Berlin. Miganoush Magarian hat das Sozialunternehmen Teachsurfing gegründet. Das Portal vermittelt weltweit kostenfreie Workshops und Seminare.

Erst einmal musste das Ersparte dran glauben, als sich Miganoush Magarian gemeinsam mit ihrer Freundin und Arbeitskollegin Gretta Hohl selbstständig machte. „Und wir wussten auch, dass unser Unternehmen erst einmal kein Geld abwerfen wird“, sagt die 33-jährige Ingenieurin. Die Finanzierung von sozialen Start-ups sieht sie als eine der größten Herausforderungen für Gründer.

Soziale Start-ups sind Unternehmen, die weder Dienstleistung noch Produkte mit Gewinn verkaufen, sondern ein gemeinnütziges Ziel verfolgen.

300 Anmeldungen gleich beim Start

2015 gingen Magarian und Hohl mit Teachsurfing online. Dank ihres großen Netzwerks wurde es gleich am ersten Tag hundertfach in den sozialen Medien geteilt. Mehr als 300 Menschen meldeten sich umgehend als Teach­surfer an.

„Teile dein Wissen mit der Welt“, bringt Magarian die Idee auf den Punkt. Es geht darum, dass Menschen, die reisen, außer Shorts und Strandtuch auch ihr Wissen im Gepäck haben. Als Teach­surfer bieten sie im ­Zielland kostenfrei Workshops und Seminare an Schulen oder bei Non-Profit-Organisationen an.

Der Vorteil für die Teachsurfer: Sie lernen Menschen in ihrem Alltag kennen und reisen an Orte, die oft abseits von Touristenrouten liegen. Unterrichten können die Reisenden alles, was sie wissen und gut können, beispielsweise Tanzen, Nähen, Malen oder Meditieren.

Besonders gefragt sind Workshops zu Themen wie Karriere und Entwicklung, Kultur und Sprache sowie Digitalisierung. „Die Lehrenden können ihre Expertise im Präsentieren verbessern und ihr berufliches Netzwerk erweitern“, erklärt Miganoush Magarian.

Konferenz gab den Anstoß

Die Idee zu dem sozialen Start-up kam den beiden Frauen, als sie 2012 an der Konferenz „One Young World“ (OYW) in Pittsburgh, USA, teilnahmen. Dort treffen sich seit 2009 jährlich etwa 8000 Aktivisten aus mehr als 100 Ländern zwischen 18 und 30 Jahren. Sie haben gemeinsam, dass sie sich sozial engagieren.

Die Konferenz motiviert die Teilnehmer, eigene Projekte in den Bereichen Nach­haltigkeit, Bildung oder Menschenrechte zu starten. „Das hat uns die Augen geöffnet“, sagt die 33-Jährige. „Wir wollten auch zur gesellschaftlichen Veränderung beitragen.“

Abschlüsse in Ingenieurwesen und Informatik

Magarian war 2012 gerade erst nach Berlin gezogen und arbeitete beim SAP Innovation Center in Potsdam als Entwicklerin und Projektmanagerin. Die Ingenieurin hatte ihren Bachelorabschluss in Software Engineering in Teheran gemacht und ein Masterprogramm in Informatik-Management in Stockholm absolviert.

In Potsdam lernte sie die Informatikerin Gretta Hohl kennen, ihre heutige Geschäftspartnerin. „Uns verbindet sehr viel“, sagt Magarian. „Wir sind beide Frauen im IT-Bereich und kommen aus anderen Kulturen.“ Gretta Hohl ist Rumänin, Miganoush Magarian Armenierin, geboren im Iran.

„Wenn wir unsere Heimat besuchen, sehen wir oft fehlende berufliche Perspektiven.“ Das sei einer der Gründe gewesen, ein Start-up im Bildungsbereich zu gründen, erzählt die Ingenieurin.

Vollzeit von Anfang an

Bei der Gründung von Teachsurfing – einer gemeinnützigen Unternehmergesellschaft (gUG) – stieg Magarian gleich in Vollzeit ein. Hohl arbeitete Teilzeit, um die Risiken der Anfangsphase mit einem anderen Job abfedern zu können.

Sie konzipierten und programmierten die Internetseite und stellten ihre Idee auf der nächsten OYW vor. So wurden sie von heute auf morgen einer großen Gemeinschaft bekannt.

Aufgrund des gemeinnützigen Status können sie Spendenquittungen ausstellen. Gerade am Anfang half das sehr: Ihr Projekt war auf Zuwendungen angewiesen. Mittlerweile erzielen sie Einnahmen durch Workshops, die sie in Unternehmen geben, die Mitarbeiter zu Teachsurfern ausbilden möchten.

„Ich schreibe immer noch viele Förderanträge“, sagt Magarian. Oft erfolgreich: Unter anderem erhielten sie das Gründerstipendium „Social Impact Start“. Es wird vom Infoportal social-startups.de vergeben und unter anderem von SAP und dem Verband Der Paritätische finanziert. Das Stipendium umfasste Mentoring und einen Arbeitsplatz in einem Coworking Space. Das sei gerade in der Anfangsphase eine große Unterstützung gewesen.

Förderprämie in Höhe von 250.00 Euro erhalten

Auch die Bewerbung bei der „Google.org Impact Challenge 2018“ war erfolgreich. Der Wettbewerb fördert gemeinnützige und kreative Ideen, Initiativen und Organisationen, die auf digitaler Technologie basieren.

Im Juni erhielt Teachsurfing als eines von zehn Leuchtturmprojekten 250.000 Euro Förderprämie. Mit dem Geld sollen weitere Teachsurfer ausgebildet werden. Das Preisgeld macht es zudem möglich, dass auch Gretta Hohl Vollzeit ins Unternehmen einsteigen kann – und Miganoush Magarian etwas mehr Zeit hat, sich um ihren zwei Monate alten Sohn zu kümmern.

Kind und Karriere funktioniert

„Trotz Schwangerschaft und Kind war und bin ich voll für Teachsurfing da“, sagt die 33-Jährige. Sie könne auf ein gutes Team setzen und scheut sich nicht, ihr Kind mit ins Büro und zu Meetings zu nehmen. „Ich liebe mein Kind und ich liebe meine Karriere“, sagt sie. „Ich will mich nicht entscheiden, sondern beides leben.“

Es macht sie glücklich, ihr Know-how für ein Projekt mit sozialer Wirkung einzusetzen. Auch sie selbst ist als Teachsurfer tätig: Immer wenn sie ihre Heimat besucht oder auf Reisen geht, erklärt sie jungen Menschen, welche Karrierechancen Ingenieure haben, und speziell jungen Frauen, dass eine Karriere mit Kind auch in der IT möglich ist.