Hamburg. Auch in neuen Farben ist die Lady fast die Alte. Wiederkehrer fühlen sich zu Hause – wie die einstige Kreuzfahrtdirektorin bestätigt.

Die Brahms-Büste steht genau da, wo sie immer stand. Das große, zwei Decks hohe Wandgemälde von Alt-Heidelberg würden Millionen von „Traumschiff“-Fans sofort wiedererkennen. Oft war es Teil der Kameraeinstellungen bei der Einschiffung, wenn die erst kürzlich von Bord der ZDF-Serie gegangene Chefhostess Beatrice bei ihren ersten Gesprächen mit neuen Gästen im Foyer das Fundament für beliebte Urlaubs­geschichten legte.

Die Einschiffung findet jetzt im pompösen Kaisersaal statt. Die Uniformen sind türkis statt rot, zur Begrüßung gibt’s einen Hausmarken-Sekt, aber sonst ist die „good old lady“ MS „Deutschland“ ganz die Alte.

Maximal 520 Passagiere passen auf das „Grand Hotel“

Wobei alt natürlich relativ ist, denn die „Deutschland“ ist mit 20 Jahren das jüngste Hochseeschiff in der Phoenix-Flotte. Mit maximal 520 Passagieren – auf unserer Nordland-Reise waren es 374 – gehört sie, was das gern gebrauchte Wort vom „Grand Hotel“ gar nicht vermuten lässt, heute eher zu den Zwergen im Kreuzfahrt-Business. Läuft zum Beispiel die „Queen Mary 2“ in Hamburg ein, so hat sie rund fünfmal so viele Gäste an Bord.

Die Reisenden lieben den roten Plüsch, der übrigens auch nach einem halben Schiffsleben noch bestens erhalten ist. Dennoch gibt es oft die Frage, ob denn die „Deutschland“ mal etwas moderner würde. Die das fragen, haben den Reeder ­Peter Deilmann nicht gekannt, dessen Lebenswerk das Gesamtkunstwerk MS „Deutschland“ war.

Über die Kunstwerke gab es mal ein eigenes Buch

Er wollte einen klassischen Oceanliner schaffen, ein Schiff im Stil der Golden Twenties, wo blank geputztes Messing und edles Wurzelholz und Glaskuppeln à la Tiffany den Räumen eine Atmosphäre geben, die kein anderes Schiff zu bieten hat. Albert Ballin würde seine Handschrift in diesem Schiff wiedererkennen. Für die ungezählten Kunstwerke, darunter wertvolle Ölgemälde und Skulpturen des Künstlers Serge Mangin, gab es seinerzeit einen eigenen Kunstführer in Buchform, der heute zu hohen Preisen gehandelt wird.

Nicht wenige treue Repeater, wie die Wiederkehrer im Kreuzfahrt-Jargon heißen, die auf etlichen deutschen Schiffen weit mehr als die Hälfte der Gäste ausmachen, wurden hier ehemals zu begeisterten Kreuzfahrern. Sie wetteifern um 500 und mehr Bordtage und würden nie auf ein anderes Schiff wechseln. Die Reisen werden lange im Voraus gebucht, denn der Bonner Veranstalter Phoenix Reisen, der das Schiff im Charter betreibt, beschränkt das ­Angebot auf die viermonatige Sommersaison.

Die „Deutschland“ hat heute ein modernes, abwechslungsreiches Showprogramm, das von erstklassigen, professionellen Musical-Künstlern mit enormer Wandlungsfähigkeit auf die Bühne gebracht wird. Es korrespondiert bisweilen sogar mit den besuchten Reisezielen. Viermal täglich wählt der verwöhnte Reisegast zwischen zwei Restaurants, wo er entweder vom Büfett oder mit vollem Service am Platz versorgt wird. Wer möchte, reserviert im Spezialitätenrestaurant Vier Jahreszeiten ein Sechs-Gänge-Menü, das wöchentlich wechselt, ohne Aufpreis.

Für Phoenix-Fans gehören Reiseleiter zur Urlaubsfamilie

Ein zehnköpfiges Team aus türkisgewandeten, guten Phoenix-Geistern stellt die Rundumversorgung all jener sicher, die bei Sport und Spiel, Gespräch und Abendvergnügen noch etwas An­regung brauchen. Dass sie dabei die Gast-Betreuung etwas übertreiben und manchmal in so großer Zahl an der Bar hocken, dass kaum noch Platz für Passagiere bleibt, sei ihnen verziehen.

Für die meisten Phoenix-Fans gehören ihre ­Reiseleiter zur großen Urlaubsfamilie. Alles das funktioniert genau vier Mo­nate im Jahr, und deshalb werde ich auch oft gefragt: „Gibt es die ‚Deutschland‘ überhaupt noch?“

Offenbar sieht man mich, die letzte Kreuzfahrtdirektorin an Bord vor der Deilmann-Insolvenz und eine seit Jahrzehnten vom Kreuzfahrt-Virus gepackte Hamburger Deern, als kompetente Antwortgeberin an. Schließlich bin ich auf den verschiedensten Schiffen mit Moderationen und maritimen Lesungen die „Kreuzfahrtlady vom Dienst“.

Im Winter ist die MS eine schwimmende Universität

Zu meiner Freude fährt die „Deutschland“ wieder. Beim Auslaufen, wenn die Leinen losgeworfen werden und die Traumschiffmelodie für drei Minuten auf den Außendecks erklingt, bekomme ich trotz 35 Grad Hitze Gänsehaut. Nach der Heimreise des letzten Phoenix-Gastes im Spätsommer wird das Schiff in eine schwimmende Universität verwandelt.

