Neu-Delhi. Ein Land mit Reizen im Überfluss: Indien begeistert Besucher mit kunstvollen Tempeln, spirituellen Ritualen und lebendigen Märkten.

Brahma, in der hinduistischen Mythologie der Schöpfer des Universums, hat sich für 11 Uhr mit seiner Gemahlin zum Opferritual am ­heiligen See verabredet. Sie solle bitte pünktlich sein. Die stolze Savitri lässt des Gatten Wunsch kalt – sie kommt deutlich zu spät.

Anders als im Menschenreich, wo diese weit verbreitete Verhaltensweise abgesehen von wiederkehrenden Diskussionen meist ohne Folgen bleibt, reagiert der stocksaure Brahma mit einer drastischen Maßnahme: Er nimmt sich die zufällig am See weilende Gayatri, eine Kuhhirtin vom Stamm der Gujars, zur zweiten Frau und zieht mit ihr zusammen die Opfer­zeremonie durch.

Was nun wiederum Savitri auf die Palme bringt: Sie werde dafür sorgen, dass er zukünftig nur noch an einem einzigen Ort im Land verehrt werde, in Pushkar.

Und hier sind wir nun, um die Pushkar Mela mitzuerleben, ein farbenprächtiges Spektakel, bei dem Religiöses und Profanes auf einzigartige Weise miteinander verschmelzen. Jetzt, in der Zeit zwischen Halb- und Vollmond im hinduistischen Mondmonat Kartika, reisen Tausende von Pilgern an, um im heiligen See zu baden.

Reinigung der Seele

Das rituelle Bad ­verspricht die Reinigung der Seele und die ­spirituelle Erneuerung des Geistes der Pilger und ihrer Ahnen. Die Brahmanen-Priester, die die Zeremonie durchführen, werden mit Früchten, Getreide oder Geld entlohnt. Wir tauchen ein in den dicht gedrängten Strom der Pilger, die sich barfuß die Treppenstufen zum Brahma-Tempel hinaufschieben, dort ihre ­Opfergaben ablegen und abschließend das Heiligtum umrunden.

Spirituelle Ruhe herrscht aber nur bei den Betenden am Pushkar Lake – eine Oase religiöser Kontemplation inmitten bunten, ausufernden Jahrmarkttreibens: 40.000 Kamele, 25.000 Pferde stehen am Ortsrand zum Verkauf.

Wir wandern zwischen den Zelten der Händler, ihren Wagen und Tieren hindurch: Geld wird nach erfolgreichem Verkauf gezählt, zwei kleine Jungen halten ein Kamel am Boden, dem ihr Vater mit einer archaischen ­Bartschere die Haare stutzt, eine Gruppe von Kindern wird in einer Kameltränke gebadet.

Der Kamelmarkt in Pushkar.
Der Kamelmarkt in Pushkar. © Getty Images | JUERGEN RITTERBACH

Die durstigen Tiere stört es nicht. Auf dem zentralen Festplatz wird den Besuchern allerhand geboten: Kamelschmücken-Wettbewerb, Pferderennen oder -tanz, Fahrten mit dem Heißluftballon. Immer wieder begegnen wir Gruppen prächtig gekleideter junger Frauen, die mit ihren Eltern aus den umliegenden Wüstendörfern angereist sind auf der Suche nach einem passenden Ehemann.

Jodhpur und die Macht der Brahmanen

„Warum sind die Häuser in der Altstadt von Jodhpur blau?“, wollen wir von Sandeep, unserem Guide in Jodhpur, wissen. „Das hat mit der blauen Haut des Gottes Shiva zu tun. Der hat zwei Gesichter: Als Rudra zerstört, als ­Shiva erneuert und verbessert er.

Zerstört hat er nach der hinduistischen Mythologie auch die giftige Kobra, indem er ihr Gift trank, was seine Haut blau färbte und zugleich die Menschheit vor dem todbringenden Schlangengift bewahrte. Und hier in Jodhpur leben viele Angehörige der Priesterkaste, Brahmanen. Die haben wegen dieser Legende ihre Häuser blau gefärbt“, erklärt Sandeep.

Er erstaunt uns mit einer brandaktuellen Erfolgsgeschichte: „Heute entstammen der Brahmanen-Kaste ganz hervorra­gende Führungskräfte der interna­tionalen ­IT-Branche wie Satya Nadella, CEO bei ­Microsoft, oder Sundar Puchai, CEO bei Google.“

Die beiden hätten ihre Unternehmen mit völlig verändertem Führungsstil wieder auf die Erfolgsspur gebracht. Nadella sei ein nahbarer Inspirator, für den gute ­Führung bedeute, ­Empathie und Demut zu zeigen und in jedem Menschen das Beste zum Vorschein zu bringen.

