Essen. Einer Studie zufolge haben Leiharbeiter öfter Arbeitsunfälle als das Stammpersonal. Einer der Gründe: mangelnde Deutschkenntnisse.

Zeitarbeiter sind offenbar viel häufiger von Arbeitsunfällen betroffen als das Stammpersonal. Vor allem junge Leiharbeiter erleiden als Helfer in Lagern und Fabriken deutlich öfter Arbeitsunfälle als fest angestellte Mitarbeiter. Sie stürzen häufiger im Lager von der Leiter oder verletzen sich an den Maschinen, die sie in Fabriken bedienen.

Das geht erstmals aus einer Studie der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) zum Unfallgeschehen in der Zeitarbeit hervor, die dieser Redaktion vorliegt. Die VBG ist Träger der Unfallversicherung in zahlreichen Branchen, darunter Banken, Versicherungen und eben Zeitarbeit.

Demnach ereigneten sich 77 Prozent der Arbeitsunfälle in der Zeitarbeit in der Produktion oder im Lager. In die gleichen Bereichen wurden beim Stammpersonal hingegen nur etwa 50 Prozent der Arbeitsunfälle eingeordnet. Der Report gibt auch über Einsatzorte und Art der Zeitarbeit einen Überblick über die in Deutschland nicht unumstrittene Branche.

Einfache Helfertätigkeiten dominieren

Insgesamt knapp 1,9 Millionen Zeitarbeiter waren im Jahr 2017 bei der VBG versichert. Sie erlitten 76.000 Arbeitsunfälle und 13.600 Unfälle auf dem Weg von zu Hause in die Arbeit. 26 endeten tödlich. Vor allem Unfälle im Betrieb unterlaufen diesem Personal deutlich häufiger: Obwohl Zeitarbeiter nur 18 Prozent der VBG-Versicherten ausmachen, widerfuhren ihnen 42 Prozent der meldepflichtigen Arbeitsunfälle.

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Auch wenn die Branche betont, verstärkt Fachkräfte zu vermitteln, dominieren die einfachen Helfertätigkeiten der Studie zufolge zusehends. Mehr als jeder zweite Leiharbeiter hilft als angelernte Kraft aus. Dieser Anteil stieg von seinem bereits hohen Niveau zuletzt weiter an – binnen fünf Jahren von 50,9 auf 55 Prozent.

Die Lagerwirtschaft ist die größte Entleih-Branche. Die neuen Kollegen sind häufig ungelernt, kommen aus anderen Branchen und werden trotzdem zügig an die Maschine, ans Band oder ins Lager geschickt. „Ganz typische Unfälle sind: Jemand stürzt von einer Leiter oder verletzt sich an der Hand“, sagt Carsten Zölck, Präventionsexperte Zeitarbeit bei der VBG.

Viele Geringqualifizierte und Nicht-Muttersprachler

Ein Problem ist aus Branchensicht, dass bei der Sicherheitseinweisung nicht jedes Wort ankommt, weil mit der Zuwanderungswelle seit 2015 viele Flüchtlinge hinzugekommen sind. Es komme in der Zeitarbeit „vergleichsweise öfter zu Arbeitsunfällen, da in dieser Branche überproportional viele Geringqualifizierte und Nicht-Muttersprachler beschäftigt sind“, sagte Sebastian Lazay, Präsident des Bundesarbeitgeberverbands der Personaldienstleister (BAP), dieser Redaktion.

Jeder dritte Zeitarbeiter sei Ausländer und mehr als jeder vierte habe keinen Berufsabschluss – jeweils deutlich mehr als auf dem Gesamtarbeitsmarkt. Die Branche stehe vor der großen Herausforderung, die Arbeitsschutz- und Sicherheitsanweisungen so zu kommunizieren, dass auch Geringqualifizierte und Mitarbeiter mit eingeschränkten Sprachkenntnissen diese verstehen, sagt Lazay.

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Die Ausgaben für Entschädigungen, Rehaleistungen und Renten nach Arbeitsunfällen an Zeitarbeiter stiegen in den vergangenen Jahren deutlich an – seit 2008 um rund 48 Prozent auf 157 Millionen Euro. Erstens, weil die Branche boomt und deutlich mehr Beschäftigte versichert sind.

Zweitens wegen der gestiegenen Löhne, die vor allem durch die Einführung des Mindestlohns und von Gewerkschaften ausgehandelte Branchenzuschläge etwa in der Metallindustrie sprunghaft gestiegen sind. Ob ein Unfall glimpflich endet oder im Krankenhaus und später gar zu einer Erwerbsminderungsrente führt, hängt auch stark vom Alter ab.

Eine Schülerin aus Guinea absolviert in der Metallwerkstatt einen Kurs im E-Schweißen. In Thüringen hat die Zahl der Flüchtlinge mit sozialversicherungspflichtigen Jobs zugenommen.
Eine Schülerin aus Guinea absolviert in der Metallwerkstatt einen Kurs im E-Schweißen. In Thüringen hat die Zahl der Flüchtlinge mit sozialversicherungspflichtigen Jobs zugenommen. © dpa | Ingo Wagner

So erleiden junge Menschen (bis 34 Jahre) überdurchschnittlich viele Unfälle, verletzen sich dabei aber selten schwer. Mit zunehmendem Alter ist es umgekehrt: Über 45-Jährige haben selten einen Unfall, dann aber oft mit heftigen Folgen bis hin zur Berufsunfähigkeit.

Zeitarbeitsfirmen wollen gegensteuern


Die schweren Unfälle interessieren die Berufsgenossenschaft besonders, weil sie die meisten Kosten verursachen. Rund 32 Millionen Euro gab die VBG zuletzt pro Jahr für Krankenhausaufenthalte von Zeitarbeitern aus, fast genauso viel für Renten. Je 30 Millionen Euro kosteten ambulante Behandlungen und das Verletztengeld. Auch hier liegt der Fokus klar in der Produktion und der Logistik.

Die großen Zeitarbeitsverbände versicherten auf Nachfrage, gegensteuern zu wollen. Der Interessenverband deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ) betonte, er sehe wegen der höheren Unfallgefahr bei den Helfertätigkeiten in der Produktion eine „besondere Verantwortung für den Arbeitsschutz in der Zeitarbeit“, so IGZ-Vorstand Martin Gehrke.

Der Verband setze auf Prämienmodelle, die Arbeitsschutzmaßnahmen wie die Ausgabe von Gehörschutz und Schutzbrillen prämieren. Zudem sollten Zeitarbeitsfirmen, deren Beschäftigte besonders selten Arbeitsunfälle erleiden, mit sinkenden Beiträgen zur Unfallversicherung belohnt werden.