Berlin. Betroffene leiden unter Krämpfen, Durchfall und Müdigkeit. Die Suche nach Ursachen ist schwierig. Doch es gibt bereits neue Therapien.

Mehr als 400.000 Menschen in Deutschland leiden an chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED). Die häufigsten Formen sind Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Bisher sind sie mit Medikamenten nicht heilbar, teils heftige Beschwerden können Patienten das Leben zur Qual machen. Neue Therapiemöglichkeiten machen Hoffnung auf Linderung.

Obwohl die Wissenschaft in den vergangenen Jahren viel über die Ursachen geforscht hat, geben chronisch entzündliche Darmerkrankungen noch immer Rätsel auf. „Die Darmflora ist ein komplettes, aber auch sehr komplexes Ökosystem, das uns gesund erhält“, sagt Gastroenterologin Renate Schmelz, Oberärztin an der Universitätsklinik in Dresden. Das System, das die Gesamtheit der Mikroorganismen im Darm bezeichnet, sei ein Segen, doch es stecke auch voller Gefahren – und zwar dann, wenn die Barriere zwischen Darmflora und Körperinnerem nicht richtig funktioniere.

Das ist bei Patienten mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa der Fall. „Die Darmbakterien kommen in Kontakt mit dem Abwehrsystem und machen Wächterzellen aktiv. Dann fängt die Entzündungskaskade an“, erklärt Prof. Franz Hartmann, Gastroenterologe aus Frankfurt und Vorstandsmitglied der Gastro-Liga.

160 Gene können das Risiko beeinflussen

Die Entzündungen verursachen Stuhlunregelmäßigkeiten, teils blutige Durchfälle, krampfartige Schmerzen, Fieber, Erschöpfung und Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust oder strukturelle Darmveränderungen. Zudem kann es zu Beschwerden außerhalb von Magen und Darm kommen, etwa zu Gelenkschmerzen, Hautproblemen oder Sehstörungen.

Nach Angaben der Gastro-Liga sind mittlerweile mehr als 160 Gene bekannt, die das Risiko für CED beeinflussen. Damit gehören CED zur Gruppe der komplexen genetischen Erkrankungen. Aber auch Umwelteinflüsse können das Risiko erhöhen: Rauchen, Vitamin-D-Mangel, Stress oder Depressionen. Oft verlaufen CED in wiederkehrenden Schüben.

Nebenwirkungen stärker als die Beschwerden der Krankheit

Ziel einer Therapie ist nicht die Heilung, sie ist bisher unmöglich. Die Erkrankung aber soll dauerhaft ruhen. Und das ohne den Einsatz kortisonhaltiger Medikamente. „Für eine Kurzzeittherapie ist Kortison gut geeignet. Es gibt eine bis zu 80-prozentige Erfolgsrate, dass man die Entzündung damit innerhalb kurzer Zeit zurückfahren kann“, sagt Franz Hartmann.

© iStock | iStock

Das große Problem dabei: Kortison, langfristig eingenommen, führe bei praktisch jedem Patienten zu Nebenwirkungen – Wassereinlagerungen, Bluthochdruck, Muskel- und Knochenabbau, Diabetes. „Manchmal sind die Nebenwirkungen stärker als die Beschwerden der Krankheit“, weiß Hartmann. Ein Viertel der Patienten entwickele zudem eine Kortisonabhängigkeit, bei einem weiteren Viertel wirkten die Präparate nicht mehr.

Bei ersten Symptomen rasch handeln

Deshalb setzt die Medizin in der Langzeittherapie heute verstärkt auf andere entzündungshemmende Medikamente wie Mesalazin und Präparate zur Hemmung der Immunabwehr. Denn letztlich sind es die natürlichen Abwehrkräfte des Körpers, die außer Kontrolle geraten und immer wieder Entzündungen auslösen.

„Welche Therapieansätze erfolgversprechend sind, darüber entscheiden sehr unterschiedliche Faktoren“, sagt Renate Schmelz. Das Alter der Patienten bei Erstdiagnose und das Ausbreitungsmuster spiele dabei eine Rolle, aber auch die Aggressivität der Krankheit. Die Expertin aus Dresden rät bei CED-Verdacht zu raschem Handeln. „Die Zeit vom Beginn der Symptome bis zur Diagnose sollte man kurz halten.“

Test sagt Wirksamkeit des Medikaments vorher

Typischerweise wird die Diagnose erstmals bei jungen Leuten zwischen 18 bis 25 Jahren gestellt. „Auf der molekularen Ebene ist das Entzündungsgeschehen ganz gut entschlüsselt“, sagt Franz Hartmann. Dies gebe der Pharmaindustrie neue Möglichkeiten, sogenannte Biologika zu entwickeln, Arzneistoffe, die mit Mitteln der Biotechnologie und gentechnisch veränderten Organismen hergestellt werden. Neben den seit mehr als zehn Jahren erfolgreich eingesetzten TNF-alpha-Antikörpern sind die wohl wichtigsten Fortschritte bei den sogenannten Integrin-Antagonisten zu verzeichnen.

Dazu zählen die Antikörper Vedolizumab oder Etrolizumab. Vereinfacht gesagt verhindern diese den Austritt entzündungsfördernder Zellen aus den Blutgefäßen in das umgebende Darmgewebe. Studien zufolge sprechen mehr als die Hälfte der Colitis-ulcerosa-Patienten und 30 bis 40 Prozent der Crohn-Patienten nach vier bis sechs Wochen auf Vedolizumab an.

Der Antikörper habe mehrere Vorteile: Es gebe bisher keine Anzeichen auf extreme Nebenwirkungen oder auf ein Nachlassen der Wirkung – und das nach knapp zwei Jahren des klinischen Einsatzes. „Bei Etrolizumab, einem Antikörper mit ähnlichen Wirkmechanismen, gibt es sogar die Chance auf einen Test, der die Wirksamkeit des Medikaments bei jedem Patienten vorhersagen kann“, sagt Hartmann.

60 Prozent der Probanden sprachen auf Medikation an

Für den Experten aus Frankfurt sind die Integrin-Antagonisten zwar nicht das Ei des Kolumbus, weil sie nach wie vor nicht am Barriereproblem des Darms ansetzen, „sie sind aber eine weitere wertvolle Therapiemöglichkeit mit weitgehend selektiver Wirkung im Darm und allenfalls geringen unerwünschten Arzneimittelwirkungen“.

Schlussendlich machen zwei sogenannte Indikationserweiterungen und ein neuer Wirkstoff Hoffnung bei der Behandlung von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Der Wirkstoff Ustekinumab, der seit 2009 zur Behandlung von Schuppenflechte zugelassen ist, kann Studien zufolge auch Patienten mit Morbus Crohn helfen. Er blockiert die Entzündungsbotensubstanzen IL 23 und IL 12. Der Januskinase-Inhibitor Tofacitinib, der seit März in Europa zur Behandlung rheumatoider Arthritis zugelassen ist, wird voraussichtlich Ende 2017 auch für die Behandlung von Colitis ulcerosa zugelassen werden.

Für das meiste Aufsehen aber sorgte 2016 der Wirkstoff Mongersen, der dafür sorgt, dass durch die Krankheit gestörte körpereigene Mechanismen zur Entzündungskontrolle wieder verbessert werden. „Das Ergebnis einer Phase-II-Studie aus Italien war überraschend gut“, sagt Renate Schmelz. Nach zwei Wochen hätten 60 Prozent der Probanden auf die Medikation angesprochen. „Es bleibt kritisch abzuwarten, inwieweit dieses Ergebnis in Phase-III-Studien bestätigt werden kann.“