Kap Hoorn. 17.000 Kilometer sind es bis nach Kap Hoorn in Südamerika. Wie es sich anfühlt, 200 Meter vor dem Ziel wieder umkehren zu müssen.

Expedition is canceled. Die drei Wörter, die da durch die Lautsprecher tönen, kommen wohl im Ohr an, nicht aber im Glauben. Das kann nicht sein. 122 Reisende stehen dick eingepackt in Hightech-Funktionsklamotten und Sicherheitswesten an Bord der „Ventus Australis“, einem Expeditionsschiff, das an diesem Morgen um 7 Uhr vor Kap Hoorn liegt.

Der ursprüngliche Plan lautete: Die Zodiacs sollten die Passagiere nach und nach an Land bringen, immer 14 Leute in ein Boot. Achtung beim Einsteigen, bitte den Crewmitgliedern stets den ganzen Arm reichen, nicht nur die Hand, dann einen sogenannten Cha-Cha-Cha-Schritt hinlegen (den ersten Schritt auf die letzte Stufe des Schiffes, den zweiten auf den Rand des Zodiacs, den dritten hinein), anschließend sofort hinsetzen, um nicht über Bord zu gehen.

Die See hier sei unberechenbar, hatte es bei der Sicherheitseinweisung am Abend zuvor geheißen. 800 gekenterte Schiffe und 10.000 gestorbene Seefahrer – das fast schwarze Wasser rund um den zerfurchten, von Moos bewachsenen Felsen stellt einen der größten Friedhöfe der Welt dar.

Früher brauchte man 99 Tage, um das Kap zu passieren

Doch der naive Reisende bezog die Warnungen fälschlicherweise auf früher. Früher, als man auf Segelschiffen unterwegs war und nicht auf so modern ausgestatteten 40-Millionen-Dollar-Schiffen wie der „Ventus Australis“. Früher, als Skorbut und fauliges Salzfleisch das Leben an Bord bestimmten.

Als ein ständiges, fast verzweifeltes Kreuzen bei ­Regen, Kälte, schlechter Sicht und an Eisbergen vorbei erforderlich war, um Cabo de Hornos zu umrunden. Um mal eine kleine Vorstellung zu bekommen: 1905 brauchte der Hamburger Dreimaster „Susanne“ 99 Tage, um das Kap zu passieren.

Entdeckt wurde es 1616 bei einer Expedition der Horner Austraalse Compagnie vom niederländischen Seefahrer Willem Cornelisz Schouten. Seitdem hat es die Menschen herausgefordert, und es scheint keine Altersmilde zu kennen.

Wer es auf das Kap schafft, kann auf hölzernem Pfad Richtung Leuchtfeuer gehen.
Wer es auf das Kap schafft, kann auf hölzernem Pfad Richtung Leuchtfeuer gehen. © Australis | pr

Ihr wollt mich heute also betreten? Vergesst es! Ich bin das Bollwerk zwischen Pazifik und Atlantik, der Ritterschlag der Seefahrer, eine Legende. Eine Legende kann man nicht zähmen. Egal, von wie weit ihr kommt oder wie viel Geld ihr dafür ausgegeben habt, ich bin und bleibe das Kap Hoorn. Wild, einmalig, unnahbar!

Den Kampf Natur gegen Tourismus gewinnt an diesem Dezembertag nicht der Mensch. Tausende von Kilometern reiste er an den südlichsten Punkt des Kontinents, doch 200 Meter vor dem ersehnten Ziel ist Stopp. Die „Ventus Australis“ muss umkehren. Eine Landung sei zu gefährlich, erklären die Verantwortlichen. „Normalerweise tritt der Wind als unser größter Feind auf“, sagt Marcelo Gallo. „Doch in diesem Fall kommen uns die Wellen in die Quere.“

Wer sich auf solch eine Expedition einlässt, weiß: alles ohne Garantie

Der Expeditionsleiter schaut in enttäuschte Gesichter. Ein Herr meint, die Statistik verspreche eigentlich eine 82-prozentige Chance, zu dieser Zeit des Jahres an Land gehen zu können. Eine Frau entgegnet: „Das ist nicht Disneyland hier, das ist Natur.“ Gallo sagt: „Wer sich auf diese Expedition einlässt, der weiß: alles ohne Garantie. Doch glaubt mir, das Kap stellt nicht das einzige Wunder auf unserer Reise dar, ihr werdet sie erleben.“

Gallo hat gut reden. Er war bereits unglaubliche 600-mal auf Kap Hoorn. Wen Feuerland erst einmal in Besitz genommen hat, den lässt es wohl nicht mehr los.

Magellan sah 1520 die Feuer der Yamana-Indianer

Der Name Tierra del Fuego stammt aus Berichten der Expedition Ferdinand Magellans, der im Oktober 1520 als erster Europäer die nach ihm benannte Magellanstraße entdeckte und mit drei Schiffen durchfuhr. 20 Tage dauerte die Passage, bei der er immer wieder das ­Lagerfeuer der indigenen Völker, der ­Yamana-Indianer, beobachtet hatte.

Das wärmende Feuer hatten die Yamana damals dringend nötig. Sie waren immer nackt und fuhren mit Kanus herum. Ihr Oberkörper wirkte extrem trainiert, ihre Beine eher nicht, auf jeden Fall waren sie hervorragende Schwimmer.

