Berlin. Kollaps des Wirecard-Konzerns stellt die Kompetenz der Aufsichtsorgane in Frage. Angeklagte sollten aussagen und sich entschuldigen.

Schon zu Beginn des Wirecard-Prozesses steht fest, dass hier neben der Cum-Ex-Affäre einer der größten Finanzskandale in der deutschen Nachkriegsgeschichte verhandelt wird. In Folge des Zusammenbruchs des Finanzkonzerns im Juni 2020 wurden 20 Milliarden Euro Börsenwert vernichtet, zehntausende Anlegerinnen und Anleger verloren einen Teil ihres Aktienvermögens und damit nicht selten auch ihre Altersvorsorge, 5000 Beschäftigte ihre Jobs.

Noch herrscht viel Ungewissheit darüber, wie es zu dem rasanten Aufstieg und Fall des Finanzdienstleisters kommen konnte, bei dem plötzlich 1,9 Milliarden Euro nicht mehr auffindbar waren. Staatsanwälte und Richter haben hier eine Mammutaufgabe der Aufklärung vor sich.

Allein die Anklageschrift umfasst 474 Seiten. Dem Ex-Vorstandsvorsitzenden Markus Braun und seinen beiden Mitarbeitern werden Bilanzfälschung, Untreue, Marktmanipulation, gewerbsmäßiger Betrug vorgeworfen. Gleichzeitig fehlt einer der Hauptbeschuldigten und möglicher Drahtzieher auf der Anklagebank: Jan Marsalek. Der frühere Vorstand, der gute Kontakte zu Geheimdiensten haben soll, ist nach dem Zusammenbruch der Bank ins Ausland geflüchtet, untergetaucht. Er wird international vom Bundeskriminalamt gesucht – bislang erfolglos.

Wirecard-Prozess: Markus Braun sollte endlich aussagen

Beate Kranz ist Wirtschaftsredakteurin der Funke Medien Gruppe.
Beate Kranz ist Wirtschaftsredakteurin der Funke Medien Gruppe. © Reto Klar | Reto Klar

Ob die vom Münchner Landgericht angesetzten 100 Tage ausreichen, um den Fall zu klären, hängt wesentlich davon ab, wie auskunftswillig die Angeklagten sind. Bislang hat Markus Braun als Vorstandschef alle Schuld von sich gewiesen.

Bei einem Untersuchungsausschuss des Bundestags verweigerte er die Aussage, beantwortete keine Frage. Es wäre aber bei dem Strafprozess seine Pflicht als Mensch und Staatsbürger, alle Details zu den Gepflogenheiten der Bank offenzulegen.

Dies wäre er neben einer Entschuldigung auch allen Geschädigten und Mitarbeitern schuldig, die teilweise ein Großteil ihres privaten Vermögens in sein Unternehmen gesteckt hatten.

Der Kollaps von Wirecard ist aber nicht nur ein wirtschaftliches Desaster, sondern wirft auch fundamentale Fragen über die staatliche und privaten Kontrollinstanzen auf, die die Unregelmäßigkeiten des Unternehmens jahrelang nicht erkannt, kritisiert und unterbunden haben.

Keiner von den Prüfenden will die Lügen, Luftbuchungen, erfunden Geschäfte und Briefkastenfirmen gesehen haben. Und dies, obwohl es sich nicht um ein kleine Klitsche, sondern einen milliardenschweren Dienstleister handelte, der die Commerzbank aus dem wichtigsten Börsenbarometer DAX verdrängt hatte und in seiner Hybris sogar die Deutsche Bank übernehmen wollte. Hier wäre professionelles Prüfen essenziell gewesen.

Wirecard-Skandal: Auch die Aufsichtsorgane haben versagt

Wie seriös arbeitet eine der größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften EY, die Wirecard jahrelang eine einwandfreie Bilanz testiert hatte? Warum ist der Bundesfinanzaufsicht BaFin partout nichts aufgefallen? Warum keine Ungereimtheit dem Aufsichtsrat des Konzerns? War hier Ignoranz, Nicht-Sehen-Wollen oder schlichtes Unvermögen im Spiel? Alle diese Gründe können nicht akzeptiert, wenn ein Finanzsystem ordnungsgemäß und verlässlich funktionieren soll. Schließlich können fallende Banken weltweite Finanzkrisen auslösen, wie dies bei Lehman-Brothers der Fall war.

Mit Wirecard wurde durch mangelnde Aufsicht und Fehlerprüfung bei allen Bürgerinnen und Bürgern viel Vertrauen verspielt. Vertrauen, Verlässlichkeit und Vertragstreue sind aber die wesentlichen Pfeiler eines Finanzsystems. Hier dürfte im Laufe des Prozesses durch Zeugen oder Richter wohl auch der Finger in manche Wunde der Aufsichtsorgane gelegt werden. Bleibt zu hoffen, dass mit diesen neuen Erkenntnissen bestehende Mängel bei den Aufsichtsbehörden entdeckt werden – um sie dann zum Schutz aller zu beseitigen.

Dieser Text erschien zuerst bei morgenpost.de.