Berlin. Uber-Europa-Chefin Diaz sieht ihr Unternehmen als ein Partner in der Verkehrswende. Wie soll Verkehr ohne Privatautos funktionieren?

Viele Start-ups träumen davon, was der Fahrdienstleister Uber bereits geschafft hat: die Welt mit einer Idee verändern. Via App und Knopfdruck können Kunden einen Fahrer bestellen, der sie von A nach B bringt. Doch immer wieder wird auch Kritik an Uber laut: Mit einer aggressiven Preisstrategie würde Taxis Konkurrenz gemacht. Die Europa-Chefin von Uber für das Mobilitätsgeschäft, Anabel Diaz, spricht im Interview über steigende Preise, Bürokratie und welche Rolle Uber beim Klimawandel spielt.

Drei Jahre Corona-Pandemie liegen hinter uns, Menschen durften lange Zeit nicht verreisen. Wie geht es Uber heute?

Anabel Diaz: In den letzten zwei Jahren hatte die Pandemie unser Fahrtenvermittlungsgeschäft massiv beeinträchtigt, teilweise ging die Nachfrage während der Lockdowns um mehr als 50 Prozent zurück. Es gab natürlich auch immer wieder Phasen der Öffnung in den verschiedenen Ländern zwischen den Lockdowns. Und schon in diesen kurzen Phasen haben wir gesehen, dass die Nachfrage wieder gestiegen ist. Das war eine Zeit voll von Unsicherheiten, wir wussten schließlich alle nicht, wie lange uns dieses Virus begleiten wird, und wie die Gesellschaft danach aussehen würde. Trotzdem: 2022 haben wir uns komplett von der Pandemie erholt. Und nicht nur das: Wir sind sogar stärker zurückgekommen im Vergleich zu 2019. Wir wachsen. Das vierte Quartal im vergangenen Jahr war das beste seit unserer Gründung – weltweit und in Europa.

Was hat Uber in den zwei Jahren der Corona-Pandemie gemacht, als es fast keine Fahrgäste mehr gab?

Diaz: Wir haben die Zeit genutzt, um uns auf die Zeit nach der Pandemie vorzubereiten. Wir haben neue Produkte entwickelt und die neuesten Trends analysiert. Es gibt noch viel zu tun und es liegt ein langer Weg vor uns. Aber wir wollen die Mobilität in großen wie in kleineren Städten weiterentwickeln und verändern. Mobilität soll effizienter, zuverlässiger, sicherer und günstiger werden. Und sie muss vor allem nachhaltiger sein. In unserer langfristigen Planung steht nachhaltige Mobilität ganz oben.

Anabel Diaz, Uber-Europa-Chefin, hat eine Vision: weniger Privatautos, dafür mehr Uber-Kunden auf den Straßen. So soll die Verkehrswende gelingen.
Anabel Diaz, Uber-Europa-Chefin, hat eine Vision: weniger Privatautos, dafür mehr Uber-Kunden auf den Straßen. So soll die Verkehrswende gelingen. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Welche Lehren zieht Uber aus der Corona-Pandemie?

Diaz: Die Klimakrise ist ja nicht neu, aber während der Pandemie haben wir interessante Dinge gesehen: Die Menschen haben es weltweit genossen, einen gefühlt blaueren Himmel zu sehen, weniger Verkehr in den Städten zu erleben, weniger Lärm. Viele Menschen sind aus den Städten ins Umland gezogen. Menschen wurden umweltbewusster und kümmern sich seitdem mehr um den Planeten. Nicht nur die jüngere Generation. Und allen wird klar: Was wir dem Planeten antun und angetan haben, ist nicht gut – vor allem nicht für die Generationen, die nach uns kommen. Deshalb haben wir uns als Konzern ambitionierte Klimaziele gesteckt: Wir wollen in Europa bis 2030 emissionsfrei werden und weltweit bis 2040.

Ein ambitioniertes Ziel. Wie wollen Sie das schaffen?