In der Wintersaison, wo sich die „Deutschland“, wie alle Schiffe im hiesigen Markt früher stets schwertat, fährt sie jetzt als „World Odyssey“ rund um die Welt. Sie findet damit eine rentable Auslastung, weil die Flüge zu den Winterzielen weit und teuer und die Stammklientel jenseits der 70 ist.

Während ihr Kapitän über das Wort „Odyssey“ milde lächelt und ganz genau weiß, wohin die Reise geht, suchen die blutjungen Passagiere noch nach Orientierung. Damit die leichter fällt, haben ihre Eltern 28.000 Dollar tief in die Tasche gelangt, um ihnen ein „Semester at Sea“ zu spendieren. Dafür werden die beweglichen Teile der edlen Ausstattung eingelagert.

Binnen acht Stunden zurück zum Kreuzfahrer

Das Restaurant Berlin wird zum Hörsaal umfunktioniert, und statt der Füße der Tänzer bei glamourösen Abendshows rauchen im Kaisersaal die Köpfe der Studenten. Beim Büffeln in einzelnen Arbeitsgruppen haben die Girls und Boys gewiss keinen Blick für das riesige Deckengemälde, den riesigen Kronleuchter und den Glamour eines plüschig-roten Varieté-Theaters.

Dann ist nur ein Büfettrestaurant in Betrieb, wo in drei Schichten gegessen wird, und bei dem geringeren Personalbedarf stehen noch etliche Crew-Kabinen für bis zu 700 Studenten zur Verfügung. Sonst geht die Kalkulation der schwimmenden Uni nicht auf. Was kein Fan der „Deutschland“ glauben wollte, klappt im dritten Jahr innerhalb von acht Stunden: Im Mai legt das Schiff in Bremerhaven an, Hörsaal raus, Speisesaal rein – und fertig ist das Kreuzfahrtschiff.

Essen entspricht nicht jedem Geschmack

Mit Künstlern und Reiseleitern kehrt auch die Atmosphäre des luxuriösen Kreuzfahrtschiffes zurück. Das Hamburger Unternehmen Sea Chefs ist für den Hotelbetrieb zuständig. Mit der Qualität der Speisen steht eine nicht zu kleine Zahl der Gäste auf Kriegsfuß. Die ewigen Nörgler, die bemängeln, es gebe in der Sauna keinen Champagner mehr, fahren längst nicht mehr mit. Geblieben sind jene, die das solide Vier-Sterne-Produkt von Phoenix lieben gelernt haben. Auch andere attraktive Angebote des seit 30 Jahren auf Kreuzfahrten spezialisierten Veranstalters werden gerne angenommen.

Man ist nicht gerade glücklich, wenn der Küchenchef bei der Fleischauswahl allzu oft Hartes und Zähes auf den Tisch bringt, unreifes Obst ans Büfett legt oder täglich gleiche Brühen mit wechselnder Einlage serviert. Und das hat mit dem Vergleich Deilmann–Phoenix schon lange nichts mehr zu tun, sondern ist ein ganz eigenes Problem.

Ebenso milde wie beharrlich versucht man zudem, seinem Steward klarzumachen, welchen Sonderwunsch man hat, während der mit seinem philippinischen Kollegen in seiner Heimatsprache natürlich besser klarkommt als mit seinen Gästen. Aber der angebotene Deutschunterricht für die ausländischen Mitarbeiter an Bord wird für eine bessere Verständigung sorgen.

Schmalzbrote, Frikandellen und Frankfurter Würstchen

Die ehemalige Kreuzfahrtdirektorin Heidrun von Goessel.
Die ehemalige Kreuzfahrtdirektorin Heidrun von Goessel. © goessel | Goessel

Zum Glück sind treue deutsche Weltentdecker, die ihr Schiff einmal ­gefunden haben, schnell wieder versöhnt und spülen die kurze Enttäuschung in der Bierbar „Zum Alten Fritz“ mit einem Frischgezapften herunter. Neben dem Porträt und der Bronze­statue des Namensgebers werden Schmalzbrote, Frikadellen und Frankfurter Würstchen angeboten. Das macht den Dampfer zum deutschesten aller Kreuzfahrtschiffe.

Den Schriftzug des Heimathafens Nassau kann man von der Bar aus nicht sehen. Die Registrierung in einem beliebten Ferienziel und Steuerparadies ist schnell vergessen, wenn ein Seemanns-Chor in blauen Hosen auftritt, dessen „Rolling Home to Dear Old Hamburg“ jedem sagt, wo sich dieses Schiff zu Hause fühlt.

Und so kann ich allen, die mich in den vergangenen drei Jahren gefragt haben, antworten: Ja, die Seele dieses Schiffes ist stark genug. Sie fährt immer noch, die „Deutschland“. Leise setze ich hinzu: Und ich liebe sie sehr!

Tipps & Informationen

Termine Die kommenden drei Reisen mit der „Deutschland“ von und bis Hamburg:
11.5.– 30.5.2019: Madeira–Spanien–Frankreich, p. P. ab 3599 Euro; 30.5.–8.6.2019: Deutschland–Norwegen, p. P. ab 1699 Euro; 8.6.–16.6.2019: Norwegen–Schweden– Dänemark, p. P. ab 1499 Euro.

Näheres www.phoenixreisen.com (Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch Phoenix Reisen