Berlin. Auf dem Meeresgrund liegen Hunderte deutsche U-Boote – eine Tatsache, die Schatzsucher elektrisiert. Um viele Boote ranken sich Mythen.

Tomas Termote konnte sein Glück kaum fassen. Er wusste, dass an dieser Stelle vor der belgischen Küste ein Wrack liegt – das legten behördliche Sonar-Abtastungen des Meeresbodens nahe, die Termote regelmäßig studiert in der Hoffnung, etwas Ungewöhnliches zu entdecken. Und tatsächlich erwies sich das Wrack bei seinem Tauchgang nicht als alter Fischkutter, sondern als deutsches Unterseeboot, das seit 101 Jahren in 30 Meter Tiefe auf dem Grund der Nordsee ruht. Es sei ein unglaubliches Gefühl gewesen, schildert Termote seinen Fund, ein richtiger Kick.

Der Belgier Termote (42), ein studierter Meeresarchäologe, sucht und erforscht seit Jahrzehnten die Überreste gesunkener Schiffe. Aber auf so eine Entdeckung wie im Juni hat er lange gewartet. Denn das deutsche U-Boot vom Typ UB II ist weitgehend intakt und verschlossen – ein wahrer Sensationsfund, in dem sich die Überreste von 22 Männern befinden.

Belgische Behörden wollen das Wrack nicht anrühren

Das Boot als Zeitkapsel: Kleidung, Ausrüstung und Papiere könnten erhalten geblieben sein. In ähnlichen Fällen wurden noch lesbare Tagebücher gefunden. Was mag sich im Innern von UB II befinden? Womöglich wird man es nie erfahren. Denn die belgischen Behörden wollen das Relikt aus dem Ersten Weltkrieg nicht anrühren.

Ein Bild des deutschen U-Bootes aus dem Ersten Weltkrieg, das auf dem Grund der Nordsee vor Ostende in Belgien gefunden wurde..
Ein Bild des deutschen U-Bootes aus dem Ersten Weltkrieg, das auf dem Grund der Nordsee vor Ostende in Belgien gefunden wurde.. © dpa | Tomas Termote

Der Fund elektrisiert Schatzsucher und Forscher, die auf eine ähnlich spektakuläre Entdeckung hoffen wie Tomas Termote. Denn in den Meeren warten noch Hunderte deutsche U-Boote auf ihre Entdeckung – um viele ranken sich Mythen. „In einigen sollen sich Goldschätze befunden haben, andere hatten angeblich ranghohe Nazigrößen an Bord“, sagt Kai Steenbuck vom Deutschen U-Boot-Museum in Cuxhaven. Der 40-Jährige ist „U-Boot-Enthusiast seit Kindertagen“ und forscht zur Marinegeschichte.

Auch wenn viele der Legenden wahrscheinlich Seemannsgarn seien, ziehen sie doch die Aufmerksamkeit von Glücksrittern weltweit auf sich. Nach einer Auswertung des Museums, die dieser Zeitung vorliegt, sind während des Zweiten Weltkriegs von 1168 in Dienst gestellten U-Booten 765 im Einsatz verloren gegangen. Weitere 116 Boote wurden von der britischen Royal Navy nach Kriegsende nördlich von Irland versenkt. Im Ersten Weltkrieg sanken 202 von 375 U-Booten.

Bundeswehr spricht von 229 verlorenen Booten

Die Bundeswehr nennt zwar auf Anfrage etwas andere Zahlen, dort spricht man beispielsweise von 229 Booten, die zwischen 1914 und 1918 verloren gingen. Doch so oder so: Noch immer werden derart viele Boote vermisst, dass wohl niemals alle gefunden werden, glaubt Steenbuck. „Es gibt noch reichlich Potenzial für interessante Entdeckungen, auch in flacheren Gewässern wie dem Mittelmeer oder der Nord- und Ostsee.“

Auf Hilfe von Behörden können Schatzsucher nicht hoffen. Denn die haben kaum Interesse daran, U-Boote aus Kriegszeiten aufzuspüren. „Wracks werden von allen betroffenen Regierungen als Kriegsgräber angesehen, deren Totenruhe es zu wahren gilt“, so Steenbuck. Das könne am ehesten bei unentdeckten Wracks gewährleistet werden. Ausnahmen machen staatliche Stellen nur, wenn sie ein besonderes Interesse an einer Bergung haben. Etwa, weil das Wrack eine Umweltgefahr darstellt.

Experte hat Mitleid mit der Besatzung

Wie es in einem verschlossenen U-Boot aussieht, das seit Jahrzehnten unberührt auf dem Meeresboden liegt, ist weitgehend unbekannt. Liegen die Skelette in ihren Uniformen in der Kajüte? „Ich habe noch nie Fotos aus dem Innern gesehen“, sagt Steenbuck. Er vermutet aber, dass in die meisten Wracks durch rostende Stellen im Laufe der Zeit Wasser und Sand eingedrungen sind. In einem Wrack wurden mal zwei Schädel mit Einschusslöchern gefunden – die eingeschlossenen Seeleute hatten ihrem Leben offenbar selbst ein Ende gesetzt, um einem qualvollen Erstickungstod zu entgehen.

Tomas Termote, der Entdecker des U-Boots vor Ostende, hat jedenfalls großes Mitleid mit der Besatzung. Nicht nur, weil sie vermutlich von einer Mine versenkt wurde. Das Leben an Bord, die katastrophalen sanitären Bedingungen – all das müsse die Hölle gewesen sein.