Berlin. Deutsche-Bank-Vorstand Sylvie Matherat über die Lage des Instituts zehn Jahre nach der Finanzkrise, Gordon Gecko und mehr Kontrolle.

Es läuft derzeit nicht ganz rund bei der Deutschen Bank. Das größte private Finanzinstitut baut den Vorstand um – wieder einmal und mitten in der laufenden Sanierung. Sylvie Matherat, im Vorstand zuständig für Compliance und Regulierung, über die Personalwechsel, Investmentbanker und zehn Jahre Finanzkrise.

Die Bankenkrise ist zehn Jahre her und die Deutsche Bank scheint wieder einmal in schwerer See zu sein. Vor allem das Investmentbanking, die Sparte, die in der Finanzkrise entscheidend war, macht Probleme.

Sylvie Matherat: Die Schlagzeilen der vergangenen Wochen konnten diesen Eindruck vielleicht vermitteln. Fakt ist aber: Wir sind eine ganz andere, viel sicherere Bank als vor zehn Jahren, und auch der Finanzsektor als Ganzes hat sich seit der Finanzkrise enorm verändert. Wir haben Altlasten abgebaut und die Bilanz bereinigt. Lassen Sie mich nur zwei Beispiele nennen: Zwischen 2007 und 2017 haben wir unser Eigenkapital um 70 Prozent erhöht, unsere Liquiditätsreserven haben sich sogar vervierfacht. Wir haben die Deutsche Bank aufgeräumt. Jetzt wollen wir wieder nach vorne schauen und weniger zurück. Es gibt viel zu tun.

Angesichts der vergangenen Wochen wird man den Eindruck nicht los, als sei die Bank immer noch eine Großbaustelle. Ihre IT-Vorstandskollegin Kim Hammonds sprach gar vom dysfunktionalsten Unternehmen, in dem sie je gearbeitet hat. Nach drei Jahren als Chef muss Sanierer John Cryan gehen. Ist Christian Sewing jetzt der richtige Konzernlenker?

Matherat: Die Entscheidung über den Vorstandsvorsitzenden trifft der Aufsichtsrat. Aus meiner Sicht ist Christian Sewing aber eine hervorragende Wahl. Wir arbeiten seit 2015 im Vorstand eng zusammen. Er ist ein ausgesprochener Teamspieler, gleichzeitig hat er große Durchsetzungsstärke. Und er ist bei Politikern und Aufsichtsbehörden ein bekanntes Gesicht – das ist ein Vorteil, gerade in Deutschland. Nicht zuletzt kennt er die Bank seit Ende der 80er Jahre, als er seine Ausbildung in Bielefeld begonnen hat.

Der neue Chef der Deutschen Bank: Christian Sewing.
Der neue Chef der Deutschen Bank: Christian Sewing. © dpa | Fredrik von Erichsen

Warum war Cryan nicht mehr tragbar?

Matherat: Wie gesagt: Die Bewertung des Vorstands obliegt dem Aufsichtsrat.

Probleme haben Sie auch beim Thema Bonus. Die Bank zahlt für 2017 mehr als zwei Milliarden Euro Boni an Investmentbanker, aber nur rund 230 Millionen Euro Dividende an die Aktionäre.

Matherat: Das ist die gesamte variable Vergütung für alle Mitarbeiter, nicht nur für die Investmentbanker. Dabei geht es nicht um Geschenke, sondern darum, unsere Mitarbeiter wettbewerbsfähig zu bezahlen – nachdem wir im Jahr zuvor deutliche Einschnitte vorgenommen hatten. Aber ganz klar: Wir müssen künftig bessere Ergebnisse erzielen und profitabler werden, um wieder höhere Dividenden zu zahlen. Genau daran arbeiten wir.

Die Anleger scheinen dem Kurs der Bank eher nicht mehr zu vertrauen.

Matherat: Mit dem Aktienkurs sind wir natürlich nicht zufrieden. Die Frage des Vertrauens geht aber tiefer: Die gesamte Branche ist immer noch dabei, das Vertrauen zurückzugewinnen, das durch die Finanzkrise verspielt worden ist. Damit das gelingt, müssen wir die Erwartungen der verschiedenen Interessensgruppen berücksichtigen, von Anlegern bis zur Politik und der Gesellschaft als Ganzes. Und wir müssen das halten, was wir ankündigen. Das gilt für die Stabilität der Bank genauso wie für die Geschäftsstrategie. Der Börsengang unserer Vermögensverwaltung DWS Ende März ist so ein Beispiel. Das Zusammenführen der Postbank mit dem Privatkundengeschäft der Deutschen Bank...

...bisher die Hauptaufgabe des neuen Konzernchefs...

Matherat: ...ist ein weiteres.

