Frankfurt/Main. Europas Währungshüter zementieren das Rekordtief bei den Zinsen und stecken weiterhin Milliarden in Anleihenkäufe. Sorgen bereitet der EZB die Ausbreitung der Delta-Variante des Coronavirus.

Sparer im Euroraum müssen sich auf eine noch länger anhaltende Zinsflaute einstellen. EZB-Präsidentin Christine Lagarde spricht von einer Politik der "ruhigen Hand" und wirbt um "Geduld".

In der ersten Zinssitzung nach der Verabschiedung einer neuen geldpolitischen Strategie bekräftigten Europas Währungshüter am Donnerstag ihren expansiven Kurs mit Zinsen auf Rekordtief und milliardenschweren Anleihenkäufen.

Lagarde: Unsicherheit wegen Delta-Variante

"Die Erholung der Wirtschaft im Euroraum ist auf Kurs", sagte Lagarde. "Doch die Pandemie wirft weiterhin einen Schatten, zumal die Delta-Variante eine wachsende Quelle der Unsicherheit darstellt." Dies könne die Erholung in Dienstleistungssektoren dämpfen. Niemand wolle unter diesen Umständen die Geldpolitik zu früh straffen, sagte Lagarde.

Die Notenbank mit Sitz in Frankfurt hält daher den Leitzins im Euroraum auf dem Rekordtief von null Prozent. Auf diesem Niveau liegt der wichtigste Zins zur Versorgung der Kreditwirtschaft mit Zentralbankgeld inzwischen seit März 2016. Zugleich müssen Geschäftsbanken nach wie vor 0,5 Prozent Zinsen zahlen, wenn sie Geld bei der Notenbank parken.

"Es ist nicht beabsichtigt, die niedrigen Zinsen länger beizubehalten, wir wollen unser Ziel erreichen", betonte Lagarde mit Blick auf das neue flexiblere Inflationsziel, das die EZB Anfang Juli vorgestellt hatte. Die Notenbank strebt nun für die 19 Staaten des Euroraums mittelfristig eine jährliche Teuerungsrate von zwei Prozent an - und das möglichst über einen längeren Zeitraum. "Dies geht unter Umständen damit einher, dass die Inflation vorübergehend moderat über dem Zielwert liegt", bekräftigte die EZB am Donnerstag. Bislang lag das Inflationsziel der EZB bei "unter, aber nahe zwei Prozent".

Mit diesem "symmetrischen" Inflationsziel ist die Notenbank nicht mehr unmittelbar zum Reagieren gezwungen, sollten die Inflationsraten zeitweise nach oben oder nach unten von dem prozentualen Ziel abweichen. Dauerhaft niedrige Preise gelten als Risiko für die Konjunktur: Unternehmen und Verbraucher könnten dann Investitionen aufschieben - in der Hoffnung, dass es bald noch billiger wird.

"Wirtschaft und Sparer werden leider noch lange Zeit mit Negativzinsen leben müssen. Und dies trotz deutlich steigender Preise", sagte Christian Ossig, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes BdB. Die Inflation im Euroraum war zuletzt gestiegen. Aus Sicht der Währungshüter ist dieser Anstieg aber vorübergehend und auf Sonderfaktoren infolge der Corona-Krise zurückzuführen.

Mit dem neuen Zinsausblick dürften sich alle Hoffnungen auflösen, "dass es schon 2023 oder 2024 zu einer Zinserhöhung kommen kann", analysierte Andreas Bley, Chefvolkswirt des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR). "Damit verlängert sich die Belastungsprobe anhaltender Minuszinsen für Sparer und die Finanzwirtschaft."

Notkaufprogramm wird fortgesetzt

Das zu Beginn der Corona-Pandemie aufgelegte, besonders flexible Notkaufprogramm für Staatsanleihen und Wertpapiere von Unternehmen (Pandemic Emergency Purchase Programme/PEPP) mit einem Volumen von 1,85 Billionen Euro führt die EZB bis mindestens Ende März 2022 fort. Obwohl angesichts der anziehenden Konjunktur die Zweifel an der Notwendigkeit solcher Käufe wachsen, will die Notenbank das Tempo der Wertpapierkäufe im dritten Quartal deutlich erhöhen.

Die Anleihenkäufe der EZB helfen Staaten wie Unternehmen: Diese müssen für ihre Wertpapiere nicht so hohe Zinsen bieten, wenn eine Zentralbank als großer Käufer am Markt auftritt. Besonders für Staaten ist das wichtig, weil sie in der Corona-Krise milliardenschwere Rettungsprogramme aufgelegt haben, die es zu finanzieren gilt.

Nach März 2022 könnte das Kaufprogramm PEPP "möglicherweise ... in ein neues Format" übergehen, hatte Lagarde vor der EZB-Sitzung gesagt. Über die Zukunft der Anleihenkäufe sei im EZB-Rat am Donnerstag aber nicht diskutiert worden, sagte Lagarde nach der Sitzung in Frankfurt. Sie betonte: "Jede Art von Ausstieg wäre verfrüht."

Lagarde hatte bereits in der vergangenen Woche Hoffnungen auf ein baldiges Ende des Anti-Krisen-Kurses erneut eine Absage erteilt: "Es ist jetzt nicht die Zeit, um über eine Ausstiegsstrategie zu sprechen." In ihrem überarbeiteten längerfristigen Ausblick, der sogenannten Forward Guidance, betonen die Währungshüter nun den Aspekt der Beharrlichkeit. Nach Einschätzung der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) signalisiert die EZB damit: "Mit einem Ausstieg aus den ultra-expansiven Maßnahmen haben wir es auch bei fortgesetzter Konjunkturerholung nicht eilig."

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