Wolfsburg. Volkswagen setzt voll aufs E-Auto. Technikvorstand Thomas Schmall erklärt die Strategie für die Werke Salzgitter, Braunschweig und Wolfsburg.

An Elektroautos geht kein Weg mehr vorbei – einen Monat ist es her, dass Volkswagen beim Power Day verkündete, wie der Konzern das Thema Elektromobilität von allen Seiten her denkt: von der Batterie über die Ladeinfrastruktur bis hin zum Thema Energie. Von ganz wichtiger Bedeutung in dieser Strategie sind dabei die Werke in der Region Wolfsburg-Braunschweig-Salzgitter, wie der Chef der Volkswagen Group Components und VW-Technikvorstand Thomas Schmall im Interview mit unserer Zeitung erläutert. Insbesondere auf die Komponentenwerke Salzgitter und Braunschweig mussten sich neu erfinden.

Herr Schmall, war es Ziel des Power Days, den Aktienkurs von VW in die Höhe zu katapultieren?

Unser Fokus lag nicht auf dem Aktienkurs. Vielmehr wollten wir zeigen, wie wir uns in zwei für die Volkswagen E-Strategie zentralen Feldern aufstellen und was wir dort konkret umsetzen. Seit Anfang 2021 steuern wir aus dem neuen Ressort Technik heraus für den Konzern und seine Marken die Felder ‚Batteriezelle und Batteriesystem‘ ebenso wie ‚Laden und Energie‘. Beide Themen sind für den Kunden entscheidend – denn wenn wir unsere Kräfte bündeln und die Synergien in unserem Unternehmen konsequent nutzen, können wir Performance, Reichweite, Preis und Nachhaltigkeit der Batterien optimieren. Und durch den Aufbau von Schnellladenetzen in Europa, Amerika und Asien dazu beitragen, dass fehlende Lademöglichkeiten kein Kaufhindernis mehr sind.

Der Power Day bei Volkswagen Mitte März fand weltweit Beachtung. Technik-Vorstand Thomas Schmall und seine Kollegen stellten gemeinsam mit VW-Partnern vor, wie der Konzern das Thema Elektromobilität umsetzt: vom Thema Batterie über die Ladeinfrastruktur bis hin zum Thema Energie.
Der Power Day bei Volkswagen Mitte März fand weltweit Beachtung. Technik-Vorstand Thomas Schmall und seine Kollegen stellten gemeinsam mit VW-Partnern vor, wie der Konzern das Thema Elektromobilität umsetzt: vom Thema Batterie über die Ladeinfrastruktur bis hin zum Thema Energie. © Volkswagen AG

Waren Sie trotzdem überrascht, dass Anleger und Investoren davon derart begeistert waren?

Wir wollten mit Inhalten überzeugen. Unsere Technologie-Roadmap haben viele Experten und auch die Börse honoriert. Der Power Day war für Volkswagen ein neues und mutiges Format – und ein Lernprozess. Die Erwartungshaltung der Zuschauer konnten wir im Vorfeld nur schwer einschätzen. Wir haben weltweit mehr als drei Millionen Menschen erreicht, davon war die Hälfte aus Asien zugeschaltet. Während der Veranstaltung schaute ich immer wieder auf mein Handy und mein iPad, wie der Power Day in den sozialen Medien aufgenommen wird. Dort wurde unglaublich viel berichtet und kommentiert. Vor allem bei jungen Zuschauern ging der Power Day viral.

Eine Erkenntnis für viele Zuschauer dürfte sein, dass Tesla für VW eben doch nicht so uneinholbar ist...

Es war wichtig, unseren Kunden zu zeigen, wie tief wir bereits in Themen wie die Batterie-Zellchemie eingetaucht und wie konkret unsere Planungen sind. Mich persönlich hat gefreut, dass Menschen mich auf der Straße angesprochen und gesagt haben, sie seien stolz, dass aus unserer Region solche großartige Entwicklungen kommen. Dieses Gefühl war in den vergangenen Jahren sicher zum Teil abhandengekommen, Volkswagen hat ja auch einen leidvollen Weg zurückgelegt.

