Washington/Nashville. 124 Jahre nach der Gründung kämpft der berühmte US-Gitarrenbauer Gibson gegen den Bankrott. Das liegt auch an dem eigenwilligen Chef.

Wäre B. B. King noch am Leben, seine „Lucille“ würde jetzt wahrscheinlich weinen wie ein Schlosshund. Der Großmeister des Blues spielte seine Herzschmerz-Lebensgeschichten jahrelang bevorzugt auf einem Instrument der Marke Gibson, Typ ES-355. So auch Chuck Berry, Bob Dylan, Jimmy Page, The Edge, Slash und Dutzende andere vergötterte Gitarristen aus Rock und Pop.

124 Jahre nach Gründung steckt das eine der beiden weltweit bewunderten Spitzenhäuser der Stromgitarrenzunft (Fender ist das andere) in seiner bisher größten Krise. Firmenboss Henry Juszkiewicz, der Gibson 1986 für fünf Millionen Dollar (4,1 Millionen Euro) erwarb, muss binnen den nächsten 150 Tagen Schulden von einer halben Milliarde Dollar refinanzieren. Andernfalls stehen die drei Fabriken in Memphis (Tennessee), Bozeman (Montana) und am Stammsitz in der Country-Hochburg Nashville (ebenfalls Tennessee) vor der Insolvenz, berichten US-Wirtschaftszeitungen.

Firmenboss Juszkiewicz redet die Probleme klein

Juszkiewicz, ein Stehaufmännchen, dementiert, spricht von glänzenden Geschäften und davon, dass die Verbindlichkeiten nach einer Art „Frühlingsputz“ (Verkauf von Immobilien und Konzernteilen abseits des Kerngeschäfts) wie immer pünktlich bedient würden.

Tatsache aber ist, dass Finanzchef Bill Lawrence gerade seinen Hut nehmen musste. Außerdem haben die Rating-Agenturen Moody’s und S&P Gibson auf extrem niedrig herabgestuft, sprich: öffentlich Überschuldungsgefahr signalisiert. Und mit der Jefferies Group ist eine für empfindliche Restrukturierungsschnitte bekannte Investmentbank im Haus, um das Unternehmen, das einst in Kalamazoo (Michigan) mit dem Bau von Mandolinen begann, vor dem Untergang zu retten; trotz eines Jahresumsatzes von rund einer Milliarde Dollar.

Dass es so gekommen ist, dafür machen Insider den „Kapitän“ persönlich verantwortlich. Juszkiewicz gilt als schwierig. Bei einem Betriebsausflug ließ er an einem Schießstand auf eine Stratocaster ballern – das Kultprodukt des Konkurrenten Fender. Juszkiewicz wird von Szene-Kennern übel genommen, dass er nicht wie ein solider Schuster bei seinen Leisten blieb.

Gibson sollte zum „Nike der Musikwelt“ werden

Erst wurde 2014 für 135 Millionen Dollar die Audio-Sparte (Kopfhörer, Lautsprecher) des niederländischen Philips-Konzerns dazugekauft. Später investierte der von ehemaligen Mitarbeitern als „erratisch“ und „selbstherrlich“ beschriebene Eigentümer hartnäckig in selbsttätig stimmende Gitarren, die aber niemand kaufen wollte. Vollends die Nase gerümpft wurde dann im vergangenen Sommer. Juszkiewicz verkündete, Gibson analog zum US-Sportartikelriesen zum „Nike der Musikwelt“ hochjazzen zu wollen.

Sprich: Musikinstrumente, Lifestyle und Digitales sollten so sexy verquickt werden, dass Produkte wie die seit 1952 gebaute Star-Gitarre Les Paul, die V-förmige Flying V oder die von AC/DC-Frontmann Angus Young gern strapazierte SG auch für jüngere Generationen Objekte der Begierde werden. Im Moment sieht es genau danach nicht aus.

In Memphis besitzt Gibson eine 13 Millionen Dollar teure Immobilie direkt an der berühmten Beale Street, der „Heimat des Blues“, und lädt Besucher in die Produktionsstätten ein. Bei einem Besuch im Dezember verdrehten Angestellte die Augen auf die Frage, wie denn die Geschäfte liefen. „Kennen Sie den Song ‚Why my Guitar gently weeps‘?“, lautete die sarkastische Gegenfrage. Nachfragen dieser Redaktion ließ das Unternehmen unbeantwortet.

Der Markt für Instrumente hat sich radikal gewandelt

Stattdessen spricht laut und deutlich George Gruhn. Der Besitzer des bekanntesten Musik-Fachhandels in Nashville hat „Götter“ wie Eric Clapton und Neil Young mit neuen Sechssaitern versorgt. Für Gruhn hat das Problem bei Gibson einen Namen: „Juszkiewicz. Wie er den Laden führt, das ist der reine Wahnsinn“, sagte Gruhn dieser Redaktion. „Henry gehört zu den unbeliebtesten Zeitgenossen der ganzen Branche.“ Nur sein Abgang, den der „Nashville Post“ zufolge einige Gläubiger nach Kräften anstreben, könne das Unternehmen retten, dessen klangvoller Name „unverändert wertvoll“ sei.

Aber der Markt habe sich radikal geändert, sagt Gruhn. „Bei guter Pflege überdauert eine Gibson oder eine Fender die Ururenkel des früheren Käufers“, sagt der Fachhändler, der seit 48 Jahren im Geschäft steht. Das grenze die kontinuierliche Nachfrage schon mal ein. Dazu komme, dass heute 20-mal mehr Gitarren produziert würden als noch in den 90er Jahren. Für Gruhn ist klar: „Der Markt ist gesättigt und darum gestresst.“

Zudem ist die demografische Entwicklung – Überalterung der Gesellschaft – den amerikanischen Herstellern nicht wirklich gewogen. Und die Billigkonkurrenz aus China wird qualitativ immer besser. Und noch etwas, was den Herstellern Probleme bereitet, hat Gruhn ausgemacht: „Die jungen Leute hören heute nicht mehr so viel Gitarren-zentrierte Musik. Da liegen Rap und Hip-Hop im Trend. Dafür braucht man keine Gitarren. Und wenn, dann basteln sie ihre Sounds auf dem Computer.“