Berlin. Energy-Harvesting sammelt Strom aus ungewöhnlichen Quellen. So könnten Patienten den Strom für Herzschrittmacher etwa selbst liefern.

Schaut man beim Zugfahren aus dem Fenster, kann man sie alle paar Meter neben dem Gleis entdecken: kleine gelbe Wachposten. Die päckchengroßen Boxen haben die Aufgabe, die Radachsen der vorbeifahrenden Züge zu zählen. Sie melden dann, wie schnell die Wagen sind, ob sie im Zeitplan liegen oder ob ihnen gar eine Achse fehlt. Die Helfer haben jedoch ein Problem: Sie brauchen Strom. Und das bedeutet bisher Tausende Kilometer Kabel, die quer durch das Land verlegt und instand gehalten werden müssen.

Das kostet Geld, Zeit und Rohstoffe. Warum die Geräte also nicht ihren eigenen Strom erzeugen lassen, dachte sich Peter Woias. Woias erforscht an der Universität Freiburg, wie dafür kleinste Energiemengen aus der Umgebung genutzt werden können. Etwa aus den Schienen selbst. Jedes Mal, wenn ein Zug vorbeirauscht, vibrieren sie. Diese Schwingungen können kleine Generatoren antreiben, die Achszähler so ihre eigene Energie gewinnen. Kabel werden damit überflüssig.

Und das nicht nur hier: Mittlerweile werden mehr und mehr Maschinen entwickelt, die Energie aus ihrem Umfeld abschöpfen. Sie nutzen Bewegungen, Wärme oder Licht und ernten daraus beinahe nebenbei Strom. Sie betreiben Energy Harvesting. Messsysteme in Tunneln nutzen die Hitze vorbeifahrender Autos, um Luftschadstoffe oder ein Feuer zu melden. Turnschuhe verwenden den Druck, der beim Auftreten entsteht, um den Pulsmesser am Armgelenk anzutreiben.

Zahlreiche Energy-Harvesting-Produkte bereits in der Umsetzung

Sensoren bedienen sich an der Körperwärme von Tieren, um ihre Wanderrouten zu verfolgen. Und Herzschrittmacher zapfen den Herzschlag an, um die Pumpe auf Trab zu halten. Viele der Geräte stecken noch in der Entwicklungsphase. Andere, so Woias, seien hingegen ausgereift. Die Achsenzähler etwa. Da scheitere es bisher nur an der Umsetzung.

Anders hingegen bei einem Ding, das jeder täglich nutzt: dem Lichtschalter. Wenn wir mit dem Finger darauf drücken, entsteht ein kleiner Druck. Der ist groß genug, um eine Feder zu spannen, ein kleines Blechteil umzuklappen und so ein Funksignal zu erzeugen. Das empfängt eine Lampe, das Licht geht an. Und das ganz ohne aufwendig verlegte Leitungen. Die kabellosen Schalter befinden sich schon heute in zahlreichen Gebäuden, Tendenz steigend.

Wenn das Herz seinen eigenen Strom erzeugt

Auch unser Körper ist Teil dieses unerschöpflichen Energiereservoirs. Um sich daraus zu bedienen, hat das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) eine Art Prothese entwickelt, durch die unter dem Fuß kleine, flüssigkeitsgefüllte Kissen befestigt werden. Tritt man auf, wird Öl durch eine Schlauchverbindung hin- und hergepumpt und treibt – ähnlich einem Gezeitenkraftwerk im Miniaturformat – einen Kolben an, der wiederum einen Generator bedient.

Dabei entsteht genug Energie, um einen Pulsmesser oder ein Blutdruckmess­gerät anzutreiben. „Das Smartphone beim Joggen aufzuladen, bleibt jedoch eine Wunschvorstellung“, sagt Christian Pylatiuk vom KIT. „Dafür müssten wir 1000 Stunden laufen.“

Große Mengen an Energie zu ernten, sei laut Peter Woias auch nicht das Ziel der Technik. Vielmehr gehe es um kleine Stromflüsse an Stellen, an denen eine Verkabelung mühsam wäre und überschüssige Energie leicht abgegriffen werden kann – oder ein Batteriewechsel extrem aufwendig ist. Beim Herzschrittmacher etwa.

