Berlin. Die erneute Änderung der Altersgrenzen bei der Impfung mit Astrazeneca sorgt bei vielen Menschen für Verwirrung. Wer wird jetzt mit dem Präparat geimpft und wie wirkt sich das auf das Impftempo aus?

Der Impfstoff von Astrazeneca hat in Deutschland keinen leichten Stand: Erst wird aufgrund nicht ausreichender Datenmengen bei Älteren eine Impfung nur für Jüngere empfohlen, dann kommt nach Verdachtsfällen mit sehr seltenen Nebenwirkungen ein vorübergehender Impfstopp für Jüngere, der kurz danach wieder aufgehoben wird. Nun soll das Vakzin wegen dieser Verdachtsfälle hauptsächlich doch nur noch an Menschen ab 60 verimpft werden. Wie geht es jetzt mit den Impfungen weiter?

Wie sehr wirft das Deutschland beim Impfen zurück?

Schaut man auf die erwarteten Liefermengen für Impfstoffe für das Gesamtjahr 2021, spielt es rechnerisch keine Rolle. Denn auch ohne Astrazeneca sind von Biontech/Pfizer, Johnson & Johnson und Moderna laut einer Übersicht des Bundesgesundheitsministeriums vom 22. März insgesamt 215 Millionen Dosen zugesagt.

Aber: Im Wettlauf mit der Verbreitung neuer Virusvarianten kommt es jetzt auf Tempo an. Astrazeneca will von April bis Juni bis zu 15 Millionen Dosen liefern, Biontech/Pfizer 40, Moderna 6,4 und Johnson & Johnson 10 Millionen. Bei diesem beachtlichen Anteil von Astrazeneca hängt das Gesamtimpftempo in Deutschland jetzt davon ab, wie groß die Bereitschaft der über 60-Jährigen ist, sich damit impfen zu lassen. Warten alle auf Termine mit Biontech und Co., wird es zäh.

Kommen über 60-Jährige durch die neuen Regeln denn jetzt automatisch früher zum Zug?

Wie schnell es geht, kommt auf das Bundesland an. Momentan sind in der Impfreihenfolge nach den über 80-Jährigen eigentlich erst einmal die über 70-Jährigen an der Reihe. Die Bundesländer können bei Astrazeneca nun aber davon abweichen und auch schon für Menschen ab 60 aktuelle Impftermine vergeben. Das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen macht das ab Samstag. Laut Statistischem Bundesamt gibt es in Deutschland rund 10,5 Millionen Menschen im Alter zwischen 60 und 70 Jahren.

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist 66. Lässt Sie sich jetzt mit Astrazeneca impfen?

Über 60-Jährige sollten das Impfangebot auch wahrnehmen und könnten Vorbild sein, hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Dienstag gesagt und damit indirekt auch eine Aufforderung an die Kanzlerin ausgesprochen. Dazu gefragt, verwies sie anschließend auf frühere Aussagen. Sie habe gesagt, wenn sie dran sei, lasse sie sich impfen, "auch mit Astrazeneca". "Die Möglichkeit, sich impfen zu lassen, ist für mich nähergerückt. Das ist richtig", fügte Merkel hinzu. Eine öffentlichkeitswirksame Impfaktion wie bei hochrangigen Politikern in anderen Ländern ist in Deutschland bisher nicht angekündigt.

Kommt Astra für unter 60-Jährige denn gar nicht mehr in Frage? Doch. Zwar soll der Impfstoff nach der neuen Vorgabe jetzt vor allem bei Menschen über 60 zum Einsatz kommen. Wenn ein jüngerer Mensch, der schon jetzt in der Impfreihenfolge dran ist, weil er zum Beispiel zu einer bestimmten Berufsgruppe gehört, sich dafür entscheidet, kann er nach Absprache mit der Ärztin oder dem Arzt auch Astrazeneca bekommen.

Was tue ich, wenn ich schon die Erstimpfung mit Astrazeneca erhalten habe? Über 60-Jährige können auch die zweite Dosis von Astrazeneca bekommen, heißt es vom Bundesgesundheitsministerium. Auch Jüngere, die schon die erste Dosis bekommen haben, können das nach Rücksprache mit dem impfenden Arzt "und bei individueller Risikoanalyse nach sorgfältiger Aufklärung" tun. Die zweite Möglichkeit: Warten auf eine Expertenempfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) am Robert Koch-Institut.

Da die Astra-Impfung in Deutschland im Februar begonnen hat und zwölf Wochen Abstand zur zweiten Dosis empfohlen werden, steht für die meisten der zweite Piks erst ab Mai im Kalender. Die Stiko will vorher eine Stellungnahme zur Zweitimpfung vorlegen, auch ob es eventuell möglich ist, für die Zweitimpfung ein anderes Präparat zu verwenden.

Wäre das denn theoretisch möglich?

Es gibt schon länger Überlegungen, für einen besseren Schutz etwa gegen neue Virusvarianten verschiedene Impfstoffe zu kombinieren. Also zum Beispiel auf eine erste Dosis Astrazeneca eine zweite von Biontech/Pfizer zu spritzen. "Rein immunologisch ist das unproblematisch, denn sie beruhen letztlich auf dem gleichen Impfantigen", hatte der Erlanger Infektionsimmunologe Christian Bogdan als Mitglied der Stiko gesagt. Die Wirksamkeit von Kombinationen werde derzeit in Studien untersucht. Britische Forscher zum Beispiel testen seit Anfang Februar in einer klinischen Studie die Impfstoff-Wirksamkeit bei der Kombination von Biontech und Astrazeneca in unterschiedlicher Abfolge als erste und zweite Dosis.

Was hat es eigentlich mit den Blutgerinnseln, über die berichtet wird, konkret auf sich?

Nach Angaben des für Impfstoffe zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts wurde bei "sehr wenigen Geimpften" überwiegend im Alter unter 55 Jahren nach der Impfung mit Astrazeneca "eine sehr seltene Form" einer Thrombose beobachtet. Es geht vor allem um sogenannte Hirnvenenthrombosen auch in Verbindung mit einem Mangel an Blutplättchen (Thrombozytopenie). Dies sei unter Geimpften häufiger aufgetreten, "als es zahlenmäßig aufgrund der Seltenheit dieser Gerinnungsstörung ohne Impfung zu erwarten wäre". Das Institut sagt aber auch, es gebe derzeit "keinen Nachweis, dass das Auftreten dieser Gerinnungsstörungen "durch den Impfstoff" verursacht worden sei.

Stand Montag gab es 31 Verdachtsfälle. In 19 Fällen wurde zusätzlich eine Thrombozytopenie gemeldet. In neun Fällen war der Ausgang tödlich. Mehr als 2,8 Millionen Menschen wurden laut Robert Koch-Institut inzwischen mindestens einmal mit Astrazeneca geimpft. Insgesamt haben fast zehn Millionen Menschen im Land bisher eine Erstimpfung erhalten. Mehr als vier Millionen sind zweimal geimpft.

Die Fälle traten ja vor allem bei Frauen auf, warum sollen dann auch Männer unter 60 nicht mehr damit geimpft werden?

Es ging bei fast allen Verdachtsmeldungen um Frauen im Alter von 20 bis 63 Jahren. Aber zwei Fälle betrafen auch Männer im Alter von 36 und 57 Jahren. In einem Beschlussentwurf der Stiko, der am Dienstag vor der neuen Impfempfehlung durchgesickert war, hatte es geheißen: "Obwohl deutlich mehr Frauen betroffen waren schränkt die Stiko vorsorglich ihre Empfehlung für beide Geschlechter ein."

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