Wir genießen das stille Wandeln durch Jodhpurs schattige Altstadtgassen, deren Enge das sonst in indischen Städten übliche Verkehrschaos aussperrt. Exotische Düfte, die von den Gewürzhändlern oder den Streetfood-Ständen herüberwehen, alte Männer beim Plausch vor einer Kneipe, junge Frauen beim Shoppen in der Heiratsgasse, versteckte Hindutempel.

Grandioser Blick auf die blaue Stadt

Der Besitzer des Maharani-Art-Textile-Outlets zeigt uns stolz, dass die Qualität seiner Waren schon in einem „Geo“-Reisemagazin hoch gelobt worden ist und er alle ­renommierten Modelabels beliefert. Wir erstehen eine ultraweiche Decke aus dem Fell himalayischer Bergantilopen.

Hoch über der blauen Stadt thront das Mehrangarh Fort, mit dem Maharadscha Rao Jodha 1459 den Grundstein für die neue Hauptstadt des Marwar-Reichs legte. Wir ­steigen den von Festungsmauern gesäumten Serpentinenweg hinauf und erreichen eine schmale Hofanlage, die rechts vom Palast und links von einer Bastion gesäumt wird. Von hier bietet sich ein grandioser Blick zurück auf die blaue Altstadt.

Im Inneren der wehrhaften Mauern bezaubern Paläste aus vier Jahrhunderten mit ihrer filigranen Architektur: Moti Mahal, der Perlenpalast, in dem die Marwarherrscher auf silbernem Thron Huldigungen ihrer Untergebenen entgegennahmen und Recht sprachen, oder Sheesh Mahal, der Glaspalast, ganz mit farbigen Glasscherben und Spiegeln ausgestattet.

Hier wurden VIPs zu ­intimen Gesprächsrunden empfangen. Sehr fein gearbeitet sind die Fenster der Harems­gemächer: Durchbrochene Jaligitter lassen jeden Windhauch durch und ermöglichten den Frauen, ungesehen am Geschehen teilzuhaben.

Keine Uhren, keine Fototaschen im Jain-Tempel

Die lange Fahrt über teilweise schlechte Straßen hat sich gelohnt. Wir stehen sprachlos vor dem Jain-Tempel von Ranakpur, der vielleicht schönsten Tempelanlage Rajasthans. Der Marmortempel liegt abgelegen in einem dicht bewaldeten Flusstal, ist von einer hohen Mauer mit zahlreichen Nebenschreinen umgeben und beherbergt sage und schreibe 29 Säulenhallen.

„Lasst eure Uhren und die Fototasche im Auto“, mahnt Sandeep zu unserer Überraschung. „Die Jain-Religion setzt auf ­absolute Gewaltlosigkeit. Kein Tier darf für ­irgend- welche menschlichen Zwecke getötet werden. Deshalb wird man euch mit euren Uhrarmbändern und der Fototasche aus Leder nicht in den Tempel lassen.“

Die Mutter von Mahatma Gandhi war übrigens eine über­zeugte Jain-Anhängerin und hat ihren Sohn bei der Durchsetzung des gewaltlosen Widerstands gegen die britischen Kolonialherren stark unterstützt. Im Inneren der weiträumigen Hallen sorgen mehr als 1000 Säulen für ein magisches Spiel von Licht und Schatten.

Jede der Säulen ist ein Unikat und mit Blumen und Pflanzenmotiven verziert. Rankenmuster zieren die Deckenplatten, in den mit üppigen Steinmetzarbeiten gestalteten Kuppeln strecken sich Friese und Pfeiler in Gestalt von Göttinnen gen Himmel.

Udaipur, Seen-Königin und Filmkulisse

Waschtag am Pichola-See in Udaipur.
Waschtag am Pichola-See in Udaipur. © Getty Images | AlpamayoPhoto

Die Stadt Udaipur haben Filme wie „Der Tiger von Eschnapur“ oder James Bonds „Octo­pussy“ mit Roger Moore in der Titelrolle weltberühmt und zum Touristenmagnet gemacht. Wir entdecken rasch, warum: Gelegen am Pichola-See, von Bergen umgeben, grandiose Palastanlagen am Seeufer und auf Inseln, eine verwinkelte Altstadt, die einem einzigen Basar gleicht – Udaipur erfüllt nahezu perfekt jenes Klischee des exotischen Indiens, das sich in unseren europäischen Köpfen festgesetzt hat.

