Brüssel/Berlin. Neue EU-Grenzwerte für Autos ab 2030, Diesel-Fahrverbote in Hamburg und Berlin – in der Automobilbranche wird sich bald vieles ändern.

Nur Stunden nach der Entscheidung der EU-Umweltminister über neue Klimaschutzauflagen für Autos schlug die deutsche Autoindustrie Alarm: In der EU stünden weltweit die höchsten Auflagen für die Branche bevor, die heimischen Hersteller würden im internationalen Wettbewerb stärker belastet als die Konkurrenz. Arbeitsplätze würden aufs Spiel gesetzt, der Industriestandort geschwächt, warnte Bernhard Matthes, Präsident des Autoindustrieverbands VDA.

VW-Chef Herbert Diess sagte der „Süddeutschen Zeitung“, rund 100.000 Arbeitsplätze seien bei VW in Gefahr. Tatsächlich ist der Kompromiss der Umweltminister für die Autobauer eine negative Überraschung. Und nicht die einzige in dieser Woche: Nach den bevorstehenden Fahrverboten für Diesel-Fahrzeuge in Berlin ist klar, dass die Diesel-Krise für die Hersteller erst richtig beginnt.

Neue EU-Grenzwerte für Kohlendioxid

Die Autobranche steht vor gewaltigen Herausforderungen: Ist das Ende des Verbrennungsmotors gekommen? Können die deutschen Hersteller den Umstieg auf alternative Antriebe wie den Elektromotor rechtzeitig und in führender Rolle schaffen?

Nach den Beschlüssen in Berlin und Brüssel stellen sich die Fragen in neuer Dringlichkeit. Die Entscheidung der EU-Umweltminister in Luxemburg hat es in sich: Der Ausstoß an klimaschädlichem Kohlen­dioxid von neuen Autos soll bis 2030 im Flottendurchschnitt um 35 Prozent sinken – deutlich mehr, als auch die Bundesregierung für vertretbar hält.

Diesel-Nachrüstungen: Das müssen Autofahrer jetzt wissen

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    Sie kämpfte bis zuletzt für den ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission, den Autobauern ein Flottenreduktionsziel von 30 Prozent bis 2030 vorzuschreiben – gemessen am Jahr 2021, für das die Vorgabe bereits bei 95 Gramm CO2 pro Kilometer liegt. Die nun beschlossenen „überzogenen“ Grenzwerte seien weder wirtschaftlich noch technisch realistisch, meint die Industrie.

    Bundeskanzlerin interveniert vergeblich

    Das ist nur zum Teil die übliche Klage der Konzerne. Die Sorge erfasst auch die Politik: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat erst vor wenigen Tagen erklärt, mit CO2-Zielen jenseits der 30 Prozent laufe man Gefahr, „dass wir die Automobilindustrie aus Europa vertreiben“. In diesem Sinne hatte das Kanzleramt in den vergangenen Tagen noch in wichtigen EU-Hauptstädten interveniert, um schärfere Klimaziele zu verhindern. Vergeblich.

    Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) versicherte zwar am Mittwoch, „größere Jobverluste“ seien angesichts der neuen und von ihr mit Sympathien begleiteten Linie nicht zu befürchten. Doch beschrieb die Ministerin die Tragweite ganz unverblümt: Die Industrie in Deutschland müsse sich nun „auf das vorbereiten, was unweigerlich kommt – nämlich ein Aus des Verbrennungsmotors und ein alternativer Antrieb“.

    Gemeint ist damit der schnelle Umstieg vom Verbrennungsmotor auf Elektroantrieb innerhalb des nächsten Jahrzehnts. Das CO2-Ziel für 2030 ist nämlich nur zu erreichen, wenn ein größerer Teil der Neuwagenflotte mit Elektro- oder Hybridmotor ausgestattet ist.Die Autobauer warnen: Eine solche Entwicklung sei angesichts der bisherigen Marktentwicklung keineswegs sicher. Auch 2030 werden auf deutschen Straßen die meisten Pkw mit Verbrennungsmotor unterwegs sein.

    Dänemark und Frankreich als Vorkämpfer

    Klimaschützern aber kann es nicht schnell genug gehen: In Dänemark sollen schon 2030 landesweit Verbrennungsmotoren bei neuen Autos verboten sein. Frankreich plant ein solches Verbot für 2040. Beide Länder gehörten beim Umweltministerrat zu den Vorkämpfern für noch weit schärfere Grenzwerte von 40 oder gar 45 Prozent. Immerhin 17 der 28 EU-Staaten folgten ihnen. Für sie ist der nächtliche Kompromiss deshalb ungenügend.

    Auch Grünen-Parteichefin Annalena Baerbock gehört zu den Kritikern. „Die Einigung der EU-Länder reicht nicht und sie fiel mickrig aus, weil die Bundesregierung nur gebremst hat“, sagte Baerbock unserer Redaktion. Immer wenn die EU beim Klimaschutz vorangehen wolle, werfe die Bundesregierung ihr Knüppel zwischen die Beine.

    Diesel-Kompromiss offenbart Hilflosigkeit der GroKo

    Es sollte der große Befreiungsschlag für die angeschlagene große Koalition werden. Doch der Diesel-Kompromiss zeigte vergangene Woche vor allem eines: die Hilflosigkeit der GroKo gegenüber der Autoindustrie. Die Bundesregierung erwartete, dass der jeweilige Autobauer die Kosten für Hardware-Nachrüstungen übernimmt. Konkret geht es um den Einbau eines neuen Katalysators bei Diesel-Autos mit der Abgasnorm Euro 5.

    Doch die Indus­trie sperrte sich. Opel lehnte die Idee ab, diese sei ökonomisch nicht sinnvoll und auch technisch nicht ausgereift. Ähnlich argumentierte BMW. Damit ist auch die Zusage von VW obsolet – die Wolfsburger wollen nur nachrüsten, wenn alle Konzerne mitmachen. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) lobte nach dem Kompromiss das „Tauschprogramm mit attraktiven Umtauschprämien“.

    Doch es bestehen zwei Probleme: Erstens gibt es schon Rabatte in Höhe von mehreren Tausend Euro – Experten vermuten, dass die Industrie die bestehenden Nachlässe einfach umetikettiert. Zweitens ziehen viele ausländische Hersteller beim Umtausch nicht mit.Das Problem beim Diesel: Der CO2-Ausstoß auch der älteren Autos ist verglichen mit vielen Benzinern geringer, aber die Belastung mit gesundheitsschädlichen Stickoxiden ist höher.

    200.000 Fahrzeuge in Berlin von Fahrverboten betroffen

    Die Zeit wird knapp für den Diesel. Das Verwaltungsgericht Berlin entschied am Dienstag: Ab Mitte 2019 dürfen elf Abschnitte stark befahrener Straßen von älteren Dieseln nicht mehr befahren werden. Dies würde in der Hauptstadt etwa 200.000 Fahrzeuge der älteren Normen Euro 1 bis 5 betreffen, Pendler nicht mitgezählt. Womöglich wird es Ausnahmen für Anwohner und Handwerksbetriebe geben.

    Berlin ist kein Einzelfall. In Hamburg gibt es bereits in zwei Straßenabschnitten Fahrverbote für ältere Diesel. In Stuttgart könnte es 2019 sogar zu einem umfassenderen Fahrverbot kommen, ebenso in Frankfurt am Main. Die SPD fordert Bußgelder für die Autobauer, um diese so zu Nachrüstungen zu zwingen. Doch das Verkehrsministerium will davon nicht wissen.