Berlin. Sie verspeisen Insekten von innen heraus oder treiben sie in den Selbstmord: Manche Parasiten haben grausige Überlebensstrategien.

Still und völlig unbemerkt rieseln winzige Pilzsporen auf die Ameise. Nichts deutet darauf hin, dass dieses Ereignis das Leben des Insekts in Kürze beenden wird. Zuvor wird ein fremdes Lebewesen die Steuerung ihrer Bewegungen übernehmen, ihr Gehirn auffressen und ihren toten Körper schließlich als Sprungbrett für die eigene Vermehrung nutzen. Ein typischer Fall von Zombie-Parasitismus, wie er vor allem im Reich der Insekten gar nicht selten ist.

Andere Lebewesen zu manipulieren, um das Überleben der eigenen Art zu sichern – diese Strategie ist Millionen Jahre alt. Und sie kann wechselnde Umweltbedingungen überdauern, wie Forscher um den Entomologen David Hughes von der Pennsylvania State University zeigen. Demnach steuern parasitäre Pilze das Verhalten ihrer Ameisen-Wirte um, wenn wechselnde Klimabedingungen dies erfordern.

Erst macht der Pilz die Ameise gefügig, dann frisst er ihr Gehirn

Bei den untersuchten Pilzen handelt es sich um Vertreter der Gattung Ophiocordyceps. Sobald ihre Sporen auf einer Ameise gelandet sind, beginnen sie zu keimen und dringen über die Tracheen – das Atmungssystem – in den Körper ein. Der Pilz bildet dann fadenförmige Zellen und ernährt sich von den Organen seines Wirts – allerdings nur von den nicht unmittelbar lebenswichtigen. Schließlich bildet er Chemikalien, die das Verhalten der Ameise verändern: Sie klettert an die Spitze einer Pflanze und krallt oder beißt sich an einem Blatt oder Blattstil fest.

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    Wenn der Pilz bereit ist, Sporen zu bilden, schlägt er final zu: Er frisst das Gehirn der Ameise und tötet sie. Dann bricht ein Stil aus dem Körper der Ameise hervor, an dessen Spitze sich der Fruchtkörper des Pilzes bildet. Aus ihm regnen schließlich unzählige neue Sporen herab in Richtung Boden, wo sie auf weiteren Ameisen landen. Der grausige Kreislauf beginnt von neuem.

    Fremdgesteuerte Ameisen

    Das Zombie-Ameisen-Phänomen sei rund um die Welt zu beobachten, außer in Europa, schreiben die Forscher im Fachmagazin „Evolution“. Einen Unterschied allerdings gebe es in verschiedenen Regionen der Welt: In tropischen Gebieten mit immergrünen Bäumen klammern sich die fremdgesteuerten Ameisen meist an Blätter, in gemäßigten Zonen hingegen an kleine Äste oder Rinde.

    Die Wissenschaftler zeigen, dass das Festhalten an Blättern das ursprüngliche Verhalten war. Das belegt unter anderem ein 47 Millionen Jahre alter Fossilfund aus Deutschland. Er zeigt eine Ameise, die sich in ein Blatt verbeißt. Damals war das Klima wärmer; feuchte, immergrüne Wälder erstreckten sich vom Äquator fast bis an die Pole.

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      Pilz passt sich Klimaveränderungen an

      Als das Klima in den gemäßigten Zonen abkühlte, veränderte sich die Vegetation. In Richtung der Pole wuchsen vermehrt Wälder mit laubabwerfenden Bäumen – aus Sicht des Pilzes eine Katastrophe. Denn mit den fallenden Blättern würden seine daran gekrallten Wirte im Herbst auf dem Boden landen, wo die Pilzsporen nur schlechte Verbreitungschancen besitzen.

      Doch der Pilz passte sich an: Er brachte im Laufe der Evolution die Ameisen dazu, sich nicht mehr an die Blätter zu krallen, sondern an die Äste. Die Anpassung entwickelte sich in unterschiedlichen gemäßigten Regionen der Welt unabhängig voneinander, zeigten die Forscher weiter. Wie genau es der Pilz geschafft hat, so präzise das Verhalten seines Wirts zu verändern, wissen sie nicht.

