Braunschweig. Eintracht-Stadion wird 100 Jahre alt: Die Lions-Footballer spielen seit fast 30 Jahren in der großen Arena – einmal sogar mit Eintrachts Fußballern

Das ist kein Stadion. Das ist eine Bezirkssportanlage. Ganz flach. Ohne Tribünen. Rote Wiese heißt das Areal. Hier sind die Roten Löwen zu Hause. Die Lions. Die Durchgeknallten, sagen die einen. Die etwas Sonderbaren, sagen die anderen. Aber alle sind sich einig, damals, Ende der 1980er Jahre: Diese Braunschweiger Sportler sind anders – weniger norddeutsch, dafür total amerikanisch. American Football ist damals hierzulande fast nur aus Filmen bekannt. Wenn überhaupt. Manche mögen das. Viele lehnen es ab. Noch.

Alles ist anders bei diesem Sport, diesen Sportlern. Auf dem Feld scheppert es so heftig und dabei auch noch regelkonform – meistens zumindest – wie sonst wohl bei keinem anderen Mannschaftssport in Deutschland. Aber dafür herrscht Frieden am Spielfeldrand. Die Zuschauer feiern eine Party, ein Familienfest – mit Kind und Kegel. Nur Eingefleischte kennen die Regeln des Sports, die meisten anderen genießen es, einfach nur dabeizusein. Und die Rote Wiese platzt fast aus den Nähten.

Und während es bei den Heimspielen immer voller wird, regelmäßig mehrere Hundert Menschen auf den Platz pilgern und die Lions zum Kult-Spektakel aufsteigen lässt, wird auch die Qualität der sportlichen Leistung dieser Braunschweiger immer besser. Nur sechs Jahre nach der Vereinsgründung 1987 stehen die Lions an der Schwelle zur größten sportlichen Glückseligkeit. Der Traum der Träume, die Bundesliga, ist nur zwei Erfolge weit entfernt.

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Und der soll einhergehen mit einem anderen Traum. Irgendwann einmal, hatten sich die Lions von Beginn an ersehnt, würden sie vor Tausenden im Eintracht-Stadion spielen. Ein Wunsch, der bei vielen Beobachtern bestenfalls ein mitleidiges Lächeln hervorruft. Schließlich sei das Eintracht-Stadion ein Fußball-Tempel und nichts für Hallodris. Eine Stätte für wahre Sportler und nicht für irgendwelche Spinner mit Rüstung, Helm und Bällen, die nichtmal richtig rund sind.

So sah die Eintrittskarte aus für das erste Lions-Spiel im Braunschweiger Stadion.
So sah die Eintrittskarte aus für das erste Lions-Spiel im Braunschweiger Stadion. © Privat

Und es passiert doch. Vor fast genau 30 Jahren spielen die Lions am 10. Oktober 1993 erstmals im Eintracht-Stadion, im entscheidenden Aufstiegsspiel zur Bundesliga gegen die Cologne Bears. Es kommen tatsächlich mehr als 7000 Zuschauer. Und die Lions schaffen den Coup, siegen 20:17 – und gehen trotz der 12:13-Niederlage im Rückspiel in Köln nie wieder weg aus dem Oberhaus. Seitdem teilen sich die Eintracht-Fußballer und die Lions-Footballer das Eintracht-Stadion. Oder wie es lange Zeit hieß, das Stadion an der Hamburger Straße. Oder wie es die Football-Fans mit einem schelmischen Schmunzeln gern immer noch nennen – das Lions-Stadion.

Einer, der damals immer vorweggeht im roten Lions-Trikot heißt Joachim „Jo“ Diederichs. Auf dem Feld trägt er die Nummer 70 und vom allerersten Spiel an in der Lions-Geschichte die Verantwortung als Mannschaftskapitän. „Das ist ja schon etwas ganz Besonderes, wenn man in 13 Jahren 201 Spiele macht und immer als Kapitän aufläuft, der ja von der Mannschaft gewählt wird“, sagt der kräftige, große Linienmann von einst heute immer noch mit viel Stolz in der Stimme.

Joachim Diederichs war der erste Lions-Spieler

Diederichs ist der erste Lions-Spieler überhaupt, wie er mit einem Lächeln erzählt, weil er sich 1987 bei der Suche nach Freiwilligen für diesen neuen Sport als Erster auf einer Liste einträgt und demzufolge ganz oben auf diesem Zettel steht.

So wurde das einmalige Doppel-Heimspiel von Eintracht und den Lions 1995 im Eintracht-Stadionheft angekündigt.
So wurde das einmalige Doppel-Heimspiel von Eintracht und den Lions 1995 im Eintracht-Stadionheft angekündigt. © Privat

Und Diederichs, in Sierße im Landkreis Peine zu Hause, war Dorf-Fußballer. „Ich habe immer gedacht, Kicken ist das Größte. Aber immer nur in der zweiten Mannschaft zu spielen, das kann es doch nicht gewesen sein“, sagt der 58-Jährige. Nach der längeren Zusammenfassung von Superbowl 20 im ARD-Fernsehen ist Diederichs Feuer und Flamme und sofort gefesselt von diesem Sport. So kommt der leidenschaftliche Fußballer und Eintracht-Fan zum Football.

