Wolfsburg. Überraschungen der Saison, Entwicklung des Teams und neue Pläne – darüber spricht der Cheftrainer des Wolfsburger Eishockey-Erstligisten.

Mike Stewart (50) hat den Grizzlys Wolfsburg in den ersten beiden Jahren seiner Amtszeit ihre Identität als hart arbeitende, aggressiv spielende und leidenschaftlich auftretende Mannschaft zurückgegeben. In der zweiten Saison nacheinander erreichte der Cheftrainer mit seinem Team das Halbfinale in der Deutschen Eishockey-Liga. Im Gespräch mit unserer Zeitung blickt der gebürtige Kanadier auf die abgelaufene Saison zurück, wirft aber vor allem schon einen Blick auf 2023/24.

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Mike Stewart über ...

… die positiven Überraschungen in 2022/23: „Justin Pogge war eine. Unsere Torwart-Situation war wegen des plötzlichen Karriereendes Chet Pickards im Sommer unangenehm. Wir mussten dann eine Ausländerlizenz einsetzen und holten Pogge. Er hat eine große Rolle gespielt, ist ein erfahrener Spieler und Leader. Wenn er gespielt hat, hat er zwar immer mal einen Schnitzer gehabt. Aber er war uns ein guter Rückhalt. Laurin Braun war für mich die größte positive Überraschung. Ich war mir nicht sicher, wo ich ihn einsetzen würde. In der Vorbereitung hat er aufgrund von Ausfällen die Chance bekommen, in vorderen Sturmreihen zu spielen. Die hat er genutzt. Er war nicht mehr wegzudenken aus diesen Reihen. Er ist ein super Vorbild.“

… das Zusammenwachsen der Mannschaft zu einer Einheit in der abgelaufenen Saison trotz schwierigster Umstände wie vor allem dem Fall Rhett Rakhshani (sofortiges Karriereende wegen der Krebserkrankung der Ehefrau) und dem unerwarteten kurzfristigen Rücktritt Chet Pickards und zeitweise vieler Verletzungen: „Emotional hatten wir viele Ups and Downs. Zum Glück haben wir trotzdem ziemlich konstant gepunktet. Richtig beeindruckt hat mich, wie sich die Mannschaft gefangen hat. Nach schlechten Spielen sie ihre Fehler korrigiert und ist zusammengewachsen.“

„Zum richtigen Zeitpunkt“ alle in Form

… die Entwicklung im taktischen und spielerischen Bereich: „Unsere spielerische Linie zu finden, hat in den ersten Wochen eine Weile gedauert. Im Unterschied zur Vorsaison haben wir aufgrund der personellen Veränderungen nicht mehr ganz so körperbetont gespielt, dafür waren wir aber im Sturm schneller und besaßen höhere spielerische Qualitäten. In der Abwehr dauerte es eine Weile, bis wir schnell hinten herausspielten, wir wir es uns vorgenommen hatten. Insgesamt ist von Mitte Dezember an unsere Defense als Team immer besser geworden, weil sich unser Stellungsspiel im Forecheck verbessert hatte. Anfangs waren wir da noch ein bisschen wild gewesen. Zwischendurch gab es immer Phasen, in denen der eine oder andere Mannschaftsteil Schwankungen unterlag. Mal standen wir hinten gut, schossen aber nur wenige Tore. Dann klappte die Torproduktion, aber wir bekamen zu viele Gegentreffer. Ende Januar/Anfang Februar, zum richtigen Zeitpunkt in der Saison, riefen jedoch alle Mannschaftsteile ihr Potenzial ab. Das hing auch damit zusammen, dass die Champions Hockey League vorbei war und wir unseren Fokus nur noch auf die DEL zu legen brauchten. Da kamen wir ins Laufen und spielten uns in die Top 6. Der Prozess stimmt.“

… seine Pläne, wie er die Mannschaft in der nächsten Saison weiterentwickeln möchte: „Erst einmal haben uns die schwierigen Umstände in der vergangenen Saison, die sich hoffentlich nicht wiederholen, stärker im Umgang mit Negativerlebnissen gemacht. Wir sind durch diese Erfahrungen gereift und stärker geworden als Team. Uns geht es darum, die richtigen neuen Spieler für unser Team zu finden. Taktisch werden wir hingegen nicht viel ändern. Unser Spielsystem und unsere Identität behalten wir bei. In der Vorbereitung und im ersten Monat der DEL-Saison werden wir Trainer und Manager schauen, ob das System 1:1 zur Mannschaft passt. Wenn nicht, werden wir Anpassungen vornehmen.“

U23-Profis, die zur Identität passen

… die Rolle der künftigen drei neuen U23-Profis (Neuzugänge Julian Chrobot aus Köln, Jimmy Martinovic aus Bietigheim und Timo Ruckdäschel aus München/alle Transfers noch unbestätigt, Anmerkung der Redaktion) im Kader, für die drei der 19 Feldspieler-Plätze im Spieltagskader reserviert sind, deren Vorgänger in der vergangenen Saison aber ganz unterschiedlich Eiszeit hatten mit Luis Schinko (im Schnitt 14:12 Minuten pro DEL-Match), Philipp Mass (7:44) und Valentino Klos (4:09): „Die neuen U23-Spieler müssen sich ihre Eiszeit auch verdienen. Zu Saisonbeginn hole ich sie immer zu mir ins Büro und sage: ,Jungs, eure Entwicklung steht an erster Stelle. Das ist uns wichtig. Wir wollen aber auch gewinnen. Ihr werdet eure Chance bekommen, die müsst ihr nutzen. Sonst wird es eng.’ Es ist schwer, U23-Profis zu finden, die sofort auf DEL-Niveau spielen können. Unser Manager Charly Fliegauf und Teammanager Sebastian Furchner haben sich sehr bemüht, gute Eishockey-Spieler mit gutem Charakter zu bekommen, die zu unserer Grizzlys-Identität passen.“

… die krassen Ausreißer nach oben bei der Eiszeit für einige Spieler wie die Verteidiger Jordan Murray (durchschnittlich 26:36 Minuten pro Match) und Nolan Zajac (24:08) und die künftige Verteilung der Einsatzzeit: „Aufgrund von Verletzungen war es nötig geworden, einigen Spielern mehr Eiszeit zu geben als normal. Wenn wir voll besetzt sind, verteilt sich die Eiszeit besser, obwohl einige Spieler immer mehr spielen werden als andere. Das wird auch in Zukunft so sein bei uns.“

Weniger Belastung = weniger Verletzungen?

… die im Vergleich zum Vorjahr andere Ausgangslage (keine CHL-Teilnahme, nur 14 statt 15 Teams in der DEL) für die Vorbereitung und das Training in der Saison: „Die Vorbereitung wird wieder so sein wie in normalen Jahren. 2022/23 hatten wir quasi eine NHL-Saison mit 78 Partien und vier Testspielen. Das hatte den Terminplan sehr eng werden lassen. Im vergangenen Sommer hatten wir statt fünf nur drei Wochen zur Vorbereitung, dann begann schon die CHL, in der wir auch Erfolg haben wollten. Während der Saison konnten wir kaum richtig trainieren. Unsere Mannschaft hat im Grunde durch die Videoanalyse gelernt. Um den Jungs immer genügend Zeit zur Regeneration zu geben, trainierten wir bis Januar fast nie drei Tage in Folge, was eigentlich ein normaler Rhythmus ist. Das können wir nun wieder anders handhaben und fangen mit fünfeinhalb Wochen Vorbereitung Anfang August an. Dadurch, dass wir in der kommenden Saison eine Mannschaft weniger in der DEL sind und sich die Zahl der Hauptrunden-Spiele von 56 auf 52 reduziert, fallen Wochentagsspiele weg. So verringert sich die Belastung für die Spieler ein bisschen. Die Hoffnung vieler Trainer ist es, dass auch die Zahl der Verletzungen sinkt.“

… die Verzahnung der Grizzlys-Profis mit der Nachwuchsabteilung Young Grizzlys im EHC Wolfsburg e. V., die nach dem Aufstieg der U20 in die Deutsche Nachwuchsliga (DNL) 2 und dem Klassenerhalt der U17 in der Division I besser aufgestellt ist denn je: „Wir haben trotz unserer vielen Spiele in der vergangenen Saison ein paar Jungs aus dem Nachwuchs in unser Training eingeladen, um ihnen die Perspektive aufzuzeigen. Die Zusammenarbeit zwischen den Grizzlys und den Young Grizzlys ist enorm wichtig für die Zukunft. Durch den Aufstieg der U20 verlieren wir hoffentlich nicht mehr so viele Talente. Bisher haben uns viele nach der U17 verlassen. Wir als Profiklub wollen selbst von unserem Nachwuchs profitieren. Direkt in die DEL aufzusteigen, wird aber schwer. Der normale Weg ist, sich über die Oberliga oder die DEL 2 weiterzuentwickeln. Junge Spieler mit Talent und Ehrgeiz müssen ihren Weg nach oben finden. Aber wir könnten zum Beispiel Spieler in die U23-Regelung aufnehmen und dann ausleihen.“