Der Power Day war nicht das einzige neue Format aus der Volkswagen Komponente. Angelehnt an die TV-Show „Höhle der Löwen“, in dem Gründer um die Gunst von Investoren buhlen, gab es kürzlich einen Ideenwettbewerb. Mitarbeiter-Teams können ihre Ideen für die Transformation der Komponenten-Fertigung vorstellen. Darf man nun unterstellen, dass VW-Veranstaltungen künftig unterhaltsamer werden?

Für mich ist jede und jeder Volkswagen-Beschäftigte eine Führungskraft – jeder für sich in seinem Verantwortungsbereich. Das will ich nutzen, um Ideen und Kreativität freizusetzen. Es gibt bei der Komponente ein unglaubliches Potenzial an Ideen. Der Unterhaltungs-Charakter unseres Ideenwettbewerbs „Transform Minds“ ist wichtig, um die Inhalte attraktiv zu machen. Unsere Mitarbeiter sind beim Ideenwettbewerb zu Höchstform aufgelaufen – weil die Motivation stimmt. Wir haben es auch mit diesen neuen Formaten schon ein gutes Stück geschafft, die Komponente vom Staub vergangener Tage zu befreien. Und wir haben ja auch ein spannendes Produktportfolio.

Beim Power Day wurde für den Standort Salzgitter die wichtige Nachricht verkündet, dass die neue Gigafabrik hochgefahren wird. Sie soll nicht mehr wie ursprünglich angekündigt nur 16 Gigawattstunden pro Jahr herstellen, sondern bis zu 40 Gigawattstunden Einheitszellen für den Volumenmarkt. Allerdings will Volkswagen das Werk dafür nicht mehr gemeinsam mit dem schwedischen Partner Northvolt betreiben. Was ist der Grund?

Wir haben – auch aufgrund des europäischen Green Deal, den Volkswagen unterstützt – viel höhere Kapazitätsbedarfe für Batteriezellen in Europa. Vor dem Green Deal gingen wir allein für die Marke Volkswagen von einem Elektrofahrzeug-Anteil von 35 Prozent in 2030 aus. Nun rechnen wir mit doppelt so vielen Elektrofahrzeugen – also 70 Prozent. Vor diesem Hintergrund haben wir die Entscheidung, welche Batterie wir wo produzieren, überprüft und angepasst. Wir werden mit unserem Partner Northvolt im schwedischen Skellefteå – wo Northvolt bereits aktiv ist – die nachhaltige Produktion unserer Premiumzellen aufbauen. Wir bündeln also unsere Kräfte – an einem mit Wasserkraft betriebenen Standort. Und spielen Salzgitter frei für die Einheitszelle, die wir hier in der Region an mehreren Standorten benötigen.

Wann ist der Start der Gigafabrik in Salzgitter?

In Salzgitter werden wir ab 2025 Einheitszellen für das Volumensegment produzieren. Wir planen ja ein einheitliches Zellformat für bis zu 80 Prozent aller Fahrzeugbatterien im Konzern. Das bedeutet eine identische Form mit variablem Inhalt – je nach Innovationsstand und Kundenbedürfnis!

Die Kapazitäten für die Gigafabrik in Salzgitter wurden ja enorm erhöht. Wie lauten die Ausbaustufen?

Ursprünglich lautete die Planung, gemeinsam mit Northvolt zunächst 16, dann in der Ausbaustufe bis zu 24 Gigawattstunden jährlich zu produzieren. Aber wir werden eben viel mehr Batterien brauchen. Deswegen erhöhen wir die Kapazität auf rund das Doppelte.

Ein Blick in die Batteriezellentwicklung und -fertigung im Werk Salzgitter. Hier sowie noch an fünf weiteren Standorten will VW ab 2025 die Einheitszelle für das Volumensegment produzieren. Diese Batterie bis zum Jahr 2030 in bis zu 80 Prozent aller E-Fahrzeuge des gesamten Konzerns verbaut werden.
Ein Blick in die Batteriezellentwicklung und -fertigung im Werk Salzgitter. Hier sowie noch an fünf weiteren Standorten will VW ab 2025 die Einheitszelle für das Volumensegment produzieren. Diese Batterie bis zum Jahr 2030 in bis zu 80 Prozent aller E-Fahrzeuge des gesamten Konzerns verbaut werden. © Volkswagen AG

Alles auf dem gleichen Gelände?

