Berlin. Erst zum dritten Mal in ihrer Geschichte geht die SPD als stärkste Partei aus einer Bundestagswahl hervor. Was fängt sie mit dem Sieg an?

Der Sieg ist knapp, aber historisch bemerkenswert. Nur bei den Wahlen 1972 und 1998 schnitten die Sozialdemokraten stärker als die Union ab. Viel Zeit zum Feiern bleibt Spitzenkandidat Olaf Scholz nicht. Die Eroberung des Kanzlersamts ist kein Selbstläufer. Wie es weiter geht.

Nach Wahlsieg: Ist Scholz so gut wie Kanzler?

Er ist im Vorteil. Er hat als Kandidat der stärksten Partei das Erstrecht, eine Regierungsbildung zu versuchen. Aber: Kampflos wollen die Christdemokraten ihm das Feld nicht überlassen, auch sie buhlen um Grüne und FDP.

Würden die Christdemokraten Scholz das Feld überlassen, würde es die Ausgangslage zu Lasten von Grünen und FDP verschieben. Die könnten nicht länger die Union gegen die SPD ausspielen. Lesen Sie mehr dazu: Kanzler-Krimi: Die SPD feiert – aber kann Scholz regieren?

Welche Koalitionen kann Scholz bilden?

In dieser Reihenfolge der Beliebtheit und der Wahrscheinlichkeit: Eine „Ampel“ mit Grünen und FDP und eine Wiederauflage der Großen Koalition. Für ein Linksbündnis reicht es nicht.

Wollen Christian Lindner und die FDP mit SPD und Grünen regieren?

Die Lindner-FDP hat sich verkalkuliert. Bis zum Frühsommer hat sie einen Sieg von Armin Laschet für reine Formsache gehalten. Inhaltlich und sozio-kulturell ist die bürgerliche Partei den Christdemokraten näher; strategisch spricht für die CDU auch das gemeinsame Erfolgsinteresse im größten Bundesland Nordrhein-Westfalen, wo man gemeinsam regiert.

Obgleich Christian Lindner mit CDU-Mann Laschet besser als mit Scholz harmoniert, muss er die Realitäten zur Kenntnis nehmen: Die SPD ist gestärkt und geschlossen, die Union ist es nicht.

Falls Lindner der SPD keine andere Wahl als ein Linksbündnis lässt, werden sich große Teile der Wirtschaft auf den Plan gerufen fühlen. Der Auftrag an die Liberalen: Wehret den Anfängen. Schon Wochen vor der Wahl hat die SPD hinter den Kulissen Gesprächsfäden zur FDP geknüpft, vor allem zu Generalsekretär Volker Wissing.

Auch interessant: Welche Koalitionen sind realistisch?

Kann es am Ende doch wieder eine große Koalition geben?

Äußerst unwahrscheinlich. Das würde die SPD zerreißen. Vizechef Kühnert hat für diesen Fall sogar seinen Rücktritt angekündigt. Scholz interpretierte am Abend das vorläufige Ergebnis als Votum für einen Wechsel – auch das spricht nicht für eine Große Koalition.

Lesen Sie auch: SPD: Diese Politiker könnten nach der Wahl Minister sein

Kann sich Laschet halten?

Am Dienstagabend kommt die dezimierte Unions-Fraktion zusammen, nur 48 Stunden nach der Wahl. Hier wird die Macht neu ausbalanciert. Ohne Regierungsbeteiligung wird der Fraktionsvorsitz zum relevantesten Posten. Ralph Brinkhaus kämpft um sein Amt. In der Partei kursieren allerdings drei Namen: Friedrich Merz, Jens Spahn, Norbert Röttgen. Laschet selbst strebt das Amt nicht an. Er will als CDU-Chef die Koalitionsverhandlungen führen.

Merz hat verkündet, Oppositionsführer könnte er, „aber das tue ich mir nicht noch mal an.“ Wenn sich Laschet nach seiner Niederlage nicht halten kann, dann dürfte er seinen Kompagnon Jens Spahn vorschlagen. In der CDU kommt hinzu, dass auch der Parteivorsitz neu zur Debatte stehen könnte – nach dem Motto „beide Ämter gehören in eine Hand“. Laschet wird kämpfen müssen. Er ist nicht der Typ, der aufgibt; seine Nehmerqualitäten hat er oft unter Beweis gestellt.

Welchen Einfluss bekommt Markus Söder?

Die CSU hat ein entscheidendes Wort mitzureden. Ohne oder gar gegen Parteichef Markus Söder kann niemand die Fraktion anführen. Eigentlich wollte er schon diesmal antreten. Er wird erste Pflöcke einrammen, um wenigstens 2025 zum Zuge zu kommen. Er wird versuchen, Laschet abzudrängen und mit dessen Nachfolger einen Kompromiss zu erzielen.

Bleibt Annalena Baerbock die mächtigste Grüne?

Sie ist geschwächt. Ihr Plan ging nicht auf, die Partei in die Mitte der Gesellschaft zu führen. Unvergessen ist auch, dass sie ihre Nebeneinkünfte nicht regelgerecht gemeldet hat, ihren Lebenslauf aufgehübscht hat und bei einem Buch zahlreicher Plagiate überführt wurde.

Sie hat aber gute Chancen auf einen Ministerposten im Kabinett Laschet – und sich zu profilieren. Zumal: Mit ihr an der Spitze hat die Partei ihren Stimmenanteil fast verdoppelt.