Berlin. Die deutsche Wirtschaft schwächelt, ihre Hoffnungen ruhen deshalb auch auf Sportfans aus dem Ausland – und der Nationalmannschaft.

Mickrige 0,2 Prozent Wachstum erwartet Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in diesem Jahr von der deutschen Wirtschaft. Kommt etwas dazwischen, droht die Rezession. Ein konjunktureller Hoffnungsschimmer könnte die Fußball-Europameisterschaft der Männer sein, die vom 14. Juni bis zum 14. Juli in zehn deutschen Städten ausgetragen wird. Doch taugt das sportliche Großereignis tatsächlich als Konjunkturspritze?

Oliver Holtemöller, Leiter der Abteilung Makroökonomik und Vizepräsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), bezweifelt das. „Untersuchungen zu vorherigen Sportgroßereignissen kommen zu dem Ergebnis, dass die ökonomischen Effekte insgesamt eher gering sind. Häufig ist sogar der finanzielle Aufwand gesamtwirtschaftlich größer als der zusätzliche Umsatz“, sagte Holtemöller dieser Redaktion. Deutschland komme zugute, dass Infrastruktur und Spielstätten vorhanden seien.

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Deshalb dürften sich die Ausgaben dafür unter denen vorheriger vergleichbarer Großereignisse bewegen, prognostiziert der Ökonom. „Unter dem Strich könnte die EM 2024 in Deutschland somit mit einem kleinen wirtschaftlichen Plus einhergehen.“ Ein großer konjunktureller Push sei davon zwar nicht zu erwarten, so Holtemöller weiter. „Je nach Turnierverlauf wäre aber auch schon eine gesellschaftliche Stimmungsaufhellung durch begeisternde sportliche Erfolge ein Pluspunkt für die aktuell unter eher schlechter Stimmung leidende Konjunktur.“

Fußball-EM 2024: Ausgaben ausländischer Touristen besonders relevant

Eine Berechnung, die das IWH exklusiv für diese Redaktion aufgestellt hat, sieht touristischeMehreinnahmen in Höhe von 250 Millionen Euro für ganz Deutschland. „Für die kurzfristigen gesamtwirtschaftlichen Effekte sind insbesondere die Ausgaben ausländischer Touristen relevant, da bei inländischen Besuchern davon auszugehen ist, dass es sich nicht vollumfänglich um zusätzliche Ausgaben handelt, sondern dass der Stadionbesuch andere Konsumausgaben zumindest teilweise ersetzt“, so der Experte.

Oliver Holtemöller ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Leiter der Abteilung Makroökonomik am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH).
Oliver Holtemöller ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Leiter der Abteilung Makroökonomik am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). © picture alliance/dpa | Hannes P Albert

Für seine Beispielberechnung geht der Ökonom davon aus, dass von den 2,7 Millionen verkauften Tickets gut die Hälfte an Fans anderer Nationen gegangen ist – und dass jeder dieser Ticketinhaber zwei Spiele schaut. Demnach rechnet Holtemöller mit 650.000 ausländischen EM-Touristen in diesem Sommer. Hinzu kämen noch Gäste, die ohne Stadion-Ticket anreisen und an Public-Viewing-Veranstaltungen teilnehmen würden. Nicht enthalten in der Berechnung sind dem IWH zufolge Ticketerlöse und der Konsum innerhalb der Spielstätten. Zusätzlichen wirtschaftlichen Einfluss hätten zudem Personaleinstellungen etwa bei Sicherheitsdiensten sowie die schon vor Turnierbeginn getätigten Investitionen an den einzelnen Standorten.

Wie hoch die Ausgaben der öffentlichen Hand für das Turnier sind, kann das für Sport zuständige Bundesinnenministerium auf Anfrage nicht benennen. Der Bund verweist in einer Anfrage der Linken auf eigene Ausgaben in Höhe von fast 40 Millionen Euro für das Sportereignis. Das Geld fließt zum Beispiel in Veranstaltungen gegen Rassismus, Kulturprojekte, das Rahmenprogramm selbst, aber auch in Fahrradinfrastruktur. Hinzu kommen Ausgaben, die Städte und Bundesländer zu großen Teilen finanzieren. Stuttgarts Gesamtaufwand für den Stadionumbau beläuft sich inzwischen auf gut 140 Millionen Euro, Hamburg investiert 25 bis 30 Millionen Euro und Berlin rund 82 Millionen Euro in Olympiastadion und Fanfest.

Europameisterschaft: Was das Fußballturnier den deutschen Steuerzahler kostet, ist unklar

Zusätzlich zu den Spielstätten planen die Städte Ausgaben für Themen wie Mobilität, Verwaltung oder Fanzonen: Düsseldorf gut 20 Millionen, München 21 Millionen und Frankfurt 30 Millionen. Vollständig ist die Liste nicht, aber leicht kommt man so auf mehr als eine Viertelmilliarde Euro, mit der die EM den Steuerzahler belastet.

Der Turnierveranstalter, die Uefa, kann auf Anfrage keinen möglichen volkswirtschaftlichen Effekt durch das Turnier in Deutschland benennen, verweist aber auf Studien vergleichbarer Fußballevents. In Amsterdam, einem der Spielorte der Euro 2020, die aufgrund der Pandemie ein Jahr später ausgetragen werden musste, brachten vier Spiele der Stadt und den Niederlanden einer PWC-Analyse zufolge Mehreinnahmen in Höhe von 41,3 Millionen Euro. Wegen coronabedingter Auflagen waren in der Amsterdamer Johan-Cruyff-Arena aber nur ein Viertel der sonst üblichen 55.865 Plätze belegt.

Im selben Jahr sorgten Fußballfans in Rom bei vier Spielen für 169 Millionen Euro Mehreinnahmen in der Stadt. Ohne die Pandemie wären es 80 bis 100 Millionen Euro mehr gewesen, die Besucher wohl allein im Tourismussektor der Stadt zusätzlich ausgegeben hätten, schätzten die Studienautoren der dortigen Universität.

Was haben Fußballturniere in anderen Ländern wirtschaftlich gebracht?

2016 in Frankreich, als die Fußballeuropameisterschaft unter pandemiefreien Bedingungen ausgetragen wurde, berechneten Volkswirte einen konjunkturellen Einfluss in Höhe von 1,2 Milliarden Euro. Gut 626 Millionen davon waren auf touristische Mehreinnahmen zum Beispiel durch Übernachtungen und Restaurantbesuche von Fans aus anderen Ländern zurückzuführen. Der Rest auf infrastrukturelle und organisatorische Ausgaben.

Der Deutsche Städtetag hält neben wirtschaftlichen Effekten auch weiche Impulse durch die Europameisterschaft für denkbar. Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy sagte dieser Redaktion, das Land würde durch das Turnier weltweit wahrgenommen. „Dieses Image als weltoffener und guter Gastgeber wirkt langfristig: für Deutschland und die Städte als Wirtschaftsstandort“, so Dedy. Auf einen Imagegewinn für die Bundesrepublik hofft auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) – und auf ein gutes Abschneiden der Nationalmannschaft. Dann könnte das Turnier auch innerhalb der deutschen Bevölkerung eine „positive psychologische Wirkung“ entfalten, so DIHK-Konjunkturexperte Jupp Zenzen.