Ja. Es ist faszinierend, welche Quantensprünge im Fertigungsprozess der Batterie möglich sind. Wir können kostensparende Innovationen umsetzen. Ein Beispiel: Wenn wir von Nass- auf Trockenbeschichtung gehen, entfallen mehrere Prozessschritte. Darin liegt enormes Potenzial, wir sparen 30 Prozent Invest und 50 Prozent Fläche. Ich freue mich darauf, dass wir in Salzgitter die ersten sein werden, die das einsetzen. Jahrelang war Salzgitter beim Motor der Ersteinsetzer. Nun machen wir von Salzgitter aus mit der Batteriezelle den großen Aufschlag und rollen von dort alles weiter aus. In der ersten Ausbaustufe werden dort bis zu 1500 Mitarbeiter tätig sein.

Und parallel dazu wird in Salzgitter auch noch das Batterie-Recycling aufgebaut. Ist dies das Leitwerk für weitere VW-Standorte?

Ja, genau das ist die Idee. Wir haben die Pilotanlage Recycling Anfang des Jahres eröffnet, das Invest beträgt rund sechs Millionen Euro. Die Anlage ist wichtig im Sinne unserer Gesamtstrategie E-Mobilität. Wenn genug Zellen im Umlauf sind, können wir aus den gebrauchten Zellen wertvolle Materialien zurückholen und in neuen Zellen wiederverwenden. Wir wollen bis zu 95 Prozent der wertvollsten Rohstoffe recyceln – das schont Ressourcen- und natürlich Kosten. Weil die E-Mobilität noch jung ist, haben bisher noch nicht so viele Fahrzeugbatterien das Ende ihrer Lebensdauer erreicht. Entsprechend werden wir die Recyclinganlage in Salzgitter in den nächsten Jahren schrittweise ausbauen und weitere Anlagen prüfen.

Und schließlich hat VW in Salzgitter auch das Center of Excellence (CoE) Batteriezelle errichtet.

Genau, wir bündeln dort seit 2019 die konzernweite Verantwortung für Forschung, Entwicklung, Fertigungskompetenz sowie für die Erprobung, Beschaffung und Qualitätssicherung. Wir sind mit der Zelle inzwischen auf „Du und Du“ und treiben die Weiterentwicklung verschiedener Batterietechnologien voran. Perspektivisch werden im Center of Excellence bis zu 1000 Mitarbeiter beschäftigt sein.

In Salzgitter konzentriert sich also die gesamte Entwicklung rund ums Thema Batterie?

Wir haben Forschung, Entwicklung, Produktion und Recycling perspektivisch an einem Ort. Das ist natürlich ideal, alle Standorte sind schnell erreichbar, die Menschen kennen sich, arbeiten zusammen. Das ist eine ganz andere Geschwindigkeit, die wir auf diese Weise erreichen.

Und insbesondere für die Zellfertigung sollen Mitarbeiter aus der Motorenproduktion sukzessive qualifiziert werden, um den Arbeitsplatz zu wechseln?

Das ist uns in Braunschweig auch schon gelungen. Hier haben wir zahlreiche Kollegen zum Beispiel aus der Kunststofffertigung für die neue Batteriesystemfertigung weiterqualifizieren können.

Nehmen Sie allein unsere Komponentenstandorte in Niedersachsen und Hessen: Von 22.000 Mitarbeitern in der Komponente sind bereits heute 4000, also ein knappes Fünftel, mit Elektromobilität beschäftigt. Bis 2025 werden wir die Zahl verdoppeln. Und dann wird der Green Deal einsetzen, der den Umstieg auf die E-Mobilität weiter beschleunigt. Ich bin sicher, dass wir den richtigen Weg eingeschlagen haben!

Und das auch schon sehr frühzeitig...

Wir haben uns schon 2015 die Frage gestellt, was unser Geschäft ohne den Verbrennungsmotor sein könnte. Auch wenn sich das zu diesem Zeitpunkt viele noch gar nicht vorstellen konnten. Wir sind in der Planung weit gesprungen – und die Rückschau gibt uns recht: Auch wenn es schmerzhaft war, war es richtig, sich neu zu erfinden.

