Orakel 2021: Wolf-Rüdiger Umbach, Präsident des Landessportbundes, sagt ein halbwegs normales Sportjahr mit Fußball-EM und Olympia vorher.

Was bringt 2021 für den Sport? Professor Wolf-Rüdiger Umbach, seit 1996 Präsident des Landessportbundes, hat als Orakel unserer Zeitung schon Routine, er ist von Anfang an dabei und lag meist richtig. Durch Corona ist auch im Sport aber diesmal alles anders und ein sicheres Urteil schwerer denn je.

Herr Professor Umbach, kann 2021 wieder ein halbwegs „normales“ Sportjahr werden?

Wolf-Rüdiger Umbach, Präsident des Landessportbundes, sagt ein halbwegs normales Sportjahr mit Fußball-EM und Olympia vorher.
Wolf-Rüdiger Umbach, Präsident des Landessportbundes, sagt ein halbwegs normales Sportjahr mit Fußball-EM und Olympia vorher. © Bernward Comes

Wenn im ersten Vierteljahr viele Menschen, die gefährdet sind, geimpft werden können und wenn es außerdem möglich ist, bald wieder Breiten- und Leistungssport zu treiben, dann sage ich ja. Zurzeit sieht es ja so aus, als sei es außerordentlich schwierig, die Zahlen runterzubringen. Ich setze große Hoffnung auf den Impfstoff, und die Leute sollten sich auch impfen lassen. Ich sage mal, ab dem zweiten Quartal, wenn auch das Wetter wieder wärmer wird und die Infektionsgefahr zurückgeht, bekommen wir ein halbwegs normales Sportjahr.

Glauben Sie, dass die aus dem Vorjahr verschobenen Höhepunkte Olympia und EM 2021 stattfinden können? Und unter welchen Umständen?

Beide werden stattfinden. Die Verschiebung der Olympischen Spiele hat schon zwei Milliarden Euro gekostet. Man kann sich gar nicht erlauben, sie ausfallen zu lassen, die Kosten sind riesig, und das Geld muss wieder reinkommen. Zuschauer sind bei diesen Großevents nicht so relevant für die Einnahmen. Wobei ich glaube, dass ein gewisses Kontingent an Zuschauern zugelassen wird. In einem halben Jahr wird das möglich sein, auch bei der EM, und das kann man den Athleten ja nur wünschen. Und wenn beide Großereignisse stattfinden, ist es auch wieder ein richtiges Sportjahr, das die Leute mitreißt.

Wird der Glanz dieser Großevents dauerhaft leiden?

Nein. Die Menschen wollen wie im alten Rom Brot und Spiele, also solche Events, die sie unterhalten und die Spannung bieten. Da wartet man ja drauf. Vielleicht müssen noch mehr neue Formen gefunden werden, wie die „Finals“ mit mehreren Europameisterschaften, die 2018 in Glasgow und Berlin stattgefunden haben. Damit Sportarten, die nicht so die Massen anziehen, ein Umfeld erhalten, in dem es mehr Interesse gibt.

Hier geht's zum Podcast: „Orakel 2021“-Podcast: Vom Klassenerhalt bis zu Randsportarten

Im Blick auf Olympia fürchten deutsche Athleten, dass im Corona-Schattendasein wieder mehr gedopt wird. Drohen im großen Stil manipulierte Spiele?

Eine heikle Frage, aber die Befürchtung ist absolut berechtigt. Es gibt keinerlei Beweise, aber die, die manipulieren wollen, finden gute Bedingungen vor. Neutrale Beobachter oder Kontrolleure können ja – beispielsweise nach Russland – gar nicht einreisen. Ich denke, die Gefahr, dass da erheblich manipuliert wird, wo nicht kontrolliert werden kann, ist groß.

Zurück zur Fußball-EM: Erlebt Joachim Löw das Turnier als Bundestrainer?

Ein glattes Ja. Denn es sind vorher ja keine Spiele, er kann nichts verlieren. Bei der WM-Qualifikation haben wir so leichte Gegner bekommen, und diese Spiele sind die EM-Vorbereitung. Was willst du als Bundestrainer gegen solche Gegner falsch machen? Für mich war das 0:6 gegen Spanien ein Tagesereignis, ein Ausrutscher, den man nicht so hoch hängen sollte.

Wie schneidet die Mannschaft bei der EM ab?

Deutschland ist eine Turniermannschaft, auch wenn es 2018 in Russland mal total daneben ging. Im Sturm haben wir richtig gute, schnelle Leute mit Werner, Gnabry und Sané, wir können jeden Gegner schlagen. Der DFB hat das Halbfinale als Ziel ausgegeben, und das sollte auch möglich sein. Dazu müssen wir mit diesen schnellen Leuten auch schnell spielen. Das ständige Hin- und Her- und Zurückspielen ist für die Zuschauer doch eine Katastrophe. Löw muss schnelles Spiel reinbringen und mehr die Standardsituationen üben lassen.

Wie groß werden die Corona-Schäden und -Folgen für den Sport ausfallen?