John Cryan musste seinen Posten als Chef der Deutschen Bank räumen.
John Cryan musste seinen Posten als Chef der Deutschen Bank räumen. © dpa | Arne Dedert

Viele Anleger – und nicht nur die – scheinen den Glauben an ein Comeback der Deutschen Bank verloren zu haben.

Matherat: Nach der Bankenkrise haben die Regulierer die Anforderungen an die Banken erheblich verschärft – und das zurecht. Die Deutsche Bank hat die neuen Regeln umgesetzt, ebenso wie die Branche insgesamt. Das hat aber seinen Preis und bedeutet unter anderem eine geringere Eigenkapitalrendite. Wir wollen uns jetzt wieder stärker auf Wachstum und den Wert für unsere Aktionäre konzentrieren – aber nachhaltig. Wir wollen nicht wieder zurück zu den Zeiten, als wir kurzfristig hohe Gewinne erzielt haben, aber Jahre später hohe Strafen zahlen mussten. Wir müssen dafür sorgen, dass die Gewinne von heute nicht die Rückstellungen von morgen sind.

Haben Sie inzwischen alle Altfälle ausgeräumt?

Matherat: Wir haben die überwiegende Mehrheit der größten und wichtigsten Fälle abgeschlossen. Und das, obwohl wir beim Abarbeiten auf den Zeitplan der Behörden angewiesen sind, vor allem in den USA. Gleichzeitig haben wir die internen Kontrollen erheblich ausgebaut, damit sich solche Fälle nicht wiederholen. Ich habe mein Team kontinuierlich verstärkt.

Wie viele Beschäftigte arbeiten bei ihnen?

Matherat: In den Bereichen Regulierung, Compliance und Kampf gegen die Finanzkriminalität haben wir derzeit etwa 2600 Mitarbeiter. Ende des Jahres dürften es 3000 sein. Das sind weit mehr als 1000 zusätzliche Stellen im Vergleich zu 2015, als ich mein Amt im Vorstand übernommen habe.

Was machen die alle?

Matherat: Sie schützen die Integrität und Reputation der Bank. Wir kümmern uns darum, dass wir die weltweite Regulierung konsequent begleiten, umsetzen und einhalten. Gleichzeitig schaffen wir die Voraussetzungen, Finanzstraftaten vorzubeugen und zu verhindern. Etwa, indem wir Transaktionen kontrollieren und prüfen, wo das Geld für diese Geschäfte herkommt. Nicht zuletzt arbeiten wir daran, die Aufmerksamkeit der Mitarbeiter für mögliches Fehlverhalten zu schärfen – für das eigene sowie für das von Kollegen und Geschäftspartnern. Es hat sich viel getan.

Inwiefern?

Matherat: Nehmen Sie das Investmentbanking, das mit Blick auf Verfehlungen sehr häufig in der Kritik gewesen ist. Dort hat sich sie Arbeit seit der Finanzkrise stark verändert. Nur ein paar Beispiele: Die Kommunikation der Händler wird viel stärker überwacht. Wir kontrollieren Mails, wir prüfen Geschäfte. Sobald ein Handelsgeschäft von den üblichen Mustern abweicht, gibt es automatisch eine Warnung, und jemand schaut sich das genauer an. Es gibt strenge Regeln: Man darf zum Beispiel sein persönliches Smartphone nicht mit in den Handelsraum nehmen. Moderne Technologie hilft uns bei den Kontrollen – etwa, wenn es darum geht, die Kommunikation der Mitarbeiter auf verdächtige Passagen und Wörter zu prüfen.

Etwas wie der Libor-Skandal, als Mitarbeiter verschiedener Banken einen der wichtigsten Zinsen weltweit absprachen, wäre heute nicht mehr möglich?

Matherat: Es ist dank der viel besseren Kontrollen zumindest sehr unwahrscheinlich. Die Branche hat sich verändert – und das nicht nur mit Blick auf die Kontrollen. Es gibt bei den Mitarbeitern ein viel größeres Bewusstsein, was man machen darf und sollte und was nicht. Kein Vergleich zu den Achtzigern, als ich selbst für kurze Zeit Erfahrung im Handelsraum gesammelt habe.

Was hat sich verändert? Keine Champagner-Partys mehr? Keine Ferraris?

Matherat: Das erinnert mich in der Tat eher an die Filme der Achtziger.

Gordon Gecko aus dem ikonischen Film „Wall Street“…

Matherat: ...ist tot. Die Arbeit der Investmentbanker ist zu einem ziemlich normalen Job geworden – manche würden überspitzt sogar langweilig sagen.

Bei der US-Bank Wells Fargo haben Mitarbeiter Konten für fiktive Kunden eröffnet.

