Braunschweig. Mit dem Derbysieg meldet sich Eintracht zurück im Kampf um den direkten Klassenerhalt. Das ist auch ein Verdienst des zuvor angezählten Trainers.

Als Schiedsrichter Patrick Ittrich mit seinem letzten Pfiff den 1:0-Sieg im Derby gegen Hannover 96 besiegelte, drehte sich Eintracht Braunschweigs Trainer Michael Schiele in Richtung Haupttribüne und ballte beide Fäuste. Der 45-Jährige brüllte vor Erleichterung und Freude, dass seine Halsschlagader hervortrat, als wäre sie ein Überputzkabel.

Doch nur eine knappe halbe Stunde später, als sich das Adrenalin verflüchtigt hatte, saß Schiele in der Pressekonferenz und sprach mit leiser Stimme. Vom Braunschweiger Aufstiegscoach war am späten Sonntagnachmittag augenscheinlich eine Riesenlast abgefallen. Die Derby-Euphorie, die andere Akteure des Fußball-Zweitligisten aus ihrem Innersten nach außen trugen, spürte man beim Trainer nur unterdrückt. Er freute sich für seine Jungs. Über sich selbst verlor er kaum ein Wort.

Schieles schwerste Phase bei Eintracht Braunschweig

Und das schien aufgrund der vorangegangenen Ereignisse nur allzu verständlich. Schiele durchlebte zuletzt die schwerste Phase in seiner Zeit bei Eintracht Braunschweig. In der Drittliga-Saison hatte der gebürtige Heidenheimer abgesehen von zwei minimalen Schwächephasen zu Hin- und Rückrundenstart immer eitel Sonnenschein erlebt. Zu Beginn der Zweitliga-Saison wurden die ersten sechs Spiele, in denen die Mannschaft ohne Sieg blieb, als Lernphase verbucht.

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Nach der Winterpause schien der Druck auf den Braunschweiger Coach, der gerade erste seinen Vertrag verlängert hatte, aber mit jedem Misserfolg zu steigen. Ohne sieben Stammspieler und mit immer wieder obendrauf kommenden kurzfristigen Ausfällen wurde auch Schiele unruhig. Er lavierte. Mit der einen oder anderen Umstellung soll in den vergangenen Wochen auch eine gewisse Verunsicherung in der Mannschaft entstanden sein.

Die Unzufriedenheit bei den Fans wuchs ebenfalls mit jeder Niederlage. Und als Sport-Geschäftsführer Peter Vollmann sich Anfang der vergangenen Woche mit einem Statement auf der Klub-Website zu Wort meldete, entstand im Braunschweiger Umfeld noch ein bisschen mehr Unruhe. Ohne es zu wollen, hatte der Manager eine Trainerdiskussion vom Zaun gebrochen, denn beim eigenen Anhang kam die mitunter schwammige Botschaft an wie ein „Alles kann, nichts muss“ in der Personalie Schiele.

Hinter vorgehaltener Hand war angesichts der nahenden Länderspielpause gar von einem Endspiel die Rede. Ein Blick zum punktgleichen Konkurrenten aus Rostock reichte am Montag aus, um zu verstehen, welche Hebel die Teams im Tabellenkeller in dieser Saisonphase noch ziehen können. Hansa tauschte zum zweiten Mal in dieser Saison auf der Kommandobrücke und setzte Patrick Glöckner vor die Tür. In Braunschweig spitzte sich eine ähnliche Gemengelage zu im Vorlauf des Derbys. Eintrachts Trainer wirkte in den Tagen vor dem Spiel gegen den Rivalen angespannt wie nie. Doch er wendete den Worst Case für sich noch einmal ab, weil er die richtigen Schlüsse zog, die Mannschaft hinter sich versammelte und mit ihr gemeinsam eine klare Reaktion auf den blutleeren Auftritt beim 0:2 in Nürnberg zeigte.