„Das war unglaublich, als wir 1993 zum Aufstiegsspiel im Stadion gespielt haben. Du stehst da unten und schaust hoch auf die Tribüne, dorthin, wo du seit Jahren immer auf die Eintracht-Spieler runtergeguckt hast, und wirst selbst angefeuert. Ich glaube für keinen Mitspieler war das so emotional wie für mich“, sagt Diederichs gedankenversunken. „Da bekomme ich heute noch eine Gänsehaut.“

Aus dem Fußball-Tempel ist längst ein Sport-Tempel mit vielfältigen und häufig auch sehr hochklassigen Veranstaltungen geworden. Die Lions haben mächtigen Anteil daran. Im Eintracht-Stadion schreiben die Footballer eine bundesweit einzigartige Erfolgsgeschichte, sammeln auf Basis einer fast uneinnehmbaren Heimspiel-Festung so viele Titelgewinne, dass sie sich deutsche Rekordmeister nennen dürfen.

Nur vier Spielzeiten benötigen die Braunschweiger, um 1997 erstmals deutscher Meister zu werden. Und alle, wirklich alle Konkurrenten und Größen von damals sind inzwischen von der Bildfläche verschwunden, nur Mittelmaß oder erst nach Ab- und Aufstiegen wieder eine Nummer. Im Eintracht-Stadion gibt es dagegen durchgängig Erstliga-Football zu sehen, auch wenn nicht jedes Jahr von den Braunschweigern meisterlich gespielt wird. Mit dem Stadion an der Hamburger Straße sind Football und Größen dieser Sportart deutschlandweit und sogar europaweit engstens in den Erinnerungen verbunden.

Lions-Footballer und Eintracht-Fußballer schließen Freundschaften

„Ein Schlüsselerlebnis war unser Doppelspieltag mit Eintrachts Fußballern 1995“, denkt Diederichs zurück. „Da haben wir Sportler einen guten Draht zueinander gefunden, und auch echte Freundschaften sind da entstanden. Wir haben viel zusammen erlebt“, sagt Diederichs grinsend in Erinnerungen schwelgend.

Auf manchem Eintracht-Schal steht damals ein Satz, den eingefleischte Anhänger auch immer wieder lautstark skandieren: „Braunschweig ist eine Fußball-Stadt, Sch… Lions!“ – „So ein totaler Quatsch. Wenn diese Leute damals gewusst hätten, wie gut wir uns verstehen, hätten sie sich doch sehr gewundert“, meint Diederichs, der ja selber von Kindheitstagen an leidenschaftlich gern ins Stadion pilgert, um die Fußballer zu sehen und anzufeuern. Das tun über mehrere Jahre lang auch Gruppen von Eintracht-Spielern und Lions-Akteuren bei gegenseitigen Besuchen von Heimbegegnungen ihrer neuen Freude.

Das beste Stadion in der Football-Bundesliga

Es gibt auf diesem Kontinent keinen Football-Klub einer nationalen Liga mit vergleichbarer oder besserer Stammspielstätte. Nur die Hamburg Blue Devils hatten mit dem Volksparkstadion eine solche, eine bessere, eine größere – und sind seit Jahrzehnten in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Fast alle anderen werfen und fangen die Bälle, wenn es um Bundesliga-Punkte geht, auf Bezirkssportanlagen. Oftmals mit einer wenige Treppen hohen Tribüne. Manchmal mit einer zehn Sitzreihen hohen Holz-Konstruktion, gefühlt aus dem vorletzten Jahrhundert

„Das war manchmal ganz schön krass, selbst in den Bundesliga-Zeiten. Natürlich waren wir stolz, in so einem Stadion wie dem Braunschweiger zu spielen. Aber wenn du auf dem Platz stehst, ist das alles egal. Du bist im Tunnel, willst unbedingt gewinnen und alles dafür tun. Da war es mir immer egal, ob 20 Leute zuschauen oder 20.000. Aber Siege zu feiern, macht vor großer Kulisse natürlich viel mehr Spaß“, betont Diederichs, der 201-mal das Lions-Trikot trägt. Oftmals davon im Braunschweiger Stadion.

Braunschweig ist eine Sport-Stadt

Die Lions sind noch da und spielen immer noch im schmucken, großen Eintracht-Stadion. Diese Footballer haben in dieser Stadt und ganz besonders in dieser Arena Geschichte geschrieben. Der Traum von einst lebt immer weiter. Und die Rote Wiese? Ist ein schmuckes Trainingszentrum und Heimspielstätte für alle anderen Lions-Teams außer der ersten Männermannschaft. Und auch auf dieses Areal ist der Großteil der Lions-Konkurrenz neidisch. Braunschweig ist eine wahre Sport-Stadt und nicht nur eine Fußball-Stadt.