Berlin. Wahlkampf-Endspurt der sechs Fraktionsvorsitzenden der Parteien bei „Hart aber fair“. Die Sendung beginnt zunächst ohne den FDP-Chef.

„Wir sind im Moment der Stabilitätsanker in Europa und der Welt. Wollen wir das wirklich riskieren, weil Sie mit denen in eine Koalition reingehen?“ Hoch erregt richtete Ralph Brinkhaus (CDU) seine rhetorische Frage an Katrin Göring-Eckardt von den Grünen. Aber eigentlich an alle noch unentschiedenen Wähler und Zuschauer von „Hart aber fair“.

Nur wirkte so kurz vor Schluss diese scharfe Warnung vor einer Koalition mit der Linken eher wie ein „Achterbahn-Endschreck“ (Plasberg). Oder das letzte Gefecht im „letzte Kampf um die Stimmen der Bürger“: Die Zeit lief ihm weg, um die relativ einmütige, mittelinks-orientierte Debatte um „Geld und Gerechtigkeit“, die einen großen Teil des Plasberg-Talks bis dahin bestimmt hatte, noch mehr Richtung Außen- und Sicherheitspolitik umzureißen.

„Hart aber fair“: Diese Gäste waren am Montag dabei:

  • Ralph Brinkhaus, Fraktionsvorsitzender CDU/CSU im Bundestag
  • Rolf Mützenich, SPD-Fraktionschef im Bundestag
  • Katrin Göring-Eckhardt, Grünen-Fraktionsvorsitzende
  • Christian Lindner, FDP-Fraktionschef
  • Alice Weidel, AfD-Fraktionschefin
  • Amira Mohamed Ali, Fraktionsvorsitzende Die Linke

Die CDU wollte auf keinen Fall eine Steuererhöhung – wie die Grünen, um mit einer Kinder-Grundsicherung „die Kleinen aus der Armut“ zu holen. Und auch keine Vermögenssteuer, „damit wir die Länder mit mehr Geld für Bildung ausstatten“, wie Katrin Göring-Eckardt extra betonte – vielleicht auch, um sich damit gegen SPD und Linke schärfer zu positionieren.

Am letzten Montag vor der Bundestagswahl versammelte Frank Plasberg jedenfalls die sechs Vertreter des „parlamentarischen Machtzentrums“, also die Fraktionsvorsitzenden aller im Bundestag vertretenen Parteien, um im Endspurt zu klären: „Wer macht die letzten Punkte?“

Bundestagswahl: Plasberg stellt die „100 Tage“-Frage

Es ist nicht so, dass in dem allseits beklagten „inhaltslosen“ Wahlkampf die großen Visionen fehlten. Fragt man, wie Frank Plasberg in „Hart aber fair“, nach den „wichtigsten Zielen einer neuen Bundesregierung für die ersten 100 Tage“, antworteten die Fraktionschefs erstaunlich vielfältig.

Die Grünen wollten „eine Welt schaffen, in der Kinder und die Enkelkinder noch in Frieden leben können“. Die SPD ganz konkret „einen Ausbaupfad für erneuerbare Energien legen, den Mindestlohn von 12 Euro beschließen und ein Wohnungsbauprogramm, das 100.00 neue Sozialwohnungen pro Jahr schafft“. Und die CDU die Wirtschaft „erst mal machen lassen“, um die Beschränkungen der Pandemie auszugleichen, dazu noch „Geschwindigkeit in Planungsverfahren reinbringen“ und einen Sicherheitsrat einrichten, um „Innen- und Außenpolitik besser miteinander zu verzahnen“.

Die „100-Tage“-Frage war nur eine von fünf großen Themenkomplexen, die Frank Plasberg stellte. Es war aber auch diejenige, auf die alle anderen immer wieder zurückverwiesen, egal ob er nach den richtigen Kandidaten, nach Koalitionstauglichkeit fragte, oder danach, was die Gesellschaft zusammenhielt und Deutschland in der Welt. Und er fragte am liebsten locker.