Diaz: Das ist ein langer Weg, und den können wir nicht allein gehen. Wir übernehmen Verantwortung und uns ist bewusst, dass wir eine Vorbildfunktion haben. Und wir wollen auch mit der Industrie zusammenarbeiten. Aber die Politik muss uns unterstützen, sonst können wir den Wandel nicht schaffen. Die Infrastruktur ist nicht weit genug entwickelt – und das muss sich so schnell wie möglich ändern. Schauen wir uns zum Beispiel die Autos unserer Mietwagen-Partner hier in Deutschland an: Warum fahren noch immer viele mit einem Verbrenner und nicht mit einem E-Auto? Weil es sich für die Unternehmer nicht rechnet. Bis jetzt sind E-Autos deutlich teurer, auch wenn die Preise momentan fallen. Außerdem gibt es nur einen begrenzten Gebrauchtwagen-Markt für E-Autos – und viele unserer Partner nutzen auch gebrauchte Fahrzeuge. Aufgrund der fehlenden Infrastruktur verschwenden die Fahrer auch viel Zeit – Zeit, in der ihr Unternehmen kein Geld verdient – mit der Suche von Ladestationen und dem Aufladen der Batterien. In vielen Städten gibt es Ladestationen vor allem im Zentrum. Das klingt vielleicht zuerst logisch. Aber professionelle Fahrer brauchen Ladestationen natürlich dort, wo die Unternehmen ihren Betriebssitz haben. Und zuletzt müssen auch nicht nur unsere Partner auf E-Autos umsteigen und ihr Verhalten ändern, das müssen auch die Kunden tun. Und da muss die Politik aktiv werden, Gesetze erlassen. In Städten in Großbritannien und Frankreich beispielsweise wurden Null-Emissions-Zonen eingerichtet. Klar ist das zu Beginn vielleicht hart. Aber der Wandel muss jetzt stattfinden. Wir müssen den Klimawandel jetzt aufhalten.

Deutschland ist sehr bürokratisch. Wo würden Sie sich weniger Regeln wünschen?

Diaz: Deutschland ist für uns ein wichtiger Markt, zu dem wir stehen. Aber bestimmte Regeln, wie beispielsweise die sogenannte Rückkehrpflicht, sind schon etwas sehr Deutsches. Das verdeutlicht unser Dilemma: Dass Fahrer nach jedem Auftrag direkt und leer zu ihrem Firmensitz zurückfahren müssen, es sei denn, sie haben einen Folgeauftrag. Das ist nicht nur unwirtschaftlich für unsere Partner schlecht, sondern schädigt auch die Umwelt. Autos in der Stadt sollten doch voll sein. Und unsere Technologie kann das, unsere Algorithmen finden den besten, nächstgelegenen Match, den nächsten Fahrgast. Aber uns werden hier Steine in den Weg gelegt.

Steckt Deutschland in der Bürokratie fest?

Diaz: Deutschland tut sich schwerer mit Veränderungen als andere Länder. Viele Gesetze und Regeln gibt es hier schon sehr lange. Wir sind in guten Gesprächen mit den Verantwortlichen in den Behörden. Aber hierzulande dauert vieles länger als anderswo. Wir sehen eine positive Entwicklung und hoffen natürlich, dass sich das fortsetzt. Wir würden zum Beispiel in Deutschland gern unsere Fahrten nicht nur in den Großstädten anbieten, sondern auch auf dem Land. Und unser Projekt „Letzte Meile“ ist in Deutschland entstanden und wir haben es in viele andere Länder übertragen: Dass man mit den öffentlichen Verkehrsmitteln bis zur Endhaltestelle fährt und dann für die berühmte “letzte Meile” die Uber-App nutzt. Wir wollen aber auch weiter mit Taxis eng zusammenarbeiten. Insbesondere in Berlin und Hamburg passiert das schon besonders erfolgreich, das würden wir gern auch auf andere Städte ausweiten. Wir müssen also weiterhin Überzeugungsarbeit leisten, dass wir Teil der Mobilitätslösung sind.

