Berlin. Die Zahl der Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen steigt rasch an. Ärzte warnen vor einer Überforderung der Krankenhäuser.
Wer in diesen Tagen verstehen will, wo Deutschland in der Pandemie steht, stößt auf scheinbare Widersprüche: Einerseits will die Politik die epidemische Notlage demnächst für beendet erklären und rechtfertigt dies unter anderem mit den Impfungen.
Laut Robert Koch-Institut (RKI) haben inzwischen mindestens 66,5 Prozent der Gesamtbevölkerung den vollen Impfschutz. Doch zugleich steigt die Zahl der Neuinfektionen seit einigen Tagen wieder rasant an. Allein am Donnerstag meldete das RKI binnen 24 Stunden 28.037 Coronavirus-Neuinfektionen sowie 126 neue Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag bei 130,2, vor einer Woche indes noch bei 85,6.
Auch die Zahl der Neuaufnahmen von Covid-19-Patienten in Kliniken geht steil nach oben. Die Zahl neu aufgenommener Corona-Patienten je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen lag bei 3,31. Die Kliniken warnen bereits vor einer nahenden Überforderung, sollte es so weiter gehen.
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach betont, die Lage auf den Intensivstationen spitze sich seit rund zwei Wochen zu. „Wir laufen langsam auf die Überforderung zu“, sagte er unserer Redaktion. Aber kann es wirklich sein, dass den Krankenhäusern schon wieder der Notstand droht? War die Lage im vergangenen Herbst und Winter nicht viel dramatischer als jetzt?
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Ein wichtiger Unterschied zum Winter 2020/21
Tatsächlich gab es im vergangenen Dezember und Januar Wochen, in denen auf den Intensivstationen mehr als 5000 schwerkranke Covid-Patienten behandelt wurden. Derzeit sind es nach Angaben des Zentralregisters der deutschen Notfallmediziner rund 1800. Das ist eine andere Größenordnung.
Doch es gibt einen wichtigen Unterschied: Damals wurden sämtliche planbare Operationen verschoben, um Behandlungsplätze für Corona-Patienten zu schaffen. Der Regelbetrieb der Kliniken war damit praktisch ausgesetzt. Jetzt ist es anders.
Lauterbach betont, die aktuelle Lage in den Kliniken habe, anders als in der Vergangenheit, weniger mit insgesamt zu hohen Fallzahlen bei den Covid-Patienten zu tun, „sondern damit, dass gleichzeitig Patienten mit anderen Erkrankungen wie Krebs oder Herzleiden auf den Intensivstationen behandelt werden“. Die Kapazitäten für Corona-Patienten seien somit geringer. Sollten die Covid-19-Zahlen bald noch weiter steigen, „bekommen wir in den Krankenhäusern ein Problem und es stellt sich die Frage, wie wir das bewältigen können“.
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4000 weniger Pflegekräfte als noch Anfang des Jahres
Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) weist zudem darauf hin, dass die Gesamtzahl der betreibbaren Intensivbetten wegen Mangels an Pflegekräften um 4000 geringer ausfällt als zu Anfang des Jahres. Der Grund: Wegen der Belastung hätten viele Pflegekräfte ihren Beruf verlassen oder ihre Arbeitszeit reduziert. Damit verschärft sich die Situation zusätzlich.
Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund warnt vor einer Lage in den Kliniken wie in den letzten Hochphasen der Pandemie. „Ich möchte nicht wieder erleben, dass wegen Covid-19 Operationen abgesagt werden müssen, weil sonst die Versorgung personell nicht bewältigt werden kann“, sagte die Vorsitzende Susanne Johna unserer Redaktion. Sie betonte, auch Patienten mit anderen schweren Erkrankungen hätten „Anspruch darauf, ohne Zeitverzug im Krankenhaus behandelt zu werden“. Daher müsse es jetzt darum gehen, solche Versorgungseinschränkungen zu vermeiden. Johna forderte eine Ausweitung der Impfungen sowie gezielte Auffrischungen für Risikogruppen.
Auch der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, verlangt, angesichts der steigenden Fallzahlen und vermehrter Impfdurchbrüche müsse man dafür sorgen, dass die besonders vulnerablen Menschen in den Pflegeeinrichtungen und das medizinische Personal zügig ihre Auffrischimpfungen erhielten.
Lauterbach kritisiert schleppenden Impffortschritt
Zudem fordert er eine Fortführung von Testungen für Personal und Besucher in den Pflegeeinrichtungen „auch über die Jahreswende hinaus“. Westerfellhaus mahnt, Corona werde auch in diesem Winter „eine immense Herausforderung für uns alle und unser Gesundheitswesen“.
Lauterbach sieht derweil einen direkten Zusammenhang zwischen der aktuell steigenden Zahl der Corona-Intensivpatienten und dem eher schleppenden Impffortschritt. „Mehr Impfungen hätten eine solche Lage verhindern können“, kritisiert Lauterbach. Deutschland habe eine deutlich schlechtere Impfkampagne als andere Länder in Europa, „das Ergebnis zeigt sich jetzt“.
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Die deutsche Impfkampagne stagniere, auch die Auffrischungsimpfungen kämen kaum voran. „Die Folgen werden wir vermutlich in den kommenden Wochen auf den Intensivstationen sehen“, warnt Lauterbach.
Laut einer neuen Forsa-Umfrage im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums wollen sich jedoch die allermeisten Menschen, die noch keine Corona-Impfung in Deutschland haben, auch in nächster Zeit nicht impfen lassen. 65 Prozent der befragten Nichtgeimpften hätten dies auch in den kommenden acht Wochen auf keinen Fall vor. 23 Prozent sagen eher Nein. Damit wollen fast neun von zehn Nichtgeimpften auch demnächst keine Impfung. Sie bleiben so weiter ungeschützt gegen das Virus.