Auch der City-Palast wird diesem Image gerecht. Mit ihren vielen Erkern und Balkonen wirkt er sehr verspielt, fast schon etwas dekadent. Hier fehlt das Wehrhafte des Forts von Jodhpur oder anderer ­Palastanlagen Rajas­thans.

Wir wandeln durch den labyrinthartigen Bau. Besonders eindrucksvoll erleben wir den Badi Mahal, von dessen mit bunten Glasscherben verzierten Balkonen unsere Blicke weit über die Stadt bis zur Kette der Aravalli-Berge schweifen. Oder die Frauengemächer, in denen Spiegel und Glas eine surrealistische Atmosphäre schaffen.

Im Palast lassen die sich vorwärts schiebenden Touristenmassen keine Ruhe für ruhiges Betrachten und Aufnehmen all dieser faszinierend-exotischen Eindrücke. Das gelingt am Nachmittag, als wir mit einem kleinen Boot auf dem Pichola-See unterwegs sind: Wir gleiten an der endlos scheinenden Palastfront vorbei, sehen Mütter mit ihren Kindern im See baden, andere waschen zugleich ihre Wäsche.

Mitten im See der ehemalige „Freizeit­palast“ Jag Niwas, der ­heute eines der schönsten Hotels des Landes, das Lake Placid, beherbergt. Hier hatte James Bond alias Roger Moore in „Octopussy“ einige große Auftritte. Er dürfte sich wohl­gefühlt habe.

Vielleicht hat er so manchen Drehtag mit seinem Lieblingsgetränk „Wodka-Martini, geschüttelt, nicht gerührt“, beendet – mit Blick auf die von der Abendsonne ins perfekte Licht gesetzte Fassade des City-Palastes. Uns reicht ein kühles Kingfisher-Bier.

Goa – Touris und Fischer in Harmonie
„Sir! Help! Muscles!“ Der Rufer spannt dabei den Bizeps seines rechten Armes an, auf den er mit dem linken Zeigefinger zeigt. „Der meint dich, guck mal, was der von dir will“, meint meine Frau, mit der ich gerade auf einem unserer langen Spaziergänge entlang der Strände bei Benaulim unterwegs bin. Der Mann ist Fischer und versucht gerade zusammen mit – zu wenigen – Kollegen, sein Boot mit dem portugiesischen Namen Joaquim vom Strand ins arabische Meer zu manövrieren.

Das funktioniert nicht mit Unterstützung eines Autos mit Allradantrieb, sondern traditionell und mit Muskelkraft: Über immer wieder eingeölte Baumstämme wird das Holzboot etappenweise den breiten Strand hinuntermanövriert. Ein weiterer Tourist ist herbeigeeilt, und schließlich gleitet der hölzerne Kahn sanft ins Wasser.

In Sichtweite wird gerade ein prächtiger Wasserbüffel im Meer gebadet. Weiter oben am Strand flicken Fischer ihre Netze. Auf dem Rückweg mischen wir uns neugierig in eine Menschenansammlung: Gerade ist ein Fischerboot mit einer Ladung Makrelen angelandet, Familien und Betreiber der kleinen Strandrestaurants haben Bastkörbe mitgebracht, in denen sie die fangfrische Ware verstauen.

Unter ihnen ist auch Shiv, der Betreiber des Wassersportzentrums nahe unserem Hotel: „Morgen früh wird es gute Wellen geben. Soll ich dir wieder ein Body-Board reservieren?“ „Na klar“, antworte ich ohne zu zögern. Den Spaß in der Morgenstimmung lasse ich mir nicht entgehen. Und die Höhepunkte Alt-Goas mit seinem unverkennbar portugiesischen Erbe haben wir ja schon ausgiebig erkundet.

Tipps & Informationen

Ab Berlin und Hamburg ist die Anreise nach Jodhpur möglich mit Austrian und Air India über Wien und Neu Delhi.

Übernachtung in Jodhpur zum Beispiel im Traditionshotel Ajit Bhawan im ehemaligen Palast. DZ ab 125 Euro, Tel. 0091/291/251 14 10, www.ajitbhawan.com

Die geschilderten Orte sind Bestandteile diverser Rundreisen durch Indien von Gebeco, zum Beispiel der Privatreise „Indien nach Maß“. Auskunft auf www.gebeco.de oder unter Tel. 0431/54 46-732.

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch Gebeco Reisen.)