Wolfsburg. Die VfL-Anführerin und Kapitänin der deutschen Nationalelf ist nach langer Leidenszeit entscheidend auf dem Weg zum Titel – nicht nur wegen ihrer Tore

Zur Märchenfigur taugt Alexandra Popp vom VfL Wolfsburg, die mit ihren starken Leistungen bei der Europameisterschaft Deutschland verzückt, als Kämpfer-Typ nur bedingt. Und dennoch schreibt die 31-Jährige die wohl schönste Geschichte dieses Turniers in England: Zwei Kontinental-Meisterschaften hatte sie verletzungsbedingt verpasst, England ist vielleicht die letzte Chance für die DFB-Kapitänin, sich den EM-Titel zu schnappen. Doch eine schwere Knieverletzung im April 2021 ließ sie zum dritten Mal bangen, ihr Comeback gab sie erst im März. Corona in der EM-Vorbereitung – das alles macht die Anführerin des VfL Wolfsburg dieser Tage vergessen, mit zwei Klasse-Treffern, jeweils auf Vorlage ihrer VfL-Teamkollegin Svenja Huth, führte sie Deutschland am Donnerstagabend zum 2:1 gegen Frankreich und dem damit verbundenen Einzug ins Endspiel gegen die Gastgeberinnen. Um Popps Wert für diese Mannschaft zu beschreiben, taugte im Halbfinale allerdings vor allem eine ganz andere Szene…

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Es lief die 58. Minute, Popp selbst hatte den Ball im Angriff verloren, Frankreich setzte über die komplett verwaiste rechte Angriffsseite zum Konter an, Selma Bacha schloss ab – und wurde geblockt. Von Popp. Die deutsche Stürmerin hatte die Situation antizipiert und rannte im Vollsprint, zum eigenen Strafraum. Eine Szene, bei der man vor dem TV mitlief, mitlitt und hoffte, dass sie das Bein in den Schuss bekommt. Es ist in Summe eine unnachahmliche Leidenschaft, die die VfLerin mit in dieses Turnier bringt, obwohl ihre Teilnahme so lange unklar war.

Im Vollsprint ging's zurück: Alexandra Popp blockte in höchster Not gegen Frankreichs Selma Bacha.
Im Vollsprint ging's zurück: Alexandra Popp blockte in höchster Not gegen Frankreichs Selma Bacha. © imago/PanoramiC | IMAGO/Richard Callis/SPP/Panoramic

Popp: Befreit statt mit Rucksack

Popp selbst hat sich dabei einen vermeintlich großen Rucksack aufgebürdet. Sie ließ sich vom NDR während ihrer Reha nach der Knieverletzung ganz dicht begleiten, entstanden ist der sehenswerte Film „Das Comeback der Kapitänin“. Zum EM-Start hatte sie in Entengestalt einen Gastauftritt in der „Micky Maus“. Das passte irgendwie besser als Märchenprinzessin und zeigt auch, dass die DFB-Kapitänin über sich selbst schmunzeln kann. All das kann aber auch für mächtig Druck sorgen. Doch das komplette Gegenteil ist eingetreten.

Popp spielt komplett befreit, scheint jede Minute ihrer Premieren-EM komplett aufzusaugen. Ihr Klub-Coach Tommy Stroot sagt: „Vor der EM hat sie ein Interview gegeben, in dem sie sagt, dass sie einfach froh ist, dabei zu sein. Für mich war das ein Schlüsselmoment. Ich erlebe sie seit ihrer Nominierung als sehr entspannt. Diese Gelassenheit hilft ihr aber auch, genau so in die Spiele zu finden.“ Der Trainer und sein Team halten einen engen Kontakt zu den Wolfsburger EM-Fahrerinnen, von denen sich im deutschen Team gleich zehn finden.