Im VW-Werk Braunschweig werden Batteriesysteme unter anderem für den e-Golf gefertigt (Hinweis: Diese Aufnahme stammt aus Vor-Corona-Zeiten)
Im VW-Werk Braunschweig werden Batteriesysteme unter anderem für den e-Golf gefertigt (Hinweis: Diese Aufnahme stammt aus Vor-Corona-Zeiten) © Volkswagen AG

Was bedeutet die neue Strategie für das Werk Braunschweig, wo die Batteriesysteme gefertigt werden. Ist absehbar, ob auch dort das Volumen nach oben schnellen könnte – dann müsste das Werk ja erweitert werden?

Braunschweig liegt logistisch ideal, denn von hier können wir Zwickau, Emden, Hannover, Mlada Boleslav genauso beliefern wie auch Ford in Köln. Wir haben gerade bekannt gegeben, dass wir die Produktion von MEB-Batteriesystemen von heute 250.000 auf 500.000 Einheiten jährlich verdoppeln werden.

Und das reicht auch?

In dieser Ausbaustufe reicht das aus. Je nachdem, wo Fahrzeuge hergestellt werden, die mehr Volumen haben, schauen wir, ob wir noch eine weitere Batteriesystemfertigung in einer anderen Region hochziehen müssen. Natürlich wäre es auch möglich, den Standort Braunschweig auszubauen. Das hängt von der Entwicklung des Volumengeschäfts ab.

Wird sich durch den Bedeutungsgewinn der E-Mobilität das Produktportfolio im Werk Braunschweig in absehbarer Zeit verschieben?

Das Werk Braunschweig hat den Vorteil, dass es alles herstellt, was auch für die E-Mobilität benötigt wird – Batterien, Achsen und Lenkungen. Vielleicht werden die Teile für E-Autos etwas anders ausschauen als für Verbrenner, aber das sind trotzdem Umfänge, die wir auch in der neuen Welt der E-Mobilität benötigen. Jeder Komponentenstandort soll ein Leuchtturm-Transformationsprojekt bekommen. In Braunschweig ist das die Fertigung von Batteriesystemen, in Salzgitter ist es die Zelle, in Kassel der E-Antrieb.

Ein Pilotprojekt in Wolfsburg: Anfang 2020 wurden flexible Schnellladesäule über das Stadtgebiet verteilt aufgestellt.
Ein Pilotprojekt in Wolfsburg: Anfang 2020 wurden flexible Schnellladesäule über das Stadtgebiet verteilt aufgestellt. © Volkswagen AG

Und was bleibt für den Komponentenstandort Wolfsburg?

In Wolfsburg schlägt das Herz der Volkswagen Group Components – in Halle 6 am Tor Ost arbeitet die Zentrale im Open Space über Fachbereiche und Hierarchien hinweg zusammen! Und wir haben hier einen Schwerpunkt Ladeinfrastruktur gesetzt. In Ergänzung zu vier innerstädtischen Schnellladeparks haben wir ja ein Pilotprojekt mit 12 der in der Komponente entwickelten flexiblen Schnellladesäulen aufgesetzt. Diese werden bedarfsorientiert in der Stadt platziert. Und: Wir pilotieren zum Thema Heimenergiemanagement. Hier wird das Auto perspektivisch Teil des Stromnetzes. Im ersten Schritt installieren wir im neuen Wohnquartier Steimker Gärten 12 DC-Wallboxen. Weitere Schritte werden folgen.

Hatte der VW-Abgasskandal am Ende etwas Gutes, nämlich dass er die Kräfte überhaupt erst freigesetzt hat, damit die Transformation vom Verbrenner zur E-Mobilität möglich wird?

Er hat zumindest dazu geführt, dass sich bei Volkswagen die Entwicklung hin zur E-Mobilität beschleunigt hat. Ich würde aber nicht sagen, dass VW ohne den Abgasskandal nicht auf Elektromobilität umgestiegen wäre. Auch 2015 hat sich das Management schon sehr intensiv mit E-Antrieben und Batteriezellen auseinandergesetzt. Wir erleben derzeit in unserer Industrie zahlreiche technologische Quantensprünge ‒ wie so oft bei neuen Technologien. Denken sie daran, was die Mobiltelefone der ersten Generationen konnten und wie viele neue Funktionen mit jeder neuen Generation hinzukommen.