Anabel Diaz: „Wir wollen in Europa bis 2030 emissionsfrei werden und weltweit bis 2040.“
Anabel Diaz: „Wir wollen in Europa bis 2030 emissionsfrei werden und weltweit bis 2040.“ © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Haben Taxis eine Zukunft?

Diaz: Absolut! Wir wollen Taxis in unsere Plattform integrieren. Das machen wir schon erfolgreich in Ländern wie Polen, Griechenland, Spanien, der Türkei, aber auch in den eben erwähnten Städten in Deutschland. In Italien haben wir zum Beispiel gerade einen Deal mit dem größten Taxi-Unternehmen des Landes abgeschlossen. Die Taxis dieses Unternehmens werden also auch über unsere Plattform buchbar sein. Der Unterschied zwischen Taxis und anderen Vermittlungsangeboten in unserer App wird auch in Zukunft sein, dass Taxis auch am Straßenrand herangewunken werden dürfen – im Gegensatz zu anderen über die App vermittelten Fahrzeugen.

Uber ist günstiger als Taxis. Wie kann man diesen Konkurrenzkampf lösen?

Diaz: Das hängt mit den regulatorischen Vorgaben zusammen. Die Preisgestaltung bei Taxis ist in vielen Ländern vorgeschrieben. Könnten die Taxi-Preise flexibler gestaltet werden, würden sie wahrscheinlich mehr Kundschaft bekommen und erschwingliche Preise bieten. Heute haben sie diese Flexibilität aber nicht. Das hat aber nichts mit Uber zu tun.

Muss der Markt dereguliert werden?

Diaz: Jeder Markt in jedem Land, teilweise sogar in jeder Stadt, ist unterschiedlich. Wir fordern mehr Flexibilität. Wenn zum Beispiel Preise variieren, kann man in Phasen, in denen gerade wenige Leute gefahren werden wollen, günstigere Angebote machen und damit vielleicht auch mehr Menschen dazu bringen, ihre Privatwagen stehen zu lassen.

Werden die Uber-Fahrpreise im Zuge der hohen Energiepreise steigen?

Diaz: Wie sich die Preise entwickeln, beobachten wir natürlich immer. Das hängt von verschiedenen Faktoren ab: Energiepreise, Inflation, Lebenshaltungskosten und so weiter. Aber ja: Dort, wo die Energiekosten gerade hoch sind, haben wir bzw. unsere Partner die Preise auch angepasst.

Das Europaparlament will mit einem neuen Gesetz die Rechte von Plattformbeschäftigten stärken und sie besser absichern. Das zielt auch gegen Uber, denn ein Großteil der Fahrer sei Schein-Selbstständig, obwohl sie eigentlich bei Uber angestellt sind, so der Vorwurf. Wie reagieren Sie darauf?

Diaz: Wir beobachten die Situation. Der ganze Prozess ist ja noch im Entstehen. Grundsätzlich gilt: Wir begrüßen das Ziel, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, aber der aktuelle Vorschlag steht im Widerspruch zu den Wünschen der Fahrer und der gesamten Branche. Denn er zielt darauf ab, in vielen Ländern Fahrer gegen ihren Willen in ein Angestelltenverhältnis zu zwingen. Sie nutzen unsere Plattform gerade, weil sie die Flexibilität schätzen. Wir geben vielen unterschiedlichen Menschen in vielen verschiedenen Lebensverhältnissen und Ausgangssituationen die Möglichkeit des Geldverdienens. Als Fahrer kann man zum Beispiel zusätzlich zu seinem normalen Job arbeiten oder auch wenn man nicht Vollzeit arbeiten will oder kann. Vielleicht erlaubt es ja auch die Familiensituation nur, dass man drei Tage die Woche arbeitet. Am Ende sind es persönliche Entscheidungen. Und es ist die überwältigende Mehrheit der Fahrerinnen und Fahrer, die deswegen unsere Vermittlungsplattform nutzt – wegen genau dieser Flexibilität. Natürlich, das sehen wir auch, muss es für die Fahrer gewisse Verbindlichkeiten und Garantien geben. In Frankreich haben wir uns beispielsweise auf Minimumstandards geeinigt. Also ja: Wir brauchen gewisse Zusagen, aber die müssen vereinbar sein mit der Flexibilität und es muss sich darin widerspiegeln, was die Fahrer wollen. Bei den gemachten Vorschlägen gehen die Bestrebungen nicht in die Richtung, die wir uns wünschen.

