quote bei rund 80 Prozent. Nkengasong sprach am Donnerstag trotzdem von "ermutigenden Fortschritten", die die Mitgliedsstaaten bei der Corona-Impfung machten. Zwar wollte der Virologe mit Verweis auf die spärliche Datenlage die neue Virusvariante nicht kommentieren und kündigte stattdessen Gespräche für Anfang nächster Woche an, "um die Variante besser zu verstehen". Er blicke dennoch mit Sorge auf Südafrika. "Wir bewegen uns dort auf die Ferienzeit zu", die Mobilität der Bevölkerung werde zunehmen. Das African CDC rechne daher mit einem scharfen Anstieg der Infektionszahlen im Januar und Februar, nicht nur in Südafrika.

Was Afrika zu Gute kommt

Forscher wie der kenianische Wissenschaftler Isaac Ngere sehen in der hohen Verbreitung des Virus unter der Bevölkerung einen Grund für die derzeit niedrigen Fallzahlen. "Die hohe Durchseuchung ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum wir momentan so wenig Fälle sehen", sagte der Autor einer Studie zur Virusverbreitung unter der kenianischen Bevölkerung Anfang November dem "Spiegel". Was er auch festgestellt hat: In Kenia sterben 20-mal weniger Menschen an Covid-19 als in Europa.

Das dürfte zwar auch daran liegen, dass viele Menschen an der Krankheit sterben, ohne dass dies in einer Statistik auftaucht. Kenia etwa erhebt keine Daten zur Übersterblichkeit. "Doch selbst wenn man die Mängel in der Weitermeldung mit einbezieht, liegt die Sterblichkeitsrate unter der Westeuropas", schreibt Francisca Mutapi, Infektiologin an der Universität Edinburgh. Zwar mögen die Gesundheitssysteme der afrikanischen Staaten schlechter auf die Pandemie vorbereitet gewesen sein. "Andere Faktoren wie die Demographie und ländliche Bevölkerung haben die afrikanische Bevölkerung aber weniger anfällig gemacht."

Bodybuilder steht über dem Kibera-Slum in Nairobi, Kenia. Forscher vermuten, dass eine hohe Durchseuchung die Fallzahlen im Land niedrig hält.
Bodybuilder steht über dem Kibera-Slum in Nairobi, Kenia. Forscher vermuten, dass eine hohe Durchseuchung die Fallzahlen im Land niedrig hält. © IMAGO / ZUMA Wire

So beträgt das Durchschnittsalter in Afrika rund 20 Jahre, in Europa liegt es bei etwa 43. Ein demographischer Vorteil, denn das Immunsystem junger Menschen kann mit dem Virus meist besser umgehen, sie haben oft milde oder gar asymptomatische Verläufe. Zudem sind Vorerkrankungen wie Diabetes oder Übergewicht in afrikanischen Ländern noch weitaus weniger verbreitet, als im Westen. Afrikas vielfältige Bevölkerung scheint so resilienter zu sein gegen das Virus als die Europäer. Die WHO geht davon aus, dass nur drei Prozent der weltweiten Covid-Toten aus Afrika stammen – aus Europa hingegen stammen 29 Prozent der Toten.

Ein Gefühl der Demut

Das liegt auch daran, dass viele Staaten auf dem Kontinent schlicht schneller auf das Virus reagiert haben als in Europa oder Nordamerika. Mali etwa schloss seine Grenzen, bevor überhaupt ein Corona-Fall im Land bekannt war. Afrikanische Staaten seien "Covid mit einem Gefühl der Demut begegnet, weil sie schon Dinge wie Ebola, Polio und Malaria erlebt haben", sagte Devi Sridhar, Gesundheitswissenschaftlerin an der Universität Edinburgh der Nachrichtenagentur Associated Press.

Auffällig ist auch: Unter den afrikanischen Staaten steht vor allem Südafrika besonders schlecht da. Zwar meldet das Land vergleichsweise besonders viele Daten, auch zu milden und symptomlosen Verläufen. Unter den 44 Ländern der WHO-Region Afrika aus denen Daten verfügbar sind, weist der ehemalige Apartheidstaat dennoch die höchste Fallsterblichkeit auf. Sie lag in der ersten Welle bei 33,3 Fällen pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Cap Verde folgte auf Platz zwei mit 17,5 Fällen. Fast die Hälfte weniger. "Unser wichtigstes Ergebnis ist, dass vor angeblich gut-vorbereitete widerstandsfähige Staaten wie Südafrika in der Pandemie am meisten gelitten haben", schreibt Infektiologin Mutapi.

Auch die Afrikanische Union bereitet sich derzeit darauf vor, dass das Virus zu neuen Wellen in den Mitgliedsstaaten führen wird. Elf davon erleben gerade eine vierte Welle oder haben sie bereits erlebt, sagte John Nkengasong am Donnerstag. Wie sein Kollege Lothar Wieler vom Robert Koch-Institut kann auch er am Ende nur auf die längst bekannten Strategien zur Bewältigung der Pandemie verweisen: "Diese Wellen werden weiter kommen und gehen, wenn es uns nicht gelingt, die Impfanstrengungen zu verbessern und Hygieneregeln einzuhalten."