Autobahnvollsperrung Grund für Lindners die Verspätung

Von Christian Linder, der sich um fünf Minuten verspätete, wollte er zum Beispiel launig wissen, ob der eventuell die ersten 100 Tage dafür nutzen würde, sich eine neue Uhr zu kaufen. „Nö“, das wollte er nicht, antwortete der FDP-Fraktionsvorsitzende schlagfertig: „Aber mich um die Verkehrsstruktur kümmern.“ Er war in einer Autobahn-Vollsperrung nach einem Autounfall stecken geblieben …

Bei der Vorstellungsrunde kurz nach 21.30 Uhr zeigte die Kamera noch auf einen leeren Stuhl, dazu hieß es: „Noch auf dem Weg ins Studio: Christian Lindner, FDP.“ Plasberg kommentierte Lindners Abwesenheit mit: „Christian Lindners Navi sagte eben 21.29 Uhr (Ankunftszeit), aber er braucht vielleicht ein neues Navi.“

Zu Anfang der Sendung war Lindners Platz noch leer.
Zu Anfang der Sendung war Lindners Platz noch leer. © Screenshot/FMG/ARD-Mediathek

„Hart aber fair“: „Jump-Start aus der Pandemie“

Später dann bewarb der FDP-Mann als sein wichtigstes Ziel einen „Jump-Start aus der Corona-Pandemie“: Ein „Super-Abschreibungsprogramm“, das Unternehmen Abschreibung von Investitionen in Klima und Digitalisierung innerhalb von zwei Jahren ermöglichen sollte, und damit eine wirtschaftliche Dynamik entfachen. Unternehmenssteuern erhöhen, nein danke: „Die liegen jetzt schon bei 48,34 Prozent.“

Alle Vorstellungen der Liberalen über einen rechten Weg waren meilenweit entfernt von denen der AfD, die als erstes „die Grundrechte wiederherstellen“ wollte: Corona-Regeln aufheben und die „Spaltung der Gesellschaft in Geimpfte und Ungeimpfte“ beenden, die alle, die sich gegen eine Impfung entschieden – wie sie selbst – als Egoisten stigmatisierten.

Frank Plasberg ließ Alice Weidel erstaunlich lange allen möglichen Nonsense absetzen – zum Beispiel auch, dass der Staat bereits über ein gigantisches Steueraufkommen verfüge, es aber zur Finanzierung von Migrantenprojekten, „die keinem Deutschen zugutekommen“ zum Fenster rauswerfe. Als er sie dann doch noch stoppte, ermahnte er fast dompteurhaft die anderen Talk-Gäste: „Sie werden die Nerven haben, das stehenzulassen“ – unkommentiert, weil selbstentlarvend.

Auch gegenüber der Links-Partei zeigte er sich wenig charmant – nicht erst, als der allgemeine Streit darauf kam, ob es sich bei Afghanistan um einen „Nato-Krieg“ handelte und wie sie zu Bundeswehreinsätzen stand.

Spitzensteuersatz: 75 Prozent

Gerade hatte Amira Mohamed Ali, Fraktionsvorsitzende der Linken, ausgeführt, warum sie Spitzenverdiener ab einer Million Euro Einkommen mit einem Steuersatz von 75 Prozent besteuern wollte: „Damit wir am Ende Überschüsse von 40 Milliarden Euro haben, die wir dringend brauchen, für Bildung, für Investitionen in Klimaschutz und all diese Dinge.“

Da fragte Frank Plasberg auch schon die Fraktionsvorsitzenden der beiden möglichen Koalitionspartner, inwieweit in den letzten drei Minuten ihre Lust gestiegen wäre, sich demnächst in einer rot-rot-grünen Koalitionsverhandlung wiederzufinden. Nicht allzu sehr, konnte man an ihren Gesichtern ablesen.

Katrin Göring-Eckardt aber hatte keine Lust, über Koalitionen zu sprechen, bevor nicht ein Auftrag der Wählerinnen und Wähler da war: „Das ist in einer Woche. Da entscheidet sich auch, wer wen zu Koalitionsgesprächen einlädt.“ Jetzt, in diesem Talk, würde alle doch nur über die unterschiedlichen Partei-Konzepte reden, damit die, die noch unentschlossenen waren, sich ein Bild machen könnten.

Rolf Mützenich (SPD) – seltener Gast in Talkshows ohnehin, bei „Hart oder fair“ sogar zum ersten Mal erst dabei – blieb noch mehr im Ungefähren: „Da wird es darauf ankommen, wie wir das ausgestalten“, antwortete er etwas dröge. Natürlich wollte er keinen Steuersatz von 75 Prozent, versicherte er, aber einen, der sich „genau daran orientiert, ob Kapital am Ende auch einen gesellschaftspolitischen Fortschritt schafft – und Arbeit“.

„Hart aber fair“: Das waren die vergangenen Sendungen