Die See-Nomaden ernährten sich von Seelöwen, die man neben Pinguinen und Albatrossen auch heute noch sehr zahlreich zu sehen bekommt, und schmierten ihre Haut mit dem Fett der Tiere ein, um sich vor der eisigen Kälte zu schützen. Creme statt dick gefütterter, wasserfester Funktionsjacke? Für den Reisenden heute eine unvorstellbare Alternative.

Wer das Kap umrundet hat, gehört zur Bruderschaft der Kap Hoorniers

Einer der größten Feuerland-Fans ist (neben dem Schriftsteller Bruce Chatwin, der 1977 das Sehnsuchtsbuch „In Patagonien“ veröffentlichte) der Kapitän der „Ventus Australis“. „Dieses Land verändert die Menschen“, meint Álvaro Contrezas. Der 67-jährige Chilene hat die Spitze des Kontinents schon mit dem Segelschiff umrundet, er gehört damit zur exklusiven Bruderschaft der Kap Hoorniers.

Die Ehrenmitglieder ­dieser internationalen Gemeinschaft der mutigen Kapitäne müssen angeblich ihren Hut nicht abnehmen, sollten sie mal die Queen treffen. Sie bekommen in vielen Hafenkneipen der Welt Frei­getränke und haben die Ehre, einen besonderen Ring im linken Ohr zu tragen. Der fehlt allerdings bei Álvaro Contrezas: „Findet meine Frau nicht hübsch.“

Das Expeditionsschiff „Ventus Australis“ ist auf Reisen in diese Regionen spezialisiert.
Das Expeditionsschiff „Ventus Australis“ ist auf Reisen in diese Regionen spezialisiert. © Australis | Australis

Am Ende der Welt gibt es keinen Empfang

Die Passagiere lernen viel auf dieser Expedition. Neben lustigen Informationen wie diesen gibt einem jeder Reisetag eine Lektion in Abgeschiedenheit. Fast nirgendwo sieht man ein anderes Schiff. So viel Einsamkeit verträgt nicht jeder sofort, am ersten Reisetag tippen manche noch nervös auf ihren Handys herum, aber für die nächsten drei Tage wird dort keine Nachricht ein- noch rausgehen. Bei Nachfragen nach Wlan wird laut gelacht.

Am Ende der Welt herrscht kein Empfang. Dafür Überraschungen. Morgens um 6 Uhr zieht man die Vorhänge zurück – da bekommen die Augen einen Aufwach-Kick, den kein Koffein jemals wird leisten können. Fast lautlos gleitet das Expeditionsschiff im Beagle-Kanal an einem eisblauen Gletscher vorbei. Noch im Schlafanzug schnell die Sonnenbrille aufsetzen, sonst packt man so viel Naturschauspiel kaum.

Als hätte jemand Blue Curaçao über gefrorenen Schnee gekippt

Marcelo Gallo hatte ja andere Wunder versprochen, die Gletscher gehören auf jeden Fall dazu. Sie heißen Pia, Garibaldi, Agostini Sund, Cóndor und Águila Glacier. Stundenlang könnte man sie anstarren, denn ihr Weiß wird von leuchtend blauen Linien durchzogen. Als hätte jemand Blue Curaçao über den gefrorenen Schnee gekippt.

Je nach Exkursion sehen, umwandern, besteigen und hören die Passagiere die Eisriesen. Vor allem hören. Wie laut gefrorenes Wasser sein kann, wenn es sich bewegt und bricht! Es knallt so häufig, als würden unzählige Champagnerflaschen geöffnet. Da fühlt man sich am Ende der Welt doch irgendwie wie zu Hause.

Nach den Ausflügen wärmt ein heißer Kakao mit Whiskey

Apropos Alkohol: Als Abschluss der Ausflüge gibt es meistens heiße Schokolade mit einem Schuss Whiskey. Viele Passagiere verdienen diese Belohnung durchaus. Sie sind bis zur Erschöpfung bergauf geklettert, im knöchelhohen Matsch gewandert, durch Wasserfälle geschlittert und haben sich durch den Urwald gekämpft. Mit roten Wangen nehmen die Teilnehmer danach stolz ihr Getränk entgegen.

Die besten Erlebnisse und auf jeden Fall für die Kategorie Wunder vorzuschlagen sind die sogenannten Patagonien-Moments. An besonderen Aussichtspunkten setzen sich die Passagiere hin, bewegen sich möglichst nicht mehr (denn Hightech-Klamotten machen nervige Geräusche) und schweigen dann für zwei Minuten gemeinsam. Was für eine Stille! Vor allem die Großstadtmenschen unter den Reisenden knien vor dieser Natur-Offenbarung nieder.

Nach vier Tagen ist der Zauber vorbei. Was haben wir gelernt? Mit Enttäuschungen umzugehen. Uns andere Wunderziele zu suchen. Das Ende der Komfort- und Wi-Fi-Zone auszuhalten. Auf Wetterberichte zu pfeifen. Wer Hausrats- und Reiserücktrittsversicherungen für obligatorisch hält, wer bei leichter Bewölkung niemals das Haus ohne Schirm verlässt, für den wäre eine solche Expedition eine Herausforderung. Für alle anderen eine Weiterentwicklung.

Tipps & Informationen

Die Anreise nach Buenos Aires z.B. mit KLM oder Air France, weiter mit Latam nach Ushuaia in Argentinien oder Punta Arenas in Chile.

Die Schifffahrtsgesellschaft Australis hat sich auf Expeditionen durch Patagonien und Feuerland spezialisiert. Start ist Punta Arenas oder Ushuaia. Vier Nächte in der Doppelkabine ab 1265 Euro. www.australis.com

(Unterstützt von Australis.)