Matherat: Ich äußere mich nicht zu Wettbewerbern. Grundsätzlich müssen wir uns bei Fehlverhalten von Mitarbeitern immer fragen: Wie war das möglich und wie verhindern wir es in der Zukunft? Sind beispielsweise die Anreize falsch gesetzt oder die Zielvorgaben zu ehrgeizig? Die Verantwortung ausschließlich bei den betroffenen Mitarbeitern zu suchen, wäre kurzsichtig.

Die Zentrale der Deutschen Bank in Frankfurt am Main.
Die Zentrale der Deutschen Bank in Frankfurt am Main. © dpa | Arne Dedert

Wie erkennt man Geldwäsche?

Matherat: Die einfache Antwort wäre: Nicht mit Verbrechern handeln – dann gibt es kein Problem. Das ist in der Realität natürlich ziemlich komplex. Globalisierung und Digitalisierung eröffnen auch Kriminellen neue Möglichkeiten. Die Kernbotschaft ist aber dennoch richtig: Man muss seinen Kunden kennen, das ist das Wichtigste überhaupt. Und auch den Kunden seiner Kunden. Wir überprüfen neue und bestehende Kunden heute intensiver und häufiger als früher. Dafür setzen wir verstärkt moderne Technologie ein und investieren in Automatisierung, um noch effizienter zu werden. Wir machen aber auch Unternehmensbesuche, um vor Ort zu überprüfen, ob es eine Firma wirklich gibt und nicht nur ein Namensschild an einer Tür hängt. Wir arbeiten mit der Polizei und anderen Sicherheitsbehörden zusammen. Und natürlich prüfen wir ständig die Liste von Personen, gegen die Sanktionen erlassen sind. In der Summe ist diese Arbeit kompliziert und teuer. Unter anderem deshalb ist das Budget meiner Abteilungen eines der wenigen in der Bank, das wächst. Seine Kunden genau zu kennen, ist aber nicht nur gut, um Verbrechen zu verhindern – sondern auch fürs Geschäft.

Wie gehen Sie sicher, dass Banken im Ausland, mit denen Sie zusammenarbeiten, nicht problematisches Geld an Sie überweisen?

Matherat: Wir dürfen kein Risiko eingehen. Wir arbeiten mit Korrespondenzbanken zusammen, von denen wir wissen, dass sie strenge Sicherheitsstandards einhalten. Das ist mittlerweile Praxis in der gesamten Branche. Die Kehrseite dieser Medaille ist allerdings: Bestimmte Gegenden sind mittlerweile weitgehend abgeschnitten von den großen Finanzströmen, etwa in Lateinamerika oder in Afrika.

Wie wichtig sind Geschäftsbeziehungen zu Steuerparadiesen wie Cayman Islands, Jersey, Isle of Man, Panama? Wenn Sie auf „Kunden kennen“ bestehen, wird es schwierig mit der Import-Export Inc auf den Cayman Islands.

Matherat: Wir sind sehr vorsichtig. Wenn ein Geschäft eine Verbindung zu einem Steuerparadies hat, wird es besonders intensiv überprüft, und zwar mehrfach. Und wir arbeiten sehr eng und transparent mit den Aufsichtsbehörden zusammen.

Können Sie ein Geschäft verhindern?

Matherat: Ja, wir können ein Veto einlegen, wenn es mit Blick auf Finanzkriminalität Bedenken gibt. Aber es kommt nicht nur darauf an, was rechtlich erlaubt ist – sondern auch, ob ein Geschäft legitim ist und welche Reputationsrisiken es birgt.

Also schätzen sie das Risiko eines Geschäfts ein?

Matherat: Ja, natürlich. Neben den regulatorischen Vorgaben gibt es zusätzlich einen einfachen Test: Wenn Du das Gefühl hast, dass Du etwas nicht tun solltest, tu es nicht; und wenn du den Inhalt und Zweck eines Geschäfts nicht verstehst, dann mach es nicht.

• Zur Person

Sylvie Matherat ist seit November 2015 im Vorstand der Deutschen Bank zuständig für Regulierung, Compliance und den Kampf gegen Finanzkriminalität. Sie soll dafür sorgen, dass die Bank und ihre Mitarbeiter alle Regeln einhalten – und jegliche Form von Finanzkriminalität, etwa Geldwäsche, verhindert wird. Bevor die 55-jährige Französin nach Frankfurt wechselte, arbeitete sie für die französische Zentralbank Banque de France und handelte unter anderem die Bedingungen für die Bankenregulierung nach der Finanzkrise mit aus. Die Juristin und Politikwissenschaftlerin ist verheiratet, hat drei erwachsene Kinder und lebt in Frankfurt/Main. Sie ist Mitglied der Ehrenlegion.