Emotional und nahbar – Schiele überzeugt in Braunschweig als Trainer und Mensch

Wenn es einen Beweis dafür brauchte, dass Schiele sich mit seiner Aufgabe in Braunschweig identifiziert, dann lieferte ihn das Derby. Wie schon in der vergangenen Saison beim 3:2-Sieg über den TSV Havelse in letzter Sekunde hielt den Fußballlehrer auch diesmal nichts auf seinem Sitz, als Jannis Nikolaou mit der Fußspitze für die späte Entscheidung sorgte. Schiele rannte aufs Feld, hüpfte und verschwand in der Jubeltraube.

Der von der Ostalb stammende Trainer ist erst der vierte Braunschweiger Übungsleiter, der innerhalb einer Saison vier Derby-Punkte holte. Seine Vorgänger: Helmuth Johannsen, Uli Maslo und Torsten Lieberknecht. Teil dieser illustren Runde zu sein, wird Schiele freuen. Doch er will seine eigene Geschichte weiterschreiben. Mit seiner Emotionalität, seiner Nahbarkeit und seinem explosiven Fußball hatte er einst die Braunschweiger Herzen im Sturm erobert. Als letzterer phasenweise zu einer dem Personal-Engpass geschuldeten Sicherheitsvariante mutierte, vergaßen einige, was der Mann aus Süddeutschland in kurzer Zeit bereits für die Eintracht geleistet hat.

Doch um zu verstehen, wie gut Schiele und Eintracht einander tun, muss man in den Klub hineinhorchen. Der Profi-Mannschaft nahestehende Personen sagen zwar, dass der Trainer einen kleinen Hang dazu habe, vielen Dingen zunächst etwas misstrauisch gegenüberzustehen. Doch sie versichern auch, dass der ehemalige Rechtsverteidiger menschlich und fachlich der beste Typ sei, der für die Braunschweiger in den vergangenen Jahren an der Seitenlinie stand.

Egal ob Mitarbeiter, Fan oder Medienvertreter – Schiele versteht es, alle durch sein bodenständiges Naturell mitzunehmen. Das ist eine seiner großen Stärken, machte ihn in Krisenzeiten aber auch sichtbar mürbe, weil er ein Typ ist, der sich Kritik zu Herzen nimmt, darüber nachgrübelt und versucht, Antworten zu geben. Er spiegelt zurück, wenn ihm etwas nicht passt, ist aber keinesfalls nachtragend.

Stahlbad Traditionsklub – Eintracht Braunschweigs Umfeld ist fordernd

Womöglich hat ihn die komplizierte Phase vor dem Derby auch ein gutes Stück reifen lassen. Erstmals bekam er die volle Wucht zu spüren, die entsteht, wenn es bei einem Traditionsklub wegen sportlicher Misserfolge rumort. Aber wer die Launen des zuletzt immer wieder wankelmütigen Eintracht-Umfelds übersteht, kann als Persönlichkeit und als Trainer wachsen, kann abgeklärter werden und aus dem notgedrungen eingeschlagenen Zick-Zack-Kurs wieder einen geradlinigen Weg machen.

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Dabei helfen sicher auch Rückkehrer wie Filip Benkovic und Brian Behrendt, die zuletzt wieder für einen größeren Konkurrenzkampf auf dem Trainingsplatz sorgten. In der Länderspielpause können die Innenverteidiger und weitere Akteure ihren Rückstand aufholen und wieder näher an die Startelf rücken.

All das ist gewiss keine Garantie für den Klassenerhalt. Ruhe in Braunschweig kehrt sowieso erst ein, wenn dieser in Sack und Tüten ist. Und der Schwung, den der Derbysieg brachte, kann Anfang April mit den harten Prüfungen gegen Karlsruhe, Kaiserslautern und St. Pauli jäh abklingen. Die Mannschaft und der Trainer haben aber bewiesen, dass sie sich gemeinsam aus einem Loch ziehen können. Das ist ein gutes Zeichen für die neun Spiele, die im Abstiegskampf noch anstehen, für den Endspurt, in dem es noch gegen viele direkte Konkurrenten geht. Und Schiele? Der geht gestärkt aus der Situation hervor und machte vor diesem so wichtigen Saisonabschnitt deutlich, dass er noch da ist – vielleicht sogar mehr als je zuvor.