Berlin. Stephan Harbarth soll Verfassungsrichter werden. Er gilt als fachlich versiert, doch seine Arbeit für Konzerne könnte ein Problem sein.

Manche nennen Karlsruhe die Residenzstadt des Rechts. Der Bundesgerichtshof urteilt hier seit 1950. Und ein Jahr später nahmen zwei Dutzend Juristen ihre Arbeit am Bundesverfassungsgericht auf, 23 Richter und eine Richterin. Der erste Präsident war Hermann Höpker-Aschoff, ein FDP-Politiker, geboren noch zu Bismarcks Zeiten. Er war nicht der einzige Richter mit Parteibuch.

Roman Herzog war Deutschlands höchster Verfassungsrichter, ein langjähriger Christdemokrat und sogar Innenminister in Baden-Württemberg, bevor er nach Karlsruhe wechselte. Auch Jutta Limbach saß den beiden Richtersenaten vor – sie war Sozialdemokratin. Und eigentlich war das nie ein Problem.

Nun aber sind die Zeiten anders. Laufend und laut diskutieren Politikerinnen, Richter, Anwälte und Journalistinnen darüber, wie stabil der deutsche Rechtsstaat in Zeiten von Populismus und Hass im Internet noch ist. In Zeiten von Radikalisierung am Rand und dem Vorwurf an eine „Machtelite“, die nicht im „Namen des Volkes“ regiere. In Zeiten, in denen im Nachbarland Polen gerade eine Regierung mit rigiden Gesetzen ein Justizsystem nach ihrem Gusto umbaut.

Personalie Harbarth wird zum Politikerstreit

Jeder Anschein von „Hinterzimmerpolitik“ landet in der angespannten Situation auf dem Debattentisch. Beim deutschen Verfassungsgericht gilt das nun umso mehr. Eine Personalie wird zum Politikerstreit. Es geht um einen Abgeordneten, den bisher kaum jemand außerhalb der Berliner Republik kennt. Den CDU-Mann Stephan Harbarth.

Harbarth soll nach Karlsruhe wechseln, dort als Vorsitzender des Ersten Senats Ferdinand Kirchhof nachfolgen. 2020 würde Harbarth turnusmäßig den jetzigen Präsidenten des Gerichts, Andreas Voßkuhle, ablösen. An diesem Donnerstag wollen die Abgeordneten des Bundestages Harbarth vorschlagen. Am Freitag soll der Bundesrat noch seinen Stempel auf die Entscheidung drücken.

Halten die Grünen weiter zum Konservativen?

Bisher scheint es, als würden Union, SPD, FDP und Grüne mitziehen. Die Parteien hatten sich in internen Gesprächen auf Harbarth als Kandidat geeinigt. Die Stimmen von Linksfraktion und AfD sind nicht notwendig. Doch kurz vor der Wahl wächst die Kritik an Harbarth – vor allem von links. Die entscheidende Frage ist: Bleiben die Grünen bei ihrer Unterstützung für den CDU-Politiker?

Harbarth, Jahrgang 1971 und heute Vater von drei Kindern, studierte in Heidelberg und Yale Jura, arbeitet als Anwalt bei einer Großkanzlei vor allem zum Unternehmensrecht. Die Universität in Heidelberg hat ihn dieses Jahr sogar zum Honorarprofessor ernannt. Seit 2009 sitzt er für die CDU im Bundestag. Er ist mittlerweile Vize-Fraktionschef.

Harbarth – konservativ, aber kein Hardliner

Als Richter hat er bisher nicht gearbeitet. Und doch halten nicht nur Unionspolitiker Harbarth fachlich für eine gute Wahl, sondern auch Rechtsexperten von FDP und SPD. Politisch ist der Baden-Württemberger ein Konservativer, aber kein Hardliner. „Harbarth ist ein absoluter Kenner des Rechts. Er ist kein Provokateur, sondern auf Ausgleich bedacht. Das alles macht ihn zu einem guten Kandidaten“, sagt etwa auch SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka unserer Redaktion.

Das Verfassungsgericht hat mit zahlreichen Urteilen gegen verabschiedete Gesetze seine Unabhängigkeit gegenüber Regierungen bewiesen. Die Richter entschieden häufig für den Datenschutz und gegen den „großen Lauschangriff“ der Sicherheitsbehörden. Sie urteilten für die Gleichstellung der Ehe von Homosexuellen und gegen ein generelles Kopftuchverbot an der Schule.

Die Entscheidungen der Karlsruher Richter, so fassen es manche Rechtsexperten zusammen, stehen in einer gewissen liberalen Tradition. So wie das Grundgesetz, nach dem sie urteilen. Doch schon 2014 berichtete der „Spiegel“, dass einige Unionspolitiker den Kurs des Gerichts kritisieren. Manch einem Christdemokraten gelten die Urteile als zu links.

Harbarth stimmte gegen die „Ehe für alle“

Jetzt hatte die Union das Vorschlagsrecht für einen neuen Richter in Karlsruhe. Harbarth ist Katholik und Konservativer. Er ist Abgeordneter der CDU. Er verteidigt Großunternehmen vor Gericht. Ist er ein Kandidat für einen Kurswechsel am Verfassungsgericht?

