Berlin. Bundeskanzler Olaf Scholz versprach 400.000 neue Wohnungen. Ein Experten-Bündnis sollte helfen, stattdessen war es kostenintensiv.

Es war eine Übergabe mit Symbolcharakter: Vier Wochen ist es her, dass Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) ihre Amtskollegen der sieben wichtigsten Industrienationen zum G7-Gipfel in Potsdam empfing, um mit ihnen über die Krisen-Situation in den Städten und Gemeinden und über mehr Nachhaltigkeit zu sprechen. Als Geywitz nach dem Treffen dem Japaner Tetsuo Saito ein Holzhaus überreichte, zerbrach es kurze Zeit später in seine Einzelteile.

Ein Holzhaus wird Geywitz Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch beim Wohngipfel im Kanzleramt nicht überreichen – zu zerbrechen drohen aber Scholz Versprechungen, die er im Wahlkampf in den Vordergrund gerückt hatte: 400.000 neue Wohnungen pro Jahr wollte die Ampel-Koalition bauen, darunter 100.000 neue Sozialwohnungen.

Wohnen: Mieterbund-Präsident glaubt nicht mehr an 400.000 Wohnungen

Der russische Angriff auf die Ukraine aber hat auch für eine Zeitenwende am Wohnungsmarkt gesorgt. „Wir sind meilenweit vom Ziel der Bundesregierung entfernt, in diesem Jahr 400.000 Wohnungen zu bauen“, sagte Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes, unserer Redaktion. „Im Gegenteil. Ich gehe davon aus, dass wir weniger als 300.000 Wohnungen bauen werden – und womöglich auch weniger Sozialwohnungen als im Vorjahr, als rund 25.000 Sozialwohnungen fertiggestellt worden sind.“

Daten aus der Wirtschaft untermauern das Gefühl des Mieterbundpräsidenten. Jedes sechste Bauunternehmen musste im September Stornierungen im Wohnungsbau verzeichnen, vermeldete am Dienstag das Münchener ifo-Institut. Auch Bauzinsen sind so teuer wie seit über elf Jahren nicht mehr – im Schnitt verlangen die Banken für zehnjährige Kredite bei einer 80-Prozent-Finanzierung 3,4 Prozent, wie „Finanztest“ ermittelt hat. Sowohl große Bauträger als auch Privatpersonen legen ihre Vorhaben derzeit auf Eis.

Der Druck auf den Wohnungsmarkt steigt

Für viele Mieterinnen und Mieter insbesondere in den angespannten Wohnmärkten der Metropolen und deren Einzugsgebieten ist das eine bittere Nachricht. Zwar stiegen die Mieten nach Angaben des Statistischen Bundesamtes zuletzt mit 1,7 Prozent deutlich langsamer als die gesamte Inflation. Doch angesichts ohnehin schon überbordender Nebenkosten zahlen längst etliche Haushalte mehr als die empfohlenen 30 Prozent ihres Nettoeinkommens für das Wohnen.

Das ambitionierte Neubauziel sollte für Entspannung sorgen. Deutlich mehr Sozialwohnungen würden sich auf den Mietspiegel auswirken und die Entwicklungen bremsen, so ein Kalkül. Zudem hätte mehr Wohnraum den Druck herausgenommen. Es ist ganz anders gekommen. Durch den Zuzug der Geflüchteten aus der Ukraine würde es nach Berechnungen des Pestel-Instituts mittlerweile sogar 700.000 neue Wohnungen pro Jahr brauchen.

Bündnis liefert wenig neue Erkenntnisse

Ein breites Bündnis aus 35 Mitgliedern, darunter die Länder, Städte und Gemeinden, Mieter- und Vermieterverbände, Verbraucherschützer, Studentenwerke und Naturschutzorganisationen sollte in den vergangenen Monaten erarbeiten, wie das Bauen aller Herausforderungen zum Trotz bezahlbar bleiben kann. Am heutigen Mittwoch werden Scholz und Geywitz die Ergebnisse vorstellen. Der Abschlussbericht liegt unserer Redaktion vorab vor.

Auf 66 Seiten finden sich 187 Maßnahmen wieder. Zwar könnten sie konkrete Verbesserungen anstoßen. So sollen junge Menschen stärker gefördert werden, alte Gebäude zu erwerben. Auch wird vorgeschlagen, dass die Bundesländer Personalpools bilden, um die dezimierten Bauämter effizienter zu machen. Doch der große Wurf ist nicht dabei. Eine bessere Förderung für Innenverdichtungen, mehr Dachaufstockungen, höhere Recyclingquoten bei Baumaterialien – wirklich neu sind die Punkte nicht.

Verbände werden weiter in die Pflicht genommen

Dafür werden in dem Papier Differenzen sichtbar. Ab 2025 soll der strenge Neubaustandard des Effizienzhauses 40 gelten. Dies sei gegen den Beschluss der Bauministerkonferenz, klagen die Länder in dem Bericht. Vielen Bündnispartnern sind die strengen Klimavorschriften bei Sanierungen und beim Neubau ein Dorn im Auge. So werde das Wohnen nur weiter verteuert, argumentieren sie.

Wohngipfel gab es in der Vergangenheit häufig. Dieses Mal aber soll die Arbeit des Bündnisses mit der Abgabe des Berichts nicht enden. Das Bündnis soll weiterarbeiten – und wird damit in die Pflicht genommen, etwas zur konkreten Verbesserung derjenigen, die sich die hohe Miete kaum noch leisten können oder für die der Eigentumserwerb in unerreichbare Ferne gerückt ist, zu tun.

Bündnisarbeit kostete mehr als zwei Millionen Euro

Ob das in der Praxis aber gelingt, ist zweifelhaft. Zwar ist man im Bauministerium äußerst zufrieden mit der Arbeit. Wer sich aber bei Beteiligten umhört, der bekommt ein anderes Bild geboten. Es würden Verbände mitreden, die gar keine Ahnung vom Wohnungsbau haben, klagt ein Vertreter eines Verbands. Ein anderer wundert sich darüber, dass seine Organisation für ein völlig fachfremdes Thema Lösungen erarbeiten sollte. Und ein Dritter überlegt , ob seine Organisation nicht gleich hätte aussteigen sollen.

„Das Bündnis war zu groß angelegt, es gab zu viele Teilnehmer, die noch nie ein Haus finanziert und gebaut haben. Jetzt haben wir viele Luftschlösser, aber wenig Antworten auf die Frage, wie wir schneller und günstiger bauen können“, sagte Kai H. Warnecke, Präsident von Haus und Grund, unserer Redaktion.

Das Treffen kostete die Bündnispartner nicht nur Nerven – sondern auch Geld. Mehr als 3000 Stunden arbeiteten die Bündnispartner an dem Papier, Kosten in Höhe von mehr als 600.000 Euro entstanden. Weitere 1,5 Millionen Euro stehen für die Organisation der Treffen sowie für die Begleitung und Dokumentation des Prozesses durch das Wohnungsmarktforschungsinstitut Empirica zur Verfügung. Das geht aus internen Unterlagen hervor, die unsere Redaktion einsehen konnte. Es bleibt die Frage, wie viele Wohnungen durch diesen Aufwand tatsächlich mehr gebaut werden.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.