Berlin. Trotz vieler Verspätungen könnten in diesem Jahr so viele Menschen wie nie mit der Bahn fahren. Dabei ist die überalterte und störanfällige Infrastruktur der hohen Nachfrage nicht gewachsen. Die Bahn muss sanieren - und die Fahrgäste müssen zunächst weiter warten.

Den Zustand auf der Schiene in Deutschland redet auch die Deutsche Bahn nicht mehr schön. „Die Eisenbahninfrastruktur ist in einem kritischen Zustand und den Ansprüchen an Qualität und Kapazität nicht gewachsen“, sagte Konzernchef Richard Lutz bei der Präsentation der Geschäftszahlen für 2022.

Die Pünktlichkeit ist schlecht, die Infrastruktur an vielen Stellen baufällig und überlastet. Dazu kommt ein Tarifstreit mit der Bahngewerkschaft EVG samt großem Warnstreik am vergangenen Montag - die Zeiten bei der Bahn sind turbulent. Doch Milliardenzusagen des Bundes sorgen für Zuversicht.

Mehrfach betonte Verkehrsminister Volker Wissing, dass der Bund dem Konzern im kommenden Jahr jeden Euro zur Verfügung stellen werde, den er braucht, um die Kapazität des Schienennetzes zu erweitern. „Und dann werden wir das gleiche auch für 2025 in den Blick nehmen“, sagte der FDP-Politiker. Der Koalitionsausschuss hat den Finanzbedarf der Bahn vor wenigen Tagen auf 45 Milliarden Euro bis 2027 beziffert. Das Geld soll zum Teil aus der Lkw-Maut kommen, die dafür erhöht wird.

Bahnchef Lutz zeigte sich über den Kompromiss erfreut. Die Finanzierung werde vereinfacht, Bauvorhaben beschleunigt. Gleichwohl: Ob die Mittel ausreichen, den jahrelangen Investitionsstau abzubauen, ist umstritten.

Generalsanierungen ab 2024

Für spürbare Verbesserungen im Betriebsablauf sollen bald Generalsanierungen auf besonders wichtigen Strecken sorgen. Im Sommer 2024 geht es auf der Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim los, einer Hauptschlagader im Schienennetz.

Generalsanierung bedeutet: Die Strecke wird für mehrere Monate komplett gesperrt, in dieser Zeit dann aber vollständig erneuert - selbst die Teile, die möglicherweise noch ein paar Jahre Zeit hätten. So soll bis 2030 ein Hochleistungsnetz zwischen den deutschen Großstädten entstehen, das dem Bedarf gerecht wird.

Schon mit den ersten sanierten Strecken sollen Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit wieder deutlich steigen. Doch auf die Fahrgäste kommen für die Zeit der Vollsperrungen erhebliche Einschränkungen in Form von Schienenersatzverkehr und langen Umleitungen zu.

Trotz aller Probleme wächst die Nachfrage im Fernverkehr. Die Bahn geht für dieses Jahr von rund 155 Millionen Fahrgästen in den ICE- und IC-Zügen aus. Das wäre ein Fahrgastrekord im Fernverkehr. Im vergangenen Jahr wurden dort rund 132 Millionen Reisende befördert. Im bisherigen Rekordjahr 2019 waren es 151 Millionen.

Die Bundesregierung will laut Koalitionsvertrag die Zahl der Fahrgäste im Fernverkehr auf der Schiene bis 2030 im Vergleich zu 2015 verdoppeln. „Die Bahn ist in einer glücklichen Situation, da die Kundinnen und Kunden Schlange stehen. Der Personenverkehr nimmt kontinuierlich zu, auch der Güterverkehr könnte weiter zunehmen“, sagte Wissing. Bei der Pünktlichkeit im Fernverkehr strebt Lutz für 2023 eine Quote von „deutlich oberhalb der 70 Prozent“ an.

Schenker hat positiven Einfluss aug Gesamtbilanz

Wirtschaftlich bleibt die Lage bei der Bahn angespannt. Im operativen Geschäft schrieb der bundeseigene Konzern 2022 zwar wieder schwarze Zahlen. Unterm Strich stand aber ein Verlust von rund 227 Millionen Euro. Dass das Minus nicht größer war, lag an der Logistiktochter DB Schenker, die ein Rekordergebnis einfuhr. Vor Zinsen und Steuern (Ebit) machte das Tochterunternehmen rund 1,8 Milliarden Euro Gewinn.

Derzeit prüft der Konzern „ergebnisoffen“ einen möglichen Verkauf von Schenker. Mit den erwarteten Milliardenerlösen soll vor allem der Schuldenstand abgebaut werden. Die Finanzschulden stiegen im vergangenen Jahr auf mehr als 28,8 Milliarden Euro. Für 2023 könnte der Schuldenberg laut Finanzvorstand Levin Holle auf rund 33 Milliarden Euro anwachsen. Er rechnet für 2023 mit einem konzernweiten Minus von rund einer Milliarde Euro im operativen Bereich.

Zu den Tarifverhandlungen äußerte sich Lutz entspannt. „Mein Blick auf die Tarifrunde ist ein relativ unaufgeregter.“ Der Warnstreik am Montag habe wehgetan. Er bedauere die Einschränkungen für die Kunden. Aber er sei zuversichtlich, dass auch dieses Mal eine „vernünftige und verantwortungsvolle Lösung gemeinsam mit der EVG“ gefunden werden könne.

Wegen des Warnstreiks fiel am Montag der gesamte Fernverkehr und größtenteils auch der Regionalverkehr aus. Die EVG fordert mindestens 650 Euro mehr im Monat oder zwölf Prozent mehr Geld für die oberen Lohngruppen. Die Bahn hat unter anderem angeboten, die Löhne in zwei Schritten um insgesamt fünf Prozent anzuheben. Zudem wurden Einmalzahlungen von insgesamt 2500 Euro in Aussicht gestellt. Die EVG lehnt das ab.