Diesen Verdacht wittern Kritiker vor der Abstimmung im Parlament. So hatte Harbarth dort gegen die „Ehe für alle“ gestimmt. Linke in der SPD, wie Petra Nowicki, nennen Harbarth „homofeindlich“. In der Asylpolitik teilt Harbarth wie viele Innenpolitiker der Union die meisten Positionen von Minister Horst Seehofer. Parteilinke bei SPD und Grünen gehen dagegen an.

Harbarth muss mit Zwei-Drittel-Mehrheit gewählt werden

Abseits der politischen Haltung halten manche vor allem den direkten Wechsel aus dem Parlament auf den Richterposten für unvereinbar mit der Pflicht zur Neutralität eines Gerichts. Andere sagen, es sei genau richtig, nicht nur langjährig verbeamtete Volljuristen nach Karlsruhe zu schicken, sondern eben auch Politiker und Professoren – sofern sie fachlich versiert sind.

Und das Gesetz hat bei der Wahl eines Verfassungsrichters Hürden für extreme Positionen eingebaut. So muss Harbarth diese Woche mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag gewählt werden. Er muss also ein Kandidat sein, mit dem nicht nur die Union, sondern auch SPD, FDP und Grüne einverstanden sind.

Auch Merkel soll Harbarth favorisieren

Welche Auswirkungen diese Hürde hat, zeigt auch der aktuelle Fall. Denn eigentlich wollte die Union Günter Krings für den Richterposten nominieren – CDU-Politiker aus Nordrhein-Westfalen und seit mehreren Jahren Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Doch erst wehrte sich laut einem Bericht des „Spiegel“ SPD-Chefin Andrea Nahles, dann zogen die Grünen nicht mit.

Ihnen war Krings zu weit weg von grünen Positionen in der Asylpolitik – und als Staatssekretär zu nah an den Positionen von Horst Seehofer. Also kam Stephan Harbarth ins Spiel. Auch Kanzlerin Merkel soll ihn favorisieren. Ein Kandidat des Kompromisses?

Ohnehin sind die beiden Senate des Verfassungsgerichts ein Gremium des Kompromisses. Auch Harbarth hätte als Präsident wie jeder andere Richter nur eine Stimme in den Kammern.

Wechsel nach Karlsruhe mit Einkommensverlust verbunden

Doch zuletzt schauten Kritiker der Personalie nicht nur auf Harbarths politische Positionen, sondern auch auf seine Arbeit als Anwalt. Der CDU-Mann ist Partner in der Kanzlei „Schilling, Zutt & Anschütz“. Dank dieser Einkünfte gehört Harbarth zu den Topverdienern im Bundestag, pro Jahr mehr als 250.000 Euro zusätzlich zu seinen Diäten. Wechselt Harbarth nach Karlsruhe, wird er deutlich weniger verdienen als jetzt.

Seine Kanzlei wirbt mit „herausragende Reputation im Konzernrecht“ – und vertritt neben weiteren Kanzleien Volkswagen im Betrugsskandal bei Abgaswerten. „Herzlichen Glückwunsch an Volkswagen! Cleverer Move“, twitterte der Grünen-Finanzpolitiker Gerhard Schick, als die Personalie Harbarth Anfang November bekannt wurde.

Vor allem eine Entscheidung wird Harbarth zur Last gelegt: 2015 hatte der CDU-Politiker gemeinsam mit anderen Koalitionspolitikern im Rechtsausschuss des Bundestages dafür gestimmt, die Befragung der Bundesregierung zum Diesel-Skandal durch die Abgeordneten von der Tagesordnung zu nehmen.

Verfassungsgericht nicht zuständig für Diesel-Klagen

Harbarth war damals Obmann seiner Fraktion in dem Ausschuss. Von den VW-Manipulationen sind Millionen Verbraucher allein in Deutschland betroffen. Der CDU-Politiker wies die Vorwürfe damals zurück. Es habe für die Besprechung keinen Beschluss des Ausschusses gegeben. Auf Nachfrage unserer Redaktion teilt Harbarths Kanzlei am Mittwoch mit, dass er als Anwalt „zu keinem Zeitpunkt“ in das VW-Mandat einbezogen war.

Wechselt Harbarth nach Karlsruhe, ist das Verfassungsgericht zudem nicht zuständig für die Klagen der Autofahrer und der VW-Aktionäre. „Schilling, Zutt & Anschütz“ verteidigt VW nach eigenen Angaben derzeit an den Landesgerichten in Braunschweig und Stuttgart.

Harbarth bezieht Position gegen politische Rechte

Harbarth selbst wollte auf Nachfrage unserer Redaktion die bevorstehende Wahl im Bundestag nicht kommentieren. Der Widerstand gegen seine Person von links scheint ohnehin nicht stark genug, um die Wahl zu gefährden. Auch die Landesregierungen mit grüner Beteiligung haben bisher nicht gegen die Zustimmung zu Harbarth im Bundesrat protestiert.

Kurz vor der Wahl setzt der CDU-Mann noch ein interessantes Signal. Als der Bundestag in der vergangenen Woche hitzig über den Migrationspakt der Vereinten Nationen debattiert, bezieht Harbarth in einem Gastbeitrag in der „FAZ“ klar Position – gegen die Asylkritiker in seiner eigenen Partei, gegen die politische Rechte. Der Pakt sei im deutschen Interesse, schrieb Harbarth. Eine Haltung, die auch bei grünen Politikern gut ankam.