      Parasit treibt Tier in den Selbstmord

      Andere Forscher untersuchen verhaltenssteuernde Parasiten, um Einblick in die Neurobiologie des Verhaltens zu bekommen. Frederic Libersat von der Ben Gurion Universität in Beer Sheva veröffentlichte gemeinsam mit Kollegen eine Übersichtsarbeit im Fachmagazin „Frontiers in Ecology“. Darin trugen sie das Wissen über die Grundlagen der Bewusstseinskontrolle durch Parasiten zusammen. „Es gibt Parasiten, die gezielt das Verhalten einzelner Tiere steuern“, erläutert Libersat. „Sie treiben sie in den Selbstmord, missbrauchen sie als Leibwächter oder kontrollieren ihre Bewegungen.“

      Der Kleine Leberegel (Dicrocoelium dendriticum) nötigt seine Opfer zur Selbsttötung: Der Parasit zwingt Ameisen, an die Spitze eines Grashalms zu krabbeln und dort auf den Tod zu warten – in Form einer weidenden Kuh oder eines anderen grasenden Tieres, welches die Ameisen samt des Grases verschlingt. Einmal im Körper angelangt, bildet der Parasit Eier, die der grasende Wirt ausscheidet. Schnecken infizieren sich über den Kot mit den Parasiten und scheiden ihrerseits Schleimkugeln mit dessen Larven aus. Die sind anscheinend eine Köstlichkeit für umherkrabbelnde Ameisen, in denen sich der Parasit konsequenterweise als Nächstes einnistet.

      Andere Parasiten werden auf direktem Weg zum Mörder: Die Fliege Pseudacton triscuspis greift Ameisen an, um ihre Eier in deren Körper zu legen. Die daraus schlüpfenden Larven wandern zum Kopf und ernähren sich von der Körperflüssigkeit. Das Beste heben sie sich bis zum Schluss auf: Kurz vor dem Verpuppen fressen sie den Inhalt des Ameisenkopfes, woraufhin der gemeinhin einfach abfällt.

      Manche Parasiten wollen von ihrem Wirt nur Schutz

      Nicht immer dient Parasitenbefall unmittelbar der Vermehrung. Einige wollen durch die Attacke Schutz für sich oder ihren Nachwuchs erschleichen. Die Marienkäfer-Brackwespe (Dinocampus cocinellae) befällt verschiedene Arten von Marienkäfern, etwa Coleomegilla maculate. Sie legt ein einziges Ei in den Körper des Käfers. Die daraus schlüpfende Larve entwickelt sich etwa 20 Tage in seinem Inneren, krabbelt heraus und spinnt einen Kokon zwischen den Beinen des Käfers.

      „Wenn die Wespenlarve hervorgekommen ist, bleibt der Käfer am Leben, und zwar direkt über dem Kokon“, sagt Libersat. Als Bodyguard schützt er den Brackwespen-Nachwuchs vor dessen Feinden – ohne selbst etwas davon zu haben. Untersuchungen zeigen, dass die Überlebensrate derart bewachter Kokons bei der Attacke eines Feindes bei 65 Prozent liegt. Ungeschützt beträgt sie maximal 15 Prozent. Wie aber gelingt es der Wespe, den Käfer noch außerhalb des Körpers unter ihre Kontrolle zu zwingen?

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        Gar nicht – zumindest nicht unmittelbar. Die Wespe injiziert zusammen mit dem Ei ein Virus in den Käfer, das sich zunächst in der Larve befindet. Kurz bevor diese den Käfer verlässt, kommt es zu einer massiven Vermehrung der Viren und einer „Übergabe“ an den Käfer. Untersuchungen zeigen, dass die Vermehrung der Viren mit den Verhaltensänderungen des Käfers korreliert und eine Beseitigung der Viren dessen Verhalten normalisiert.

        Was die unterschiedlichen Beispiele für die Parasiten-Attacken eint: Die angegriffenen Wirte haben ihnen wenig entgegenzusetzen. „Im besten Fall generiert der Wirt eine Immunreaktion“, sagt Libersat. „Parasiten sind ziemlich spezifisch an einen Wirt angepasst. Hätte der eine Abwehrstrategie, würde der Parasit aussterben.“