Braunschweig. Erste Konsequenzen des Corona-Virus treffen den Arbeitsmarkt. Arbeitsagentur-Chef Witt: „Die Krise scheint die Wirtschaftskrise von 2009 übertreffen.“

Zwei Wochen nach der Einführung weitreichender Beschränkungen wegen der Corona-Krise werden die ersten Folgen in unserer Region deutlich. Allein in Niedersachsen gab es bis zum
27. März 41.400 Anzeigen auf Kurzarbeit, teilte die Bundesagentur für Arbeit Niedersachsen mit. Auch in unserer Region sind die Anträge auf Kurzarbeit rapide angestiegen. „Ungefähr 2900 Betriebe haben in Braunschweig Kurzarbeit angemeldet“, berichtet Gerald Witt, Leiter der Agentur für Arbeit Braunschweig-Goslar im Gespräch mit unserer Zeitung. 1600 Anträge auf Kurzarbeit habe es zudem in Wolfsburg, dem Landkreis Helmstedt und dem Landkreis Gifhorn gegeben, teilte Wiebke Saalfrank von der Arbeitsagentur Helmstedt mit.

Kurzarbeitergeld soll Arbeitsplätze schützen

„Kurzarbeitergeld soll zwei Dinge erreichen: Für den Arbeitnehmer soll der Großteil des ursprünglichen Gehalts über das Kurzarbeitergeld gesichert werden und der Arbeitgeber soll eingearbeitete Kräfte behalten können“, erklärte Witt das Prinzip. Der Arbeitnehmer bekommt im Falle der Kurzarbeit 60 Prozent seines pauschalierten Nettoendgeldausfalls von der Bundesagentur für Arbeit bezahlt. Bei Arbeitnehmern mit Kindern beträgt der Satz 67 Prozent. „Das Instrument der Kurzarbeit wird von den Betrieben flächendeckend genutzt und dafür sind wir dankbar“, bestätigte auch Saalfrank. Einige Unternehmen stocken das Kurzarbeitergeld zudem auf – so wie etwa Volkswagen. „Die Höhe des Zuschusses bewirkt, dass der pauschalierte Nettoendgeldausfall annähernd ausgeglichen wird“, sagte Markus Schlesag, Sprecher des Personalvorstands beim VW-Konzern.

Gerald Witt, Leiter der Arbeitsagentur Braunschweig-Goslar stellte sich mit großen Umstrukturierungen in der Agentur auf die neue Situation ein.
Gerald Witt, Leiter der Arbeitsagentur Braunschweig-Goslar stellte sich mit großen Umstrukturierungen in der Agentur auf die neue Situation ein. © Arbeitsagentur Braunschweig | Agentur für Arbeit

Anders als bei der Finanzkrise 2009 sind nun alle Branchen von den Folgen der Corona-Pandemie in unserer Region betroffen. „Ausnahmen gibt es im öffentlichen Dienst, in der Pflege und der medizinischen Versorgung, bei Lkw-Fahrern, im Einzelhandel und in der Landwirtschaft“, erklärte Witt. Er ist daher überzeugt, dass die Antragswelle für Kurzarbeit nun erst angelaufen ist. „Wie viele Firmen es am Ende sein werden, können wir nicht abschätzen, aber die Zahlen werden erst noch einmal steigen“, betonte er. Die aktuelle Veröffentlichung erfasse nur die Betriebe, die bereits im März Kurzarbeit eingesetzt hatten – viele Betriebe haben laut Witt im März aber noch Überstunden und Urlaub genutzt und könnten nun im April mit der Kurzarbeit beginnen.

Corona-Krise könnte schlimmer als Finanzkrise 2009 werden

Auch in der Finanzkrise 2009 erlebte die Region einen Anstieg an Kurzarbeit. 100.000 Beschäftigte waren damals in Niedersachsen zu Spitzenzeiten von Kurzarbeit betroffen – doch die Corona-Krise könnte unsere Region nun noch härter treffen. „Wir werden bei dieser Krise an der Spitze erheblich höhere Zahlen an Kurzarbeitern als 2009 haben“, ist sich Saalfrank sicher. Auch für Witt scheint es, als würde die aktuelle Krise die Finanzkrise übertreffen. Er betonte dennoch, dass man sich nicht von Zahlen allein lenken lassen sollte. Wenn viele kleine Betriebe in Not gerieten, führe dies auch zu mehr Anträgen auf Kurzarbeit. Zur Entspannung rief er dennoch nicht auf: „Etwas Vergleichbares gab es noch nicht. Es ist eine ganz neue Situation in diesem Ausmaß.“ Entscheidend werde sein, wie lange die Einschränkungen der Wirtschaft aufrecht erhalten bleiben. „Generell kann man sagen: Je länger der Lock-down dauert, umso mehr Auswirkungen wird es auf das wirtschaftliche Leben geben“, so Witt.

Wiebke Saalfrank, Pressesprecherin der Bundesagentur für Arbeit Helmstedt.
Wiebke Saalfrank, Pressesprecherin der Bundesagentur für Arbeit Helmstedt. © Archiv

Kurzarbeit-Abteilung massiv aufgestockt

Die aktuelle Situation führt auch zu Umstrukturierungen in der Arbeitsagentur selbst, berichteten Witt und Saalfrank. Aufgrund der Schar der Anträge seien hunderte Mitarbeiter geschult worden, um Anträge auf Kurzarbeit bearbeiten zu können. „Normalerweise arbeiten in der Kurzarbeit-Abteilung nur 14 Menschen. Wir haben das Kontingent auf 240 Personen hochgefahren“, erklärte Gerald Witt. Zudem habe man drei zusätzliche Hotlines eingerichtet.

Die Arbeitsagentur warnt außerdem vor Betrügern, die aktuell versuchen, Firmendaten mit gefälschten E-Mails zu erhaschen. Die Mails tragen den Absender kurzarbeitergeld@arbeitsagentur-service.de und sprechen den Empfänger persönlich an. Die Arbeitsagentur betont, dass Betriebe Informationen über Kurzarbeit über die Arbeitgeber-Hotline (0800) 455 55 20 erhalten.

Als besonders positiv bewertet er dagegen den Respekt, der seiner Agentur in der aktuellen Zeit entgegengebracht wird. „Von außen bekommen wir sehr viel Verständnis und sehr viel Anerkennung entgegen. Dafür bin ich dankbar.“