Mailand. Stärkere Konzentration auf die Familie - aber oft auch größere wirtschaftliche Unsicherheit: Haben sich potenzielle Eltern in der Pandemie eher für oder gegen ein eigentlich geplantes Kind entschieden?

In einigen Ländern sind einer Analyse zufolge im Zuge der Corona-Pandemie womöglich die Geburtenraten merklich gesunken. Dies gelte unter anderem für Italien, Ungarn und Spanien, berichten Forschende im Fachmagazin "Proceedings" der US-nationalen Akademie der Wissenschaften (PNAS).

In Ländern wie Deutschland, Norwegen, Schweden und der Schweiz sei die Geburtenrate hingegen gleich geblieben oder sogar leicht gestiegen.

Die Wissenschaftler um Arnstein Aassve von der Wirtschaftsuniversität Luigi Bocconi Mailand hatten für 22 Länder mit hohem Einkommen die monatlichen Geburtendaten analysiert. Für die Monate von November 2020 - also etwa 9 Monate nach Beginn der Pandemie - bis März 2021 glichen sie die Werte mit denen der gleichen Monate ein Jahr zuvor ab, zudem wurden Modelle zur Berücksichtigung der Saisonalität und langfristiger Trends einbezogen.

Die Geburtenrate sank der Analyse zufolge in Italien um 9,1 Prozent, in Ungarn um 8,5, in Spanien um 8,4 und in Portugal um 6,6 Prozent. Auch für Belgien, Österreich und Singapur habe die Berechnung einen merklichen Rückgang ergeben. Insgesamt sei in sieben von 22 untersuchten Ländern ein deutlicher, wohl auf die Corona-Krise zurückzuführender Rückgang festzustellen.

Ergebnisse noch nicht bestätigt

Es handle sich allerdings um vorläufige Ergebnisse, die erst noch bestätigt werden müssten, so die Forschenden. Zudem böten die derzeit verfügbaren Daten lediglich Informationen zu den Entscheidungen von Paaren in der ersten Corona-Welle, eine Einschätzung über den weiteren Verlauf sei noch nicht möglich. Nach ihrer Vermutung werde der Rückgang in der Gesamtschau der Pandemie noch viel deutlicher ausfallen.

Für Deutschland hatte das Statistische Bundesamt erst kürzlich von einer bisher unauffälligen Entwicklung gesprochen. Nachdem im März noch ein Plus von sechs Prozent im Vergleich zum Vorjahr registriert wurde, verliefen die Monate danach ohne deutlichen Anstieg. Mit rund 315 000 Babys stieg die Zahl der Neugeborenen von Januar bis Mai 2021 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 1,4 Prozent. Veränderungen der Geburtenraten um einige Prozent von Jahr zu Jahr lägen im Bereich der üblichen Schwankungen, hatte der Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte, Christian Albring, erklärt. Aus den Daten lasse sich kein Zusammenhang mit der Pandemie und den Lockdown-Phasen ableiten.

Folgen in armen Haushalten

Deutliche Folgen gibt es wohl in ärmeren Ländern. Experten der Weltbank waren zu dem Schluss gekommen, dass der Wirtschaftsabschwung im Zuge der Corona-Krise im vergangenen Jahr den Tod von mehr als 260.000 Babys vor allem in ärmeren Ländern der Welt zur Folge hatte. Zugrunde liegen der kürzlich im Fachmagazin "BMJ Open" vorgestellten Modellierungsstudie zufolge Mechanismen wie schlechtere Pflege und Ernährung in verarmenden Haushalten. Auch ein eingeschränkter Zugang und eine schwindende Qualität bei Gesundheitsdiensten im Zuge der Wirtschaftskrise seien ein Faktor.

Die Zahl in Armut lebender Menschen stieg demnach im vergangenen Jahr um rund 120 Millionen. In den 128 untersuchten Ländern mit mittleren und niedrigen Durchschnittseinkommen seien rund 267.000 bis zu 12 Monate alte Kinder infolge des coronabedingten Wirtschaftsabschwungs gestorben - und damit rund 7 Prozent mehr als im Mittel der Vorjahre. Mit mehr als einem Drittel - rund 100.000 - der zusätzlichen Todesfälle entfielen die weitaus meisten auf Indien.

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