Eine leere Batterie bedeutet hier jedes Mal eine Operation, der sich Patienten alle zehn Jahre unterziehen müssen. Forscher weltweit arbeiten daher an einem Schrittmacher, dem die Energie nie ausgeht. Er bezieht sie stattdessen aus dem Herzschlag des Patienten: Ähnlich einer Stimmgabel wird ein kleines Gerät in der Herzkammer in Schwingung versetzt. Dadurch kann er im Inneren ausreichend Strom erzeugen.

Energieerhaltungssatz belegt das Phänomen

Dass die Energie-Ernte überhaupt funktioniert, ist dem Physiker Julius Robert von Mayer zu verdanken. Der beobachtete während einer Schifffahrt, dass die aufgewühlte See viel wärmer ist als die ruhige. Aus Bewegung, so schloss er, war Wärme geworden. Kurz darauf stellte er im 19. Jahrhundert den Energieerhaltungssatz auf. Demnach geht Energie nicht verloren, sie ändert nur ihre Form. Energie, die beim Zug- oder Autofahren, Laufen oder Herzschlag als Abfall entsteht, kann so in wertvollen Strom umgewandelt werden.

Ähnlich aufwendig wie der Batteriewechsel am Herzen ist der von Peilsendern an Tieren. Seitdem auch in hiesige Breitengrade Wölfe und Wisente zurückkehren, wollen Förster, Anwohner und Naturschützer wissen, wo sich die Tiere aufhalten. Positionen zu ermitteln, braucht jedoch viel Energie. Die Tiere müssen regelmäßig eingefangen, die Batterien gewechselt und die Tiere wieder laufen gelassen werden. Das sei, so Woias, nicht nur aufwendig, jedes Mal müsse ein Tierarzt dabei sein. Es störe die Tiere auch in ihrem Verhalten.

Auch hier arbeiten die Freiburger Forscher daran, die Energie aus dem Körper zu nutzen. In dem Fall die Wärme der Tiere. „Wenn ein Draht aus einem speziellen Material an der einen Seite warm und an der anderen kalt ist, also etwa zwischen der Hautoberfläche und der Luft, fließt Strom. Und der kann den Peilsender versorgen“, so der Ingenieur.

Heerscharen an Menschen müssten Batterien wechseln

Laut Peter Woias gibt es viele schwer zugängliche Orte. „Gerade wenn wir unsere Umwelt mehr überwachen wollen.“ Egal ob Luftwerte in Tunneln, Klimadaten an abgelegenen Orten oder Warnsysteme vor Umweltkatastrophen. Oder gar das Internet der Dinge, durch das in Zukunft Haushaltsgeräte über Funk mit dem Internet verbunden sein sollen. Für all das benötige es Sensoren. Würden die mit Batterien betrieben, bräuchte es eine Heerschar an Menschen, die sie regelmäßig wechseln. Und die Zahl alter Batterien würde weiter steigen (s. Kasten).

Dennoch plädiert Woias dafür, die Energie-Ernte nur dort einzusetzen, wo sie sinnvoll ist. Oft seien die selbstversorgenden Geräte noch zu teuer, groß oder schwer. Auch Vorhaben, bei denen es um große Energiemengen geht, sieht er kritisch. In Rotterdam habe etwa vor einigen Jahren die erste Tanzfläche ihren eigenen Strom erzeugt. Kleine Generatoren im Boden wandeln hier die Tanzschritte der Besucher in Strom um, der dann etwa für die Beleuchtung sorgt. „Die Energiemenge je Fläche ist jedoch so gering, dass ein Kabelnetz sie sammeln muss“, sagt Woias. Da sei der Aufwand größer als der Nutzen.