Berlin. Die Senderfamilie RTL macht längst viel mehr als Fernsehen. RTL.de soll offenbar zu einem führenden Boulevard-Medium gemacht werden.

Auf die Idee muss man erst einmal kommen: Der Zeitschriftenmanager Stephan Schäfer, der bei Gruner + Jahr (G+J) nach Verlagschefin Julia Jäkel die Nummer zwei ist, wird in der Mediengruppe RTL „Geschäftsführer Inhalte & Marken“. Seinen Job bei G+J behält er.

Der neue Chef der Senderfamilie, Bernd Reichart, der gerade mal einen Monat im Amt ist, baut die Gruppe von Grund auf um. Er umgibt sich mit insgesamt fünf neuen Geschäftsführern. Schäfer ist nur einer von ihnen.

Klassisches Fernsehen bei RTL nicht mehr Maß aller Dinge

So entsteht eine Hierarchie-Ebene, die es bisher nicht gab. Die Leidtragenden sind die Senderchefs, die de facto entmachtet werden. So berichten die Geschäftsführer von RTL und Vox nicht länger an Reichart, sondern an den G+J-Mann. In Senderkreisen heißt es, der bisherige Chef des TV-Kanals RTL Frank Hoffmann sei wohl auch deswegen gegangen.

Das klassische Fernsehen ist in der Mediengruppe RTL längst nicht mehr das Maß aller Dinge. Die Senderfamilie ist crossmedial aufgestellt. Insbesondere die digitalen Angebote sollen massiv ausgebaut werden.

RTL hat schon seit längerem an „Bild“-Redakteuren Interesse

Neben Schäfers Ressort, das auch die sendereigene Online-Streaming-Plattform TV Now umfasst, ist in diesem Zusammenhang der ebenfalls neu geschaffene Geschäftsführerposten für „digitale Medien & journalistische Inhalte“ besonders interessant. Hier hat der Digital-Experte Jan Wachtel das Sagen.

Dass der Manager, der keine journalistische Vergangenheit hat, dennoch auch für Journalismus verantwortlich ist, lässt Raum für Spekulationen. Schon vor einer Woche sickerte durch, dass RTL mit der ehemaligen „Bild“-Chefredakteurin Tanit Koch spricht. Sollten diese Gespräche nicht bereits gescheitert sein, wäre denkbar, dass sie direkt unter oder aber neben Wachtel installiert wird. RTL mag die Personalie Koch nicht kommentieren. Die Journalistin war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

An „Bild“-Redakteuren hat RTL schon seit Längerem Interesse –insbesondere für das Online-Portal RTL.de, das offenbar zu einem der führenden deutschen Boulevard-Medien ausgebaut werden soll. Mit dem Springer-Blatt lieferte man sich bereits während der Übertragung des Dschungelcamps kleinere Scharmützel. Die Zeiten, da „Bild“ von RTL exklusive News zu Senderformaten gesteckt bekam, sind vorbei.

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