Berlin. Weshalb der Schnappschuss von Habeck, Lindner, Baerbock und Wissing einen neuen Stil verspricht. Und warum das nichts heißen muss.

Es ist das Bild der Stunde: In der Nacht zu Mittwoch posten die beiden Spitzenduos von Grünen und FDP auf Instagram ein Selfie vom ersten Vierertreffen nach der Bundestagswahl. Demonstrativ zum gleichen Zeitpunkt, demonstrativ mit dem gleichen Text. Als wären Robert Habeck und Christian Lindner, Annalena Baerbock und Volker Wissing nicht mehr politische Gegenspieler, sondern längst routinierte Spielmacher der nächsten Regierungskoalition.

Das Signal ist klar: Der Wahlkampf ist vorbei, die Waffen schweigen, die Gräben sind groß – aber überwindbar.

Das mitternächtliche Synchron-Selfie behauptet jedoch noch mehr als das, es setzt einen neuen Ton. Die Botschaft: Wir stimmen uns ab, wir können uns einigen, wir sind schnell, und wir sind diskret. Als in vielen Medien noch von einem Treffen am Mittwoch die Rede war, saßen die vier am Dienstagabend längst zusammen. Nichts war herausgedrungen – bis das Selfie sich über Millionen Smartphones landauf, landab verbreitete.

Spitzen von Grünen und FDP: Ein Selfie, das das Land beschäftigt

Klar, so ein Selfie löst nicht nur Anerkennung, sondern vor allem auch Spott aus. Die vier Gestalten auf dem Bild – das wirke doch genauso peinlich wie eins dieser anbiedernden Eltern-Selfies aus dem Urlaub, schreibt einer auf Twitter. Wissing im flotten Anorak und Baerbock im T-Shirt, dazu Lindner im Polohemd und Habeck mit aufgekrempelten Hemdsärmeln – als hätten Mama und Papa im Urlaub ein nettes Männerpaar kennengelernt, mit dem sie jetzt zum Abendessen im Hotel verabredet sind.

Andere analysieren die Unterschiede bei der Bildbearbeitung. Baerbock schneidet Habeck halb ab, Lindner wählt den Sonnenfilter. Am Mittwochmorgen jedenfalls redet das halbe Land über den Schnappschuss.

Die Macht der Bilder ist nicht zu unterschätzen

Julia Emmrich, Politik-Korrespondentin
Julia Emmrich, Politik-Korrespondentin © Anja Bleyl | Anja Bleyl

Während die Union Bilder eines zermürbenden Machtkampfs, eines in die Enge getriebenen Armin Laschet produziert, sieht man hier: eine vitale Truppe, zwischen 40 und 52 Jahre alt, lässig angezogen, mit selbstbewusstem Blick. Diese vier wissen, was sie tun. Sie wissen vor allem: Das Auge isst nicht nur mit, das Auge denkt auch mit.

Bilder wirken unmittelbar, sie sind schneller und direkter als Worte. Wer die Macht über die Bilder hat, hat auch Einfluss auf das Denken. Ein gutes Bild abzugeben ist deswegen in einer visuell gesteuerten Welt mindestens so wichtig, wie ein gutes Argument zu haben. Ob man das nun gut findet oder nicht.

Dieses Selfie kann deswegen am Ende mehr sein als der Schnappschuss der Stunde. Es kann das ikonografische Bild für die neue Regierung werden. Nicht, weil die vier so smart aussehen. Sondern als Ausdruck eines neuen Stils: Sollten sich Grüne und FDP auch in den kommenden Wochen an die Maxime „Gemeinsam, diskret, zügig“ halten, dann wäre viel gewonnen.

Charmeoffensive, Misstrauen und kaum Schnittmengen

Leicht wird das nicht. Bei aller stilistischen Einigkeit – die Programme von Grünen und Liberalen haben nur wenige Schnittmengen. Und auch dann, wenn es inzwischen stabile Arbeitsbeziehungen auf beiden Seiten gibt – das Misstrauen dürfte nach wie vor groß sein. „Geübte Gegnerschaft“ nennt Habeck das. Da hilft es auch erst mal nicht viel, dass Lindner seit dem Wahlabend den Schalter umgelegt und von Grünen-Bashing auf Charmeattacke umgestellt hat.

Was Grüne und FDP dagegen wirklich verbindet, ist die miese Erinnerung an 2017. Damals verplemperten Union, Grüne und Liberale lange Wochen mit Sondierungsrunden, an denen jede Partei in Mannschaftsstärke teilnahm. Es gab Indiskretionen, Störmanöver und Quertreiber. Am Ende stand wieder um Mitternacht ein ikonografisches Bild: Lindners Nein zu Jamaika.