Berlin. Naturschützer warnen vor dem “Stillen Frühling“ - ganz ohne Vogelzwitschern. Eine neue Studie stellt die Theorie auf den Prüfstand.

Es gehört zu den schönsten Momenten des Frühlings: Durch die Natur zu laufen und dem Vogelgezwitscher zu lauschen. Doch damit könnte es bald vorbei sein, wie eine Studie der University of East Anglia in Norwich zeigt. Laut ihr ist die Wahrscheinlichkeit eines "Stillen Frühlings", also eines Frühlings ohne Vogelgezwitscher, nicht wirklich gering.

Die Wissenschaftlerin Catriona Morrison und ihre Kolleginnen und Kollegen haben die Veränderungen im Vogelgesang erforscht. Dazu konnten sie auf Daten aus Vogelzählungen an rund 200.000 Orten in Europa und Nordamerika zurückgreifen - von heute und von vor 25 Jahren, um die Ergebnisse vergleichen zu können.

Anschließend rekonstruierten die Forschenden, wie die Vögel vor 25 Jahren in der Stadt und auf dem Land gesungen haben und verglichen die damalige Geräuschkulisse mit dem heutigen Klang. So konnten sie Rückschlüsse auf Veränderungen in der Intensität, der Vielfalt und der Dichte ziehen.

Das sechste Artensterben ist im Gange

Die Forschung zum Verschwinden der Vogelstimmen hat einen Grund: Das sechste Massensterben ist in vollem Gange. In unseren Breitengeraden sind vor allem Insekten und Vögel betroffen: Einer Studie des European Bird Census Council (EBCC) zufolge sind seit 1980 57 Prozent aller Feldvögel verschwunden - also mehr als jedes zweite Tier.

Das Ergebnis der Studie ist eindeutig: "Wir stellen einen weitverbreiteten Rückgang der akustischen Diversität und Intensität der natürlichen Klanglandschaft fest", erklärt einer der Autoren der Studie, Simon Butler, von der University of East Anglia dem Fachmagazin "scinexx.de". Insbesondere im Frühling singen weniger Vogelarten mit einer geringeren Anzahl an Tieren als noch vor 25 Jahren.

Vögel singen in ganz Europa leiser und eintöniger

Dabei macht es der Studie zufolge keinen Unterschied, wo die Messung in Europa stattfand: "Die akustische Vielfalt und Intensität der natürlichen Klanglandschaften scheint in ganz Europa abzunehmen", sagt Johannes Kamp von der Uni Göttingen, einer der Koautoren der Studie im Magazin "scinexx.de".

Auch auf das Artensterben hierzulande lassen sich Rückschlüsse ziehen: "In Deutschland haben wir zum Beispiel große Populationen von Arten mit charakteristischen Stimmen verloren, zum Beispiel Feldlerche und Kiebitz", erklärt Kamp.

US-Biologin sagte schon 1962 "Stummen Frühling" voraus

Das Artensterben ist also nicht nur wissenschaftlich nachweisbar, sondern auch hörbar. Der Trend bestätigt demnach die Theorien der US-Biologin Rachel Carson, die in ihrem Buch "Silent Spring" schon 1962 einen stummen Frühling verhersagte. Als Grund prognostizierte sie damals das Insektensterben als Folge von Pestizideinsatz und anderer landwirtschaftlicher Praktiken.

Aus der aktuellen Studie lässt sich also ableiten, dass das Artensterben hörbar geworden ist. "Weil die meisten Menschen die Vögel in ihrer Umgebung eher hören als sehen, macht dies die anhaltenden Populations-Rückgänge am ehesten spürbar", sagt Simon Butler. Zwar sind andere Tierarten auch betroffen, in unserer menschlichen Wahrnehmung falle deren Verschwinden allerdings nicht so auf. So sind zum Beispiel auch Koalas stark vom Aussterben bedroht. (fmg)