Als die Corona-Zeit kam, wollten wir vom Land eine Hilfe haben. Da hat das Ministerium gesagt, liefert mir erstmal Zahlen. Darum haben wir Umfragen bei den Vereinen gemacht und elf Millionen Euro Schaden ermittelt. Daraufhin hat das Land 7 Millionen Euro Corona-Hilfe zur Verfügung gestellt, wovon bislang 2,5 Millionen abgeflossen sind. 4,5 Millionen sind also noch da, und wir haben erreicht, dass dieses Geld nun fürs nächste Jahr zur Verfügung steht. Ob das ausreicht, wissen wir noch nicht.

Denn wie groß die befürchtete Austrittswelle bei den Vereinen ist, wird sich erst von Januar bis März zeigen. Bei vielen Klubs konnten Mitglieder erst zum 31.12. austreten. Für den LSB-Haushalt haben wir zunächst fünf Prozent Verlust eingeplant, 500.000 Euro. Aber ob es nicht noch deutlich mehr werden, keine Ahnung.

Die Großvereine, die sich über Kurse finanzieren, werden das größte Minus haben. Aber bei den Vereinen mit bis zu 300 Mitgliedern, das sind 75 Prozent in Niedersachsen, glaube ich nicht, dass es einen größeren Mitgliederschwund gibt. Da geht es familiärer zu, man gehört zu einer Gemeinschaft, da wird oft schon der Säugling im Verein angemeldet und bleibt bis zum Lebensende.

Bislang sind die Austrittszahlen normal, die Vereine bekommen aber keine neuen Mitglieder. Wir müssen die Bestandserhebung abwarten und werden Anfang April wissen, ob die 4,5 Millionen ausreichen, um die Schäden zu beheben.

Viele staatliche Hilfsgelder wurden von den Vereinen gar nicht abgerufen. Ist die Not doch nicht so groß?

In den Richtlinien für die Nothilfe hieß es, man muss „existenziell bedroht sein“. Das haben viele Vereine nicht so eingeschätzt. Aber das kann sich noch ändern. Es muss einfach nur so sein, dass die Einnahmen die Ausgaben nicht decken. Der Text wird nochmal anders formuliert, dann wird es für die Vereine leichter, Geld zu beantragen. Viele machen eine große Veranstaltung im Jahr und finanzieren mit den Einnahmen ein Jahr lang ihren Sportbetrieb. Und wenn diese Veranstaltung wegen Corona ausfallen musste, und die laufenden Kosten nicht mehr gedeckt werden können, kann der Verein Nothilfe beantragen. Aber manche haben eben auch einen gewissen Stolz und sagen, wir kriegen das noch hin.

Zum Spitzensport: Fürchten Sie ein Standortsterben in den Profiligen? Es fehlen ja nicht nur die Zuschauer, sondern ohne Publikum drohen auch die Sponsoren abzuspringen.

Da fehlt mir der Überblick. Es gibt inzwischen überall Livestreams. Aber die Frage ist, was kommt für die Vereine dabei herum, ist das wirklich so lukrativ, dass sie damit ihre Saison gestalten können? Das weiß ich nicht. Viele Profiklubs leben davon, ihre Hallen immer voll zu kriegen. Und dieses Geld fehlt.

Andererseits sind die meisten Profiteams auch Aushängeschilder ihrer Stadt oder Region, sie bringen gewisse Werbeeffekte. Ich glaube nicht, dass etablierte Standorte von der Bildfläche verschwinden. Da wird es Sponsoren geben, die dafür sorgen, dass es in irgendeiner Form weitergeht. Die Vereine können auch ihre Kosten runterbringen, Spieler sind bereit, auf Gehaltsbestandteile zu verzichten. Vieles wird eine Nummer bescheidener werden. Und ich fände es gut, wenn das auch im Fußball passieren würde, dass die Gehälter und Ablösen runtergehen.

Alle Teams wünschen sich sehnsüchtig die Fans zurück. Aber: Werden die überhaupt kommen, sobald die dürfen? Es gibt Theorien, dass es eine gewisse Entfremdung gibt, sogar beim Fußball …

Dass die Zuschauer wieder in voller Stärke kommen, wenn es erlaubt wird, davon gehe ich aus. Dann wird wieder mehr Stimmung herrschen, dann werden mehr Leute mitgerissen, das spricht sich rum. Vielleicht nicht vom ersten Tag an, einige Leute trauen sich nicht und wollen es vorsichtig angehen lassen. Aber irgendwann wird wieder Begeisterung einziehen und die Stadien werden voll sein. Eine Entfremdung im Fußball in Deutschland kann ich mir nicht vorstellen.

Besonders in den olympischen Randsportarten wird ein großes Loch bei Nachwuchs-Spitzenathleten befürchtet, weil Kinder und Jugendliche nun so lange Zeit nicht trainieren können. Eine berechtigte Sorge?

Das kann man schwer sagen. Die Verbände tun viel, um trotz der Einschränkungen Angebote zu machen und die Leute zur Not virtuell an