Madrid/Barcelona. Beim FC Barcelona zeigt Torhüter Marc-André ter Stegen Weltklasse-Leistung. Jetzt reist er zum DFB-Team - wie Konkurrent Manuel Neuer.

Es war eine der Szenen, die Partien verändern. Oder eben nicht. Der FC Barcelona führte mit 2:0 bei Atlético Madrid, als Torhüter Marc-André ter Stegen zu einer der „Paraden der Saison“ ansetzte, wie „Marca“ anderntags schrieb. Wobei sich trefflich diskutieren ließ, was an seiner doppelten Einlage schwerer war: den harten, platzierten Schuss von Marcos Llorente mit der rechten Hand unten wegzuboxen oder den anschließenden Nachschuss von Memphis Depay hinter dem Oberkörper mit dem linken Fuß aufzuhalten. „Wir haben gerade zwei aufeinanderfolgenden Wundern beigewohnt“, rettete sich der „Dazn“-Kommentator um eine Festlegung.

Ter Stegen hielt, Atlético kam nicht heran, alles blieb unter Barças Kontrolle: Die Katalanen siegten beim zuvor 25 Ligapartien zuhause ungeschlagenen Champions-League-Gegner von Borussia Dortmund mit 3:0 und kletterten vor dem Finalpart einer schwierigen Saison erstmals seit September wieder auf Platz zwei hinter Real Madrid. Sie haben das vor allem einer Verbesserung in der Defensive zu verdanken, wo der seit kurzem 17-jährige Pau Cubarsí so verblüffende Reife zeigt, dass er diese Woche zur spanischen A-Nationalelf stößt. Und wo ter Stegen, 31, seit der Rückkehr von einer Rückenoperation wieder seine üblichen Heldentaten vollbringt.

Barcelona kann in der Meisterschaft nochmal angreifen

Schon am Dienstag in der Champions League gegen Neapel hatte er im 100. Europapokalspiel seiner Karriere den Anhang vor verschärften Herzattacken verschont, als er beim Stand von 2:1 mit der Parade eines Kopfball von Matteo Politano die italienische Aufholjagd stoppte. Dieses Achtelfinale überstanden zu haben, scheint Barcelona zu befreien, trotz erheblicher Verletzungsprobleme gelang in Madrid die wohl beste Saisonleistung – gekrönt von einem Robert Lewandowski, der das 2:0 so sehenswert erzielte (47.) wie er die anderen Treffer (João Félix, 38.; Fermín López, 65.) vorbereitete. Bei acht Punkten Rückstand auf Real äußerte ter Stegen die Hoffnung, zum direkten Duell im April „mit der Chance zu kommen, noch mal anzugreifen.“

Der Deutsche, der mit einem perfekten Abschlag beinahe für eine Torvorlage gesorgt hätte – in diesem Fall vergab Lewandowski – wirkte in seinem TV-Interview nach dem Spiel extrem aufgeräumt. Auch „auf persönlicher Ebene“ fühle er sich „sehr gut“, so ter Stegen. In der Liga ist er seit 403 Minuten ohne Gegentor, Barça verlor seit seinem Comeback Mitte Februar kein Match. Nicht nur den Jüngsten – neben Cubarsí überzeugte in der Viererkette auch der gleichaltrige Héctor Fort – ist anzumerken, wie ter Stegens Übersicht, Spieleröffnung und Erfahrung das Team stabilisieren.

Die Frage bleibt, ob sein Wohlbefinden auch die anstehenden Tage bei der deutschen Nationalelf überstehen wird. Nicht nur er kehrt ja ins DFB-Team zurück, nachdem er die November-Pleiten gegen die Türkei und in Österreich verpasste – sondern, erstmals seit der WM 2022, auch der ewige Platzhalter Manuel Neuer. In Deutschland glauben viele zu wissen, dass sich Julian Nagelsmann bereits für den Bayern-Keeper als Nummer Eins bei der Heim-EM entschieden habe. Der Bundestrainer wollte das bei der Vorstellung seines Kaders am Donnerstag nicht bestätigen ­– aber auch nicht dementieren. „Marc ist ein intelligenter und reflektierter Spieler, der Dinge auch vorhersehen kann“, sagte er stattdessen. Und das klang dann schon arg nach einem vergifteten Lob.

Als letzter deutscher Keeper ein Turnier gewonnen

Mit dem Confed-Cup 2017 hat ter Stegen als letzter deutscher Torwart ein Turnier gewonnen. Bei Barcelona zeigt er seit 402 Spielen konstant seine Weltklasse. Dennoch wurde ihm Neuer bei jeder EM oder WM vorgezogen. Bekäme er nun erneut nicht mal eine Chance, wäre das unter dem ansonsten betonten „Leistungsprinzip“ kaum vermittelbar und könnte bei ter Stegen nach Jahren des Wartens endgültig den Geduldsfaden reißen lassen. Hat Nagelsmann deshalb gleich vier Torhüter für diese Länderspielwoche nominiert (außerdem Oliver Baumann und Bernd Leno), weil er insgeheim mit einem Verzicht ter Stegens auf eine Ersatzspielerrolle rechnet?

Fürs erste äußerte sich ter Stegen am Sonntag nicht zur Nationalelf und beließ es bei der Freude über den Aufschwung seines Klubteams. Obwohl Barça bereits 34 Liga- Gegentore kassiert hat, könnte er sogar die Trophäe für den Torwart mit der niedrigsten Gegentrefferquote verteidigen. Denn die 34 Tore verteilen sich zu gleichen Teilen auf die zehn Partien, die er verpasste, wie auf die 19, die er bestritt. Mindestens in Spanien macht Marc-André ter Stegen unübersehbar den Unterschied aus.