Clermont-Ferrand. Von den Vulkanbergen des Cantal bis zu den Thermalquellen von Vichy: In der französischen Auvergne prallen Naturgewalten aufeinander.

Auf den ersten Blick sieht sie aus wie Bratkartoffeln, die ins Fondue gefallen sind: die Truffade. Mit dicken Topflappen hält Christine Valeix die Platte mit dem Nationalgericht der Auvergne. Vier pralle Würste ruhen auf dem Käse-Kartoffel-Berg, in dem sich neben jungem Cantal und etwas Knoblauch noch Unmengen an Entenfett verstecken.

Mit einer großen Kelle verteilt Madame, die allabendlich für ihre Gäste kocht, die Truffade auf die Teller. „Lassen Sie es sich schmecken! Hier wird noch ordentlich gegessen!“ „Ordentlich“ heißt für Madame: Was sie serviert, kommt aus der Heimat, wird traditionell zubereitet und in üppigen Portionen serviert. Kraftfutter für das Leben der „hautes terres“, der hohen Bergregionen der Auvergne. Besonders im Cantal, das die höchsten Gipfel des Zentralmassivs vereint, lässt sich dieses ursprüngliche und traditionsbehaftete Frankreich erleben.

Wildblumen und Kräuter und liefern aromatische Milch

Vor 13 bis 3 Millionen Jahren ­explodierte dort gleich dreimal ein 3500 Meter hoher Schildvulkan. Er verlor dabei zwei Drittel seiner Größe. 250 Meter dick legten sich Lavaströme auf das Land, bildeten Basaltorgeln, hinterließen Schlackenkegel und schufen eine ganz eigentümliche Landschaft, in der Gletscher sternförmig Täler formten, Vulkanreste freilegten und Seen hinterließen. Mehr als 1800 Meter hoch ragen rund um die markante Pyramide des Puy ­Mary die Gipfel.

Mufflons und Gämsen klettern über felsige Flanken; mit weiten, ausladenden Hörnern, breitem Kopf und lockigem rotbraunen Fell weiden urzeitliche Salers-Rinder auf den Hochalmen. Von Mai bis November futtern sie dort Wildblumen und Kräuter und liefern eine aromatische Milch, die den Rohstoff für fünf köstliche Käse liefert: Fourme d’Ambert, Bleu d’Auvergne, Saint-Nectaire, Salers und Cantal. Alle fünf tragen das Qualitätssiegel „Appellation d’ori­gine protégée“ (AOP), die die traditionelle Her­stellung vor Ort in höchster Güte ga­rantiert.

Regenschirm-Manufaktur als „lebendiges Kulturerbe“

Entdecken lässt sich das Quintett auf der Route du Fromage. Mit vielen Schlenkern und Abstechern führt sie zu rund 40 Bauernhöfen, Kooperativen und Käseproduzenten, die die Geheimnisse der Käse-Spezialitäten verraten, Kostproben und Kurse anbieten und ihre Produkte in Hofläden und auf Märkten verkaufen. Mit dabei sind neben den fünf AOP-Sorten auch an­dere ­aromatische Käse-Varianten aus der Auvergne – der Gaperon von den Bauern des Puy-le-Dôme, das Carré d’Aurillac, der Hartkäse Fourme de Rochefort und viele mehr.

Im Westen der Käsestraße der Auvergne liegt Salers, das als Bilderbuchstädtchen aus Basalt der kulturhistorischen Vereinigung der „Schönsten Dörfer Frankreichs“ angehört. Seine Kopfsteingassen säumen nachtschwarz die Fassaden von noblen Stadtpalais; im düsteren Winter eine fast gruselige Szenerie, im Sommer die perfekte Kulisse für einen unglaublich reichen Blumenschmuck. Im Osten endet die älteste ­kulinarische Themenstraße Frankreichs in Ambert an einem Unikum: Seine „mairie“, vor der jeden Sonnabend von März bis Dezember ein Biomarkt abgehalten wird, ist das einzige runde ­Rathaus Frankreichs.

