Hannover . Bis zu 74.000 Euro kostet eine Behandlung gegen Hepatitis C mit dem Wirkstoff Sofosbuvir. Doch wer soll solche Kosten tragen können?

Grundlegende Durchbrüche in der Medizin sind selten. Zu solchen Meilensteinen zählt der Leberspezialist Michael Manns die Entwicklung des Wirkstoffs Sofosbuvir vor wenigen Jahren. Er kuriert Hepatitis C. „Diese neuen Therapien gehören zu den größten medizinischen Revolutionen, die ich erlebt habe“, sagt der Vorsitzende der Deutschen Leberstiftung. „Damit ist Hepatitis C die erste chronische Viruserkrankung, die geheilt werden kann.“ Nur: Die Revolution ist mit enormem finanziellen Aufwand verbunden.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) führt Sofosbuvir auf der Liste der unentbehrlichen Medikamente. Die Heilungsrate liegt – in Kombination mit anderen Mitteln – bei über 90 Prozent. Weltweit sind schätzungsweise 71 Millionen Menschen mit dem Hepatitis-C-Virus (HCV) infiziert.

In Deutschland geht Manns von etwa 250.000 Infizierten aus. Übertragen wird HCV vor allem durch Blut und Blutprodukte, zum Beispiel verunreinigte Blutpräparate, schlecht sterilisierte medizinische In­strumente oder kontaminiertes Spritzbesteck. „Die Erkrankung verläuft jahrzehntelang unbemerkt und kann zu Leber- oder Nierenversagen, Leberzirrhose und Leberkrebs führen“, sagt Manns, der die Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) leitet. Pro Jahr sterben diversen Schätzungen zufolge weltweit zwischen 400.000 und 490.000 Menschen.

74.000 Euro für einen Behandlungszyklus


Doch statt für globale Heilung sorgt Sofosbuvir seit seiner Einführung vor fünf Jahren für Streit. Der Pharmakonzern Gilead Sciences forderte damals für einen Therapiezyklus – zwölf Wochen lang täglich eine Tablette, insgesamt also 84 Pillen – in den USA bis zu 84.000 US-Dollar (gut 74.000 Euro). In Deutschland lag der Einführungspreis 2014 von Sovaldi, so der Markenname, bei 60.000 Euro.

In der Zwischenzeit senkte Gilead dann nach Angaben der Techniker Krankenkasse die Kosten für das Mittel auf nunmehr gut 43.000 Euro. Der Preis für die Therapie mit dem Sofosbuvir-Kombinationspräparat liegt in Deutschland bei etwa 30.000 Euro, ähnlich wie die Konkurrenzprodukte Maviret von Abbvie und Zepatier von MSD. In den meisten Ländern kosten die Präparate zwar weniger – allerdings werden die Herstellungskosten auf unter 100 Euro geschätzt.

Kosten dienen laut Ärzte ohne Grenzen der Profitmaximierung

Wegen der hohen Preise für Sofosbuvir haben „Ärzte ohne Grenzen“ und 32 weitere Organisationen im März 2017 ein Patent von Gilead auf den Wirkstoff angefochten. Nachdem das Europäische Patentamt in München die Klage abgewiesen hatte, legten „Ärzte ohne Grenzen“ und fünf weitere Gruppen Ende 2018 Berufung ein. „Die Berufung zielt darauf ab, den Missbrauch des Patentsystems durch Pharmaunternehmen zum Zweck der eigenen Profitmaximierung zu stoppen“, betont „Ärzte ohne Grenzen“. Mitarbeiterin Gaëlle Krikorian erläutert: „Es handelt sich um gute Produkte, aber sie sollten zu einem fairen Preis verkauft werden.“

Gilead sieht sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. In Entwicklungsländern habe das Unternehmen Partnerschaften mit regionalen Generika-Herstellern, dadurch würden die Medikamente „in mehr als 130 Ländern kostengünstig“ abgegeben, heißt es auf Anfrage, ohne weitere Details. Krikorian widerspricht: Die Kosten führten in vielen Ländern weltweit dazu, dass das lebensrettende Mittel Menschen vorenthalten werde, auch in Europa. Vielerorts würden Therapien aufgeschoben, um die Gesundheitssysteme nicht zu überlasten. Zudem drosseln die hohen Preise die Bestrebung, HCV-Infektionen überhaupt festzustellen.

Therapierung aller Infizierten kostet allein in Deutschland Milliarden

In Deutschland würde die Therapierung aller Infizierten etliche Milliarden kosten. Doch was wäre ein fairer Preis? „Bei einem funktionierenden Wettbewerb orientiert sich der Preis an den Produktionskosten“, sagt Georg Marckmann vom Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin der Universität München. Doch bei Medikamenten sei nicht die Produktion teuer, sondern die Erforschung und Entwicklung. „Pharmaunternehmen müssen die Möglichkeit haben, diese Kosten zu decken, zumal es nur die wenigsten Produkte auf den Markt schaffen“, sagt der Medizinethiker.

Daher müsse es ein Patent ermöglichen, ein Vielfaches der Entwicklungskosten einzuspielen. Das sei aber kein Blankoscheck für exorbitante Preise – zumal die Entwicklung von Sofosbuvir zu einem Teil mit öffentlichen Mitteln gefördert worden sei. Ursprünglich hatte das US-Unternehmen Pharmasset den Wirkstoff entwickelt und schon bis in Phase-2-Studien vorangetrieben. Gilead kaufte das Unternehmen Ende 2011 für 11 Milliarden US-Dollar und finanzierte dann die Zulassungsstudien. An dem Wirkstoff verdiente das Unternehmen laut „Ärzte ohne Grenzen“ bis zum vorigen Jahr 58 Milliarden Dollar (gut 51 Milliarden Euro).

Therapie muss erschwinglich sein

Das Unternehmen selbst möchte dazu auf Nachfrage keine Angaben machen. „Der hohe Preis für Sofosbuvir ist nicht mehr im Rahmen“, sagt Marckmann. „Denn er bedeutet, dass der Zugang eingeschränkt ist. Das Mittel ist nicht für alle finanzierbar.“ Unter Umständen, so Marckmann, sei ethisch gesehen sogar eine Zwangslizenzierung für Generika gerechtfertigt, wenn sich Menschen das Mittel nicht leisten könnten.

Genau das haben besonders betroffene Länder wie China, Brasilien, Ägypten oder die Ukraine getan. Dort koste die Therapie mit Generika inzwischen weit unter 100 US-Dollar, sagt Krikorian von „Ärzte ohne Grenzen“.

Dass Mittel in reichen Ländern wie Deutschland deutlich teurer sind als in ärmeren Regionen, hält sie, ebenso wie Marckmann, grundsätzlich nicht für verwerflich – solange die Therapie für Patienten erschwinglich bleibt.