Oberdorf: Poppi ist einfach ein absolutes Biest da vorne

Popp selbst schätzt es genauso ein wie ihr Klub-Coach. Mit ihrer langen Leidenszeit im Hinterkopf, habe sie „das Gefühl, dass ich die Momente viel mehr genieße und den Fußball noch mehr schätze als zuvor.“ Ihre Teamkolleginnen staunen über die Explosion, die sich während des Saisonendspurts mit dem VfL allenfalls angedeutet hatte. Lena Oberdorf, die in Sachen Einsatz- und Opferbereitschaft ihrer VfL-Kollegin in nichts nachsteht und gleichsam zu den Spielerinnen des Turniers gehört, meint: „Langsam gehen mir die Worte aus. Poppi ist einfach ein absolutes Biest da vorne.“ Echt und authentisch noch dazu. Deutschlands Kapitänin kann feiern, sachlich analysieren, aber auch die Emotionen laufen lassen, wie bei ihrem ersten Turnier-Tor gegen Dänemark.

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Im ersten Spiel war die DFB-Kapitänin nur Ersatz für Bayerns Lea Schüller. Doch als die Münchner Stürmerin wegen Corona die zwei weiteren Gruppenspiele verpasst hat, ist Popp im Angriff gesetzt.

Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg gibt sie seither keinen Grund, daran etwas zu ändern. In jedem der fünf Spiele hat die Wolfsburgerin getroffen, war gegen Frankreich zurecht „Spielerin des Spiels“. Ihre Entschlossenheit und Wucht im Abschluss, die Intensität, mit der sie sich in die Spiele beißt und der Spaß, den sie ganz offensichtlich an dieser EM hat – die 31-Jährige zeigt sich in bestechender Form. Voss-Tecklenburg hatte schon in der im Februar erschienenen NDR-Doku gesagt: „Poppi stirbt für die anderen auf dem Platz. Ich bin der festen Überzeugung, dass man Turniere nur mit Typen gewinnen kann.“ Sätze, die heute fast prophetisch klingen.

Popp auch beim VfL im Sturm? So sieht’s der VfL-Coach

Dabei ist der Angriff gar nicht mehr das Haupt-Habitat der Wolfsburgerin, die sich beim VfL meist im defensiven Mittelfeld zerreißt, Löcher nach hinten stopft und nach vorne reißt oder sich aufopfert – wie gegen Frankreich in Minute 58. Und doch führt sie als DFB-Stürmerin mit der Engländerin Beth Mead die Torschützinnenliste an, am Sonntag kommt es zum Showdown.

VfL-Trainer Tommy Stroot ist sehr angetan von den Leistungen der deutschen Nationalmannschaft um Kapitänin Alexandra Popp.
VfL-Trainer Tommy Stroot ist sehr angetan von den Leistungen der deutschen Nationalmannschaft um Kapitänin Alexandra Popp. © regios24 | Darius Simka

Man darf schon mal fragen, ob der nationale Doublesieger aus Wolfsburg es sich leisten kann, eine der EM-Toptorjägerinnen wieder ins defensive Mittelfeld zu stecken. Stroots Antwort fällt diplomatisch aus. Das kann sie angesichts seines reichhaltigen Offensivangebots um die pfeilschnelle und gleichfalls abgezockte Polin Ewa Pajor aber auch. Auch er staunt über Popps Auftritte im Mutterland des Fußballs. „Das ist toll zu sehen“, so der VfL-Coach, der nachschiebt: „Für uns kommen dadurch einfach noch mehr Möglichkeiten hinzu. So wie ich sie kennengelernt habe, wird sie aber auch auf den anderen Positionen weiter alles reinwerfen.“

Stroot: Deutschland kann England weh tun

Bevor es am Wolfsburger Elsterweg ab dem 11. August mit der Bundesliga-Vorbereitung weitergeht, wartet noch ein letztes Spiel auf Deutschland; das Traumfinale in Wembley. Stroot sagt dazu: „Wenn ich es einer Mannschaft zutraue, England schlagen zu können, dann ist es die deutsche. Weil sie aktuell eine mentale Stärke mitnehmen kann, und eine Überzeugung in sich hat, die den Engländerinnen weh tun kann.“ Und dafür steht Alexandra Popp beim DFB-Team wie keine zweite. Ein letztes Kapitel liegt im Londoner Wembleystadion noch vor ihr, um diese schönste EM-Geschichte fertigzuschreiben.

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