Isenbüttel. VW präsentiert seine „Tablets auf Rädern“, die 2020 auf den Markt kommen. Modelle und Details dürfen noch nicht veröffentlicht werden.

Am Ende wird es feierlich. Christoph Grünewald, VW-Verkaufschef für Nordeuropa, steht vor rund 350 VW-Händlern aus Norwegen und Finnland. Seit etwa vier Stunden werden sie mit Informationen zur Elektromobilität druckbetankt. „Seid ihr dabei?“, will Grünewald am Ende der Veranstaltung auf Englisch wissen. Seine Zuhörer lassen sich nicht lange bitten, stehen auf und applaudieren kräftig. Mission geglückt.

Der Ort, an dem sich diese Szene des Einschwörens abspielt, könnte unscheinbarer nicht sein. Zwei Wochen lang schleust der Autobauer etwa 5000 Händler aus Europa durch sein Messezentrallager in Isenbüttel bei Wolfsburg. Das Gebäude, das bequem einem mittelständischen Unternehmen Platz bieten könnte, steht in einem Gewerbegebiet, wie es sie zu Hunderten in Deutschland gibt. Asphalt, Firmenschilder, Hallen.

Die Modelle dürfen noch nicht fotografiert werden

Hinter der grauen Fassade des Messezentrallagers findet sich jedoch eine eigene Welt. Wer Tasche sowie Smartphone abgegeben und eine Sicherheitsschleuse passiert hat, gelangt auf eine Art Mini-Autoshow. Mehrere Modelle der ID.-Familie stehen dort, auch solche, die der Öffentlichkeit bisher nicht gezeigt wurden. Das erklärt die Sicherheitsvorkehrungen. Auch für die Presse gilt: Die meisten Details dürfen vorerst nicht veröffentlicht werden, dazu gehören auch Fotos der gezeigten Modelle.

Mit seinen neuen Elektro-Autos will VW ab Ende des Jahres in eine neue Ära starten. Dann beginnt die ID.-Produktion in Zwickau, der Verkaufsstart ist für das zweite Quartal des nächsten Jahres geplant. Dass auch der gegenüber seinem Vorgänger gestraffte Golf 8 gezeigt wird, der offiziell erst in der zweiten Jahreshälfte präsentiert werden soll, gerät fast zur Nebensache. An diesem Tag hat die E-Mobilität ganz klar Vorfahrt.

Wie die Autos bei den Kunden ankommen werden, ist offen

Der Grund liegt auf der Hand: Während die Beliebtheit des Golf seit 45 Jahren in Verkaufszahlen gemessen werden kann, fehlen für die Stromer jegliche Vergleichswerte. Ob die Kunden angesichts der noch sehr lückenhaften Ladeinfrastruktur auf diese Autos anspringen werden, steht in den Sternen.

Comeback unter Strom: Mit dem elektrischen ID Buggy zeigte VW schon auf dem Genfer Autosalon im März eine Neuinterpretation des kultigen Strandautos als Studie.
Comeback unter Strom: Mit dem elektrischen ID Buggy zeigte VW schon auf dem Genfer Autosalon im März eine Neuinterpretation des kultigen Strandautos als Studie. © dpa-tmn | Volkswagen AG

Dabei ist VW geradezu zum Erfolg der E-Fahrzeuge verdammt. Sie sollen gewährleisten, dass die neuen, strengeren CO2-Vorschriften in der EU ohne Strafzahlungen erfüllt werden, sie sollen das Image der Wolfsburger auf ein neues Niveau heben – und die E-Autos sind ein zentraler Faktor, um auf dem wichtigsten Markt, China, Schrittmacher zu bleiben. Das ist VW mit konventionellen Autos zwar gelungen, bei den Stromern aber hat das Unternehmen Nachholbedarf. Und die Zeit drängt.