Könnte das eine Bedrohung für Uber in Europa sein?

Diaz: Letztlich werden wir unser Geschäft anpassen. Unser Service ist so erfolgreich, er wird nicht verschwinden. Aber es ist eine Bedrohung für die Fahrer, die unsere Plattform nutzen. Es ist eine Bedrohung für ihr Einkommen. Sie haben durch die Plattform eine Lösung gefunden, die in der Zukunft vielleicht so nicht mehr verfügbar sein wird. Das ist das, wofür wir uns einsetzen wollen. Uber ist derzeit der Anbieter, der weltweit am meisten Jobs ermöglicht, nicht nur im Mobilitätsbereich, sondern auch in vielen anderen Bereichen. Das zeigt sich daran, dass wir gerade jetzt, wo Inflation und Lebensunterhaltskosten so hoch sind, 30 Prozent mehr Fahrer auf der Plattform haben als vor Corona. Und die große Mehrheit davon sagt, dass sie gerade wegen der wirtschaftlichen Situation auf der Plattform arbeitet. Denn ihre normalen Jobs sind nicht ausreichend, um den Lebensunterhalt zu bestreiten.

In Mexiko oder Ägypten bieten Sie Bus-Shuttles an - könnte das auch in Europa funktionieren?

Diaz: Ja, das könnte funktionieren. Im Idealfall haben wir Shuttles für zum Beispiel Fabriken, die ihre Leute zwischen verschiedenen Standorten hin und her fahren müssen. So können Menschen effizient und auf Abruf transportiert werden. Das basiert auf unserem Prinzip der geteilten Mobilität – je mehr Menschen in einem Fahrzeug sind, desto weniger Autos sind letztlich auf der Straße.

Könnte das eine Ergänzung zum Öffentlichen Nahverkehr sein?

Diaz: Wir denken, dass alle diese Lösungen in der Zukunft koexistieren werden. Der öffentliche Nahverkehr wird dadurch nicht verschwinden, da er sehr effizient ist. Unsere Busse sind auch kleiner, es sind nur 9-oder 12-Sitzer. Das Angebot ist maßgeschneidert, um speziellen Anforderungen zu genügen.

Apropos speziellen Anforderungen genügen: Seit Beginn des Krieges engagiert sich Uber stark in der Ukraine. Warum?

Diaz: Als der Krieg angefangen hat, war uns eines klar: Wir wollen helfen. Wir waren Tag für Tag vor Ort und haben uns angeschaut, was die Probleme der Menschen sind. Und wir haben ein Bündel an Lösungen entwickelt. Bis jetzt haben wir 150.000 kostenlose Fahrten angeboten, um Menschen und Hilfsgüter zu transportieren. Wir transportieren Lebensmittel mit der UN, von deren Logistikzentren zu den Orten, wo diese gebraucht werden. Und wir transportieren jetzt auch Menschen, die sich um gerettete Kunstwerke in der Ukraine kümmern. Die Menschen haben sie aus den Museen gerettet und an sichere Orte gebracht. Wir bringen die Menschen zu diesen Orten. So kann das kulturelle Erbe der Ukraine gerettet werden. Wir haben bislang acht Millionen Dollar Spenden gesammelt. Und solange der Krieg andauert, machen wir weiter. Auch in der Türkei bieten wir kostenlose Fahrten für Menschen, die Blut spenden wollen. Überall dort, wo wir arbeiten, sind wir ein Teil der Gesellschaft. Deswegen wollen wir dazu beitragen, was immer sie brauchen. Wir leben alle in derselben Welt.