Hamburg. Gerade gekauft, schon zu klein? Tchibo-Kunden können sich Bodys, Strampler und Co. nach Hause schicken lassen – ab einem Euro im Monat.

Oja, er könne sich noch gut an die Babyzeit seiner Kinder erinnern, sagt Joschka Fischer und schiebt einen gestreiften Langarmbody auf dem Tisch hin und her. „Alles neu kaufen, das ging nicht. Die Babykleidung wurde im Freundeskreis weitergegeben.“ Das ist schon einige Zeit her.

Der frühere Grünen-Politiker und Bundesaußenminister a. D. ist inzwischen 69 Jahre alt, seine zwei Kinder sind längst erwachsen. Er hat vier Enkel. Aber, sagt er, über einen Mietservice für Strampler, Bodys und Jäckchen, wie Tchibo ihn jetzt startet, wäre er damals sehr dankbar gewesen. Heute ist Fischer geschäftsführender Gesellschafter der Joschka Fischer & Company und berät Firmen auf ihrem Weg in die Nachhaltigkeit. Tchibo ist seit zwei Jahren Kunde der Beratungsgesellschaft.

Sortiment umfasst 60 bis 70 Teile

Zur Vorstellung des neuen Services Tchibo Share war Fischer deshalb mit Mitarbeitern nach Hamburg gereist. Vom 23. Januar verleiht die Kaffee- und Handelskette Baby- und Kinderkleidung über ein eigenes Online-Portal. Das Sortiment umfasst zunächst 60 bis 70 Teile aus nachhaltiger Produktion für Kinder und vor allem für Steppke bis vier Jahre. Zudem wird es ein kleines Angebot an Schwangerenmode geben.

„Der neue Service spart Zeit, Geld und Platz“, sagt Nanda Bergstein, Tchibo-Direktorin für Unternehmensverantwortung bei der Präsentation im Co-Working-Space Mindspace. Und: „Je länger und häufiger ein Produkt genutzt wird, umso besser für die Umwelt“, sagt die frisch gekürte Nachhaltigkeitschefin.

Familien gehören zu den wichtigsten Tchibo-Zielgruppen

Der Konzern mit einem Jahresumsatz von 3,3 Milliarden Euro will mit dem Angebot in das Geschäftsmodell der Shared Economy einsteigen. Motto: Mieten statt kaufen. Schon jetzt sind Familien eine wichtige Zielgruppe für den Händler, der neben Kaffee in mehr als 1000 Filialen und 22.300 Depots Non-Food-Artikel aus unterschiedlichen Segmenten verkauft. Darunter auch mehr als Hunderttausend Teile Baby- und Kindermode im Jahr.

Das neue Verleih-Angebot Tchibo Share stellen Thomas Linemayr (Tchibo CEO), Joschka Fischer (Joschka Fischer und Company GF), Hendrik Scheuschner (Kilenda GF) und Nanda Bergstein (Direktorin Tchibo Unternehmensverantwortung, v.l.) vor.
Das neue Verleih-Angebot Tchibo Share stellen Thomas Linemayr (Tchibo CEO), Joschka Fischer (Joschka Fischer und Company GF), Hendrik Scheuschner (Kilenda GF) und Nanda Bergstein (Direktorin Tchibo Unternehmensverantwortung, v.l.) vor. © Andreas Laible

Da diese oft nur ein paar Monate passen, auf jeden Fall aber nur für eine kurze Dauer in Gebrauch sind, setzt das Unternehmen hier an. Tchibo trage den Wünschen vieler Kunden nach mehr Ressourcenschonung und gleichzeitigem Komfort Rechnung, so Thomas Linemayr, seit einem Jahr Vorsitzender der Geschäftsführung der Tchibo GmbH. Er sagt auch: „Es ist ein Experiment.“ Über die Höhe der Investition wurde nichts bekannt.

