Berlin. Die Coronavirus-Mutante Delta breitet sich in Deutschland aus. Was können wir tun, um den Wettlauf gegen die Variante zu gewinnen?

  • Die zuerst in Indien entdeckte Delta-Variante des Coronavirus breitet sich in Deutschland aus
  • Sie gilt als deutlich ansteckender als die bisher verbreiteten Virus-Mutationen
  • Experten warnen vor zu schnellen Öffnungen und Leichtsinn

Zwei Schüler, ein Kindergartenkind: In Dresden hat es jetzt eine ganze Familie erwischt. Bei allen drei Kindern wurde die hoch ansteckende Delta-Variante des Coronavirus festgestellt. Die beiden älteren gehen auf verschiedene Schulen, das jüngere in die Kita. Alle Kontaktpersonen seien ermittelt und in Quarantäne, heißt es.

Der Dresdner Fall zeigt: Noch ist es vergleichsweise einfach, die Infektionsketten zu durchbrechen. Doch was passiert, wenn sich die neue Corona-Variante im Land schneller ausbreitet als der Impfschutz in der Bevölkerung? Ist der Wettlauf gegen Delta zu gewinnen?

Corona-Lage in Deutschland: Die Fallzahlen sinken

Die Voraussetzungen sind nicht schlecht. Die bundesweite Inzidenz nähert sich mittlerweile der 10er-Marke. Aber: Die Delta-Fälle unter den Neuinfektionen sind längst keine Einzelfälle mehr. Laut Robert Koch-Institut (RKI) ist der Anteil der hoch ansteckenden Variante in Deutschland binnen einer Woche deutlich gestiegen: Ende Mai lag der Anteil bei 3,7 Prozent der Fälle, in der ersten Juniwoche dann schon bei 6,2 Prozent. Die Daten für die Folgewochen liegen noch nicht vor, eine Prognose gebe es noch nicht, heißt es beim RKI dazu. Nur so viel: „Man sieht klar, es steigt.“ In Großbritannien hat Delta längst alle anderen Varianten abgehängt.

Delta-Variante: Experten warnen vor der Corona-Mutation

Experten warnen deswegen davor, Delta zu unterschätzen: „Es ist zu erwarten, dass sich die hoch ansteckende Delta-Variante in Deutschland noch schneller ausbreitet als die bisherigen Varianten“, sagt Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender des Weltärztebundes. „Das Tückische bei dieser Variante ist, dass Infizierte sehr schnell eine sehr hohe Viruslast im Rachen haben und damit andere anstecken können, bevor sie überhaupt merken, dass sie sich infiziert haben.“

Solange noch nicht genügend Menschen geimpft sind, müsse man vor allem die Ansteckungs­risiken im Alltag reduzieren: Im öffentlichen Nahverkehr, in Geschäften und anderen Innenräumen sollten deswegen unbedingt weiterhin FFP2-Masken getragen werden.

Niedrige Fallzahlen, hohe Temperaturen: In der Stuttgarter Innenstadt drängen sich die Menschen.
Niedrige Fallzahlen, hohe Temperaturen: In der Stuttgarter Innenstadt drängen sich die Menschen. © imago images/ | Arnulf Hettrich

Delta-Variante: Impfungen schützen vor schweren Verläufen

Die Impfungen aber sind der entscheidende Punkt: Denn auch wenn die drei wichtigsten Vakzine, die Impfstoffe von Biontech, Moderna und Astrazeneca, laut Studien nicht ganz so sicher gegen Delta wirken wie gegen herkömmliche Varianten – sie schützen vollständig Geimpfte immerhin in der Regel vor schweren Verläufen.

Drei von zehn Bundesbürgern sind inzwischen vollständig geimpft (28,8 Prozent), jeder zweite (49,6 Prozent) hat bereits eine Impfung bekommen. Und der Rest? Müsste schnell geimpft werden, um dass Wettrennen gegen Delta zu gewinnen. Doch dazu fehlt es an Impfstoff.

Corona-Impfstoff bleibt noch lange knapp

Die Ankündigungen der letzten Tage waren bitter: Biontech liefert im Juli deutlich weniger Impfstoff als im Juni. Dabei herrschte bereits im Juni durch das Ende der Priorisierung und die Zulassung für Kinder ab zwölf Jahren verschärfter Impfstoffmangel. Millionen Dosen des Einmalimpfstoffs von Johnson & Johnson fallen wegen einer Produktionspanne aus. Und Curevac, der zweite mRNA-Impfstoff aus Deutschland, wird möglicherweise gar nicht erst zugelassen, weil er nicht wirksam genug ist.

Die Länder überbieten sich unterdessen gegenseitig beim Lockern der Corona-Maßnahmen. Die ersten Clubs öffnen wieder, die Maskenpflicht gilt immer seltener. Bei einer bundesweiten Inzidenz von 10,3 (Freitag) und angesichts vieler Kreise ohne Neuinfektionen scheint das plausibel.

Doch im Hintergrund macht sich Delta langsam breit: „Die Länder sollten jetzt prüfen, ob die angekündigten Lockerungen nicht zu weit gehen“, warnt Montgomery. „Sie sollten außerdem die politische Größe haben, angekündigte Lockerungen wieder zurückzunehmen, wenn die Infektionszahlen durch die Delta-Variante wieder steigen sollten. So wie es die britische Regierung jetzt getan hat.“

Corona Sommer 2021: Fehler der vergangenen Jahres nicht wiederholen

In Deutschland geht der Wettlauf gegen Delta gerade erst richtig los. „Wir dürfen nicht den Fehler des vergangenen Sommers wiederholen“, sagt Montgomery. „Damals haben wir den Wiedereintrag des Virus durch Reiserückkehrer unterschätzt und hatten im Herbst eine neue Welle. Diese Gefahr besteht jetzt wieder, wenn viele noch ungeimpfte Touristen von Partyurlauben in ganz Europa nach Deutschland zurückkehren.“

Doch es geht nicht nur um schnelleres Impfen und vorsichtigeres Reisen. Die deutschen Amtsärzte beklagen, dass die Viruskontrolle auch im zweiten Sommer der Pandemie immer noch nicht rundläuft. „Wir müssen den Anteil der Delta-Variante an den Neuinfektionen sehr gut beobachten“, sagt auch Ute Teichert, Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Entscheidend dafür sei der Ausbau der Gesundheitsämter.

Anderthalb Jahre nach Beginn der Pandemie stocke es immer noch beim Personal: „Bis Ende des Jahres sollen bei den Gesundheitsämtern 1500 neue Stellen für medizinisches Fachpersonal geschaffen werden. So ist es im Pakt für den öffentlichen Gesundheitsdienst vereinbart. Ein Großteil dieser Stellen ist noch nicht besetzt“, so Teichert.