Hauptstadt des Cantal und Bühne des Straßentheaters

Als „arm“ und „graues Mäuschen“ galt lange Zeit auch Aurillac, das sich seit der Jahrtausendwende zum noch immer charmant beschaulichen, aber sehr lebenswerten Städtchen entwickelt hat. Das ist besonders im Sommer zu spüren, wenn in der dritten Augustwoche mehr als 400 fahrende Schauspieltruppen die Hauptstadt des Cantal zur Bühne des Internationalen Straßentheatertreffens machen – und das seit bereits 33 Jahren.

Doch selbst im Sommer hüllt sich Auri­llac gern mal in Wolken, und es schüttet spontan mal kurz und heftig. Wen wundert es da, dass vor fünf Generationen, im Jahr 1884, dort Frankreichs Marktführer für Regenschirme gegründet wurde. Bis heute werden sie von Piganiol ganz traditionell und handwerklich gefertigt. 2009 gab es daher für diese Manufaktur die Auszeichnung als „lebendiges Kulturerbe“.

Berühmter ist ein zweiter Global Player der Auvergne: Michelin. In den alten Werkshallen von Cataroux inszeniert der französische Reifenhersteller – ähnlich wie Volkswagen in Wolfsburg – mit dem „Aventure Michelin“ die Geschichte der Mobilität. Ausgestellt werden nicht nur Fahrobjekte für den Boden, sondern auch aus der Luft- und Raumfahrt – selbst ein Marsauto und ein Reifen der Concorde fehlen nicht.

In Clermont-Ferrand plätschert Wasser aus 50 Brunnen

Die Werkshallen von Michelin liegen im Nordosten von Clermont-Ferrand, wo die Vulkanberge der Chaîne des Puys der weiten Ebene von Limagne weichen. Auch die alte Hauptstadt der Auvergne hat sich seit den 1980er-Jahren herausgeputzt und hinter einem breiten Gürtel aus Plattenbauten und Gewerbesiedlungen ihr historisches Herz rund um den Place de Jaude saniert, auf dem stolz Vercingetorix auf das bunte Treiben herabblickt.

Gefertigt hat ihn kein Geringerer als Frédéric Auguste Bartholdi, der Erbauer der New Yorker Freiheitsstatue. Zwischen der Markthalle Marché de Saint-Pierre und der Kathedrale Notre-Dame-de-l’Assomption flirtet im Gewirr der engen Gassen das Flair des Mittelalters mit der Mode von heute, folgen auf die Filialen französischer Ketten Ableger von Traditionsbetrieben wie Claude Dozorme, dem berühmtesten Messerschmied der Auvergne, oder Feinkostgeschäfte wie die legendäre Fromagerie Nivesse. Kleinode von lokalen Produzenten, Klassiker der Auvergne, berühmte Käse aus Frankreich und der ganzen Welt stapeln sich am Tresen und verführen, sie gleich vor Ort zu verkosten.

Ein Käsegeschäft am Place Tyssandier d`Escous in Salers.
Ein Käsegeschäft am Place Tyssandier d`Escous in Salers. © Michael Pasdzior | Michael Pasdzior

„Fangen Sie mit einem milden, cremigen Käse an und steigern Sie dann langsam Aroma und Festigkeit“, empfiehlt die Verkäuferin und reicht zur lokalen Käseauswahl noch einen Tropfen der Region: einen roten Saint-Pourçain der Côtes d’Auvergne, komponiert aus Gamay mit einem Schuss Pinot Noir. Auf den Plätzen und Straßen der trubeligen Großstadt, die aus der Verschmelzung von Clermont und Montferrand entstand, perlt und plätschert klares Wasser in mehr als 50 Brunnen, gotische Großanlagen wie der berühmte Fontaine d’Amboise aus dunklem Vulkangestein und die Brunnen der Tiretaine, die unter der Stadt verläuft.