Start-up kümmert sich um Abwicklung und Logistik

Für Abwicklung und Logistik haben sich die Hamburger das Magdeburger Start-up Kilenda als Kooperationspartner ins Boot geholt. Kilenda war Ende 2014 mit einem Kinderkleidungs-Mietmodell gestartet. „Wir sind jedes Jahr gewachsen“, sagt Gründer Hendrik Scheuschner. Aktuell hat Kilenda 9000 Kunden und 20 Mitarbeiter.

Das Konzept ist einfach: Eltern suchen sich online die gewünschten Waren aus. Es gibt die Kategorien neu oder wie neu. Diese kommen per Post ins Haus. Alle Sachen können so lange behalten werden, wie gewünscht. Danach werden sie zurückgeschickt. Ab einem Warenwert von 15 Euro sind Versand und Rücksendung kostenfrei.

Versicherung inklusive

Hinter dem Geschäftsmodell steckt ein ausgeklügeltes System. Kilenda reinigt alle Kleidungsstücke in einer eigenen Wäscherei, sortiert notfalls auch aus. Einen Mitgliedsbeitrag gibt es nicht, die Kosten richten sich nach den Produkten.

Ein Langarm-Shirt kostet 80 Cent im Monat, eine Regenjacke vier Euro, das Hemd mit Fliege zwei Euro und ein Babyschlafsack 5,50 Euro – Versicherung inklusive. Wenn die Miete den Kaufpreis übersteigt, gehen die Sachen automatisch in den Besitz der Mieter über.

Autos, Fahrräder, Ferienwohnungen oder Bohrmaschinen: Inzwischen gibt es eine Reihe von Miet- und Teilungsmodellen, auch für Mode. Die Otto Group etwa bietet seit Ende 2016 über ihr Portal Otto Now Unterhaltungselektronik oder Fitnessgeräte zur Miete an. Gut 10.000 Mietverträge wurden binnen zwölf Monaten geschlossen.

Greenpeace lobt neues Angebot

Für Tchibo ist das Verleihsystem ein Baustein auf dem Weg zu einer Hundertprozent nachhaltigen Geschäftstätigkeit, der sich der Händler verschrieben hat. Unter anderem ist das 1949 gegründete Unternehmen drittgrößter Anbieter von Produkten aus Bio-Baumwolle weltweit und im Bündnis für nachhaltige Textilien.

Nicht zuletzt deshalb gibt es für Tchibo Share auch von Greenpeace Lob. „Die Anstrengung ist glaubwürdig“, sagt Deutschlandgeschäftsführerin Sweelin Heuss angesichts einer weltweiten Modeproduktion von jährlich 100 Milliarden Kleidungsstücken im Jahr. Aber: „Die Frage lautet: ,Wie können sie Geld damit verdienen, dass Menschen weniger Mode kaufen?’“

Verleihmodell ist ein Versuch

Tchibo-Chef Linemayr sieht das Leihmodell als Probefall auf dem Weg in eine verantwortungsvollere Welt. „Natürlich sind wir ein Unternehmen, das Gewinne machen muss, aber wird sind bereit, zu lernen“, sagt er. Die Testphase für das Vorzeigeprojekt setzt er auf ein bis zwei Jahre an. Ausweitung denkbar: Vorstellbar seien alle Produktkategorien, die temporär genutzt würden.

Auch Berater Fischer, der immerhin auch einige Jahre Umweltminister in Hessen war, betonte, dass sich angesichts des Bevölkerungswachstums die Wegwerfmentalität ändern müsse. Der Druck auf die Unternehmen werde wachsen. Zugleich warnte er vor zu großen Erwartungen: „Die Initiative wird nicht zur Volksverbesserung führen. Wenn sie Verbrauchereinstellungen verändert, ist viel erreicht.

Er outet sich übrigens als jemand, der kein Miet- oder Sharing-System nutzt. Mehr noch, sagt er in bekannter Deutlichkeit, er hasse es, Bücher zu verleihen. Aber das ist eine andere Geschichte.