Los geht es 2020 mit dem ersten Modell

Den ID. – der Name steht laut VW nicht für einen bestimmten Begriff – soll es in verschiedenen Varianten geben, deshalb der Sammelbegriff ID.-Familie. Die Einführung der Modelle streckt sich über etwa zwei Jahre, los geht es 2020. Neben dem Grundmodell ID., das in seinen Proportionen einem Golf entspricht und ab diesem Frühjahr bestellt werden kann, soll es ein günstiges Einstiegsmodell geben sowie einen Kleinbus, ein Oberklasse-Modell und ein SUV.

Das letztgenannte Fahrzeugsegment wächst weltweit am stärksten und gilt wegen der großen Nachfrage als ertragsstark. Ist die ID.-Familie erfolgreich, wird sie ganz sicher noch Zuwachs im Lauf der Jahre bekommen.

Die Händler sind Botschafter der neuen Technik

Natürlich müssen die Form des Blechkleids, die Anmutung, die Qualität, die Leistungswerte, der Preis die Kunden überzeugen. Ein zentraler Hebel, um die neue VW-Botschaft zu verbreiten, sind die Händler. Sie sind Botschafter der neuen Technik und Modelle. Sind die Händler nicht überzeugt, fehlt Volkswagen ein zentraler Vertriebskanal, aller Digitalisierung zum Trotz. „Seid ihr dabei?“ – diese Frage ist daher weit mehr als eine Floskel.

Während Grünewald die Veranstaltung an- und abmoderiert, vermittelt Silke Bagschik, Verkaufs-und Marketing-Chefin der VW-Elektro-Modelle, Informationen zur Philosophie der Elektro-Strategie (saubere Mobilität), zu den Vorzügen der ID.-Modelle (mehr Platz, weil sich die Batterie im Unterboden befindet) und zur Bedeutung digitaler Ökosysteme (Kundenbindung). Sie ist humorvoll, mischt Fachwissen mit Kumpelhaftigkeit und wirkt dadurch authentisch. So wird es nicht langweilig.

Gezeigt werden Videos aus der VW-Welt. Dort geht es jung zu, oft weiblich, international, dynamisch, mit einem Sinn für Humor. Zum neuen VW-Selbstverständnis soll auch gehören, dass sich der Konzern nicht zu ernst nimmt.

Das Auto enthält viele digitale Anwendungen

Das Herz der Veranstaltung sind aber sechs Stände, die rund um die neuen Modelle aufgebaut sind. Dort erhalten die Händler von VW-Mitarbeitern unter anderem Details zur Markteinführung, zur Technik, zur Modellpolitik und zum Laden.

Vermittelt wird immer wieder die Botschaft, dass ein ID. mehr sein soll als nur ein Auto. Wiederholt ist vom „Tablet on Wheels“ die Rede, vom Tablet auf Rädern also. Nicht nur, weil das Auto rein elektrisch angetrieben ist, sondern weil es viele digitale Anwendungen enthält, wie eine Sprachsteuerung. Die Reichweite orientiert sich wiederum am Ausstattungspaket, das der Kunde wählt. Sie bewegt sich zwischen 350 und 550 Kilometern.

VW wird die Variantenvielfalt deutlich verringern

Deutlich wird auch, dass VW mit der Einführung der ID.-Familie die Variantenvielfalt deutlich verringern wird. Dieser Punkt wird seit Jahren im Unternehmen diskutiert. Der Betriebsrat sprach sich schon zur Ära Winterkorn für ein Abspecken aus. Grund: Weniger Varianten bedeuten weniger Kosten.

Für den ID.-Kunden soll dieser Verzicht als Vorteil formuliert werden: Mit nur zehn Klicks soll er sein Auto konfigurieren können. Dabei hat er die Wahl zwischen drei Ausstattungsvarianten. Und er soll bei VW nicht nur das Fahrzeug ordern können, sondern die Ladestation für die heimische Garage und auch den Stromvertrag gleich mit. Auch das VW-Logo soll überarbeitet werden.

Am Ende schwört Bagschik die Händler noch ein. „Ihr werdet die Kunden elektrisieren – auch viele, die neu zu Volkswagen finden“, formuliert die Managerin den Auftrag an die Händler. Dann öffnet sich die Tür und gibt den Blick frei auf einen grauen Wintertag im Gewerbegebiet Isenbüttel.