In dem Thermalbad Vichy kurte Europas Aristokratie

Feuer und Wasser: In der Auvergne prallen diese Naturgewalten direkt aufeinander. In der Chaîne des Puys, der Kette aus 80 Vulkankegeln im Westen von Clermont-Ferrand, kann man in Saint-Ours-les-Roches einem Feuerberg sogar ins Innere schauen. Dort lädt der Erlebnispark Vulcania ein, mit dem „Magma Explorer“ ins Herz der Vulkane einzudringen, beim 5D-Film „Riesen der Auvergne“ Nervenkitzel zu spüren und hautnah zu erleben, wie Geysire aus der Erde in den Himmel schießen. In Chaudes-Aigues sprudelt Europas heißeste Thermalquelle aus der Erde: 82 Grad Celsius! Zehn Kurorte säumen die Bäderstraße der Auvergne. Doch keiner ist so berühmt wie Vichy.

Hier kurte Europas Aristokratie, linderte Madame de Sévigné ihr Rheuma, traf Napoleon III. seine Geliebte und schenkte die spätere Modemacherin Coco Chanel das Wasser der Célestins-Quelle aus. Vollgepackt mit wertvollen Mineralien und leicht salzigem Geschmack, so sprudelt die Quelle in den Anlagen des Centre Thermal des Dômes. Seine Trinkhalle scheint mit ihren Kuppeln in Gold und Blau dem Orient entsprungen, sein 700 Meter langer Wandelgang ist ein Bravourstück der Belle Époque.

Hauptstadt der französischen Faschisten

Und während sonst Gemeinschaftsbäder üblich waren, freute sich die Hautevolee in Vichy über luxuriöse Einzelkabinen. Mehr als 100 gab es damals, viele haben überlebt. Wie auch wunderschöne Villen, Parkanlagen und die beeindruckende Kirche Saint-Blaise. Da Vichy im Zweiten Weltkrieg Hauptstadt der französischen Faschisten war, wurde die beschauliche Stadt kaum zerstört.

Vichy liegt mitten im Stammland der Bourbonen. Von Moulins über Bourbon-l’Archambault, Saint-Menoux und Souvigny bis Lurcy-Lévis trägt das Bourbonnais die Handschrift derer, die Könige von Frankreich wurden. Von ihrer Residenz steht in Moulins nur noch der Donjon, den die Einheimischen „Le Mal Coiffé“ getauft haben, den „Schlechtfrisierten“. Kreuz und quer lehnen sich seine Dachschrägen ans Mauerwerk.

Tipps & Informationen

Anreise Zum internationalen Flug­hafen Clermont-Ferrand Auvergne (CFE, www.clermont-aeroport.com) fliegen sowohl Air France als auch deren Töchter Joon und hop! – über Paris oder Amsterdam.

Übernachtung z. B. im einstigen Stadtpalais Hôtel Saluces, Doppelzimmer ab 69 Euro, Rue de la Martille in Salers, Tel. 0033/471/40 70 82, www.hotel-salers.fr – Gästezimmer werden in der Gegend auch häufig von privat angeboten.

Restaurants Traditionell mit prunkvoller Art-nouveau-Einrichtung und geschickt verschlankter, regionaler Küche: Grand Café, 49, Place d’Allier, 03000 Moulins, Tel. 0033/470/44 00 05. Köstliche und unverfälschte „Cuisine auvergnate“ gibt es im L’Oustagou, 1, Rue du Terrail, Tel. 0033/ 473/9072 01, www.loustagou.com. Das Weinbistro Le SiSiSi bietet Cross-over-Küche und Weine der Côtes d’Auvergne, Rue Massillion, Tel. 0033/473/14 04 28, www.lesisisi.com

Auskunft über Auvergne Rhône Alpes Tourisme, 7, Allée Pierre de Fermat, 63178 Aubière, Tel. 0033/473/29 49 49, www.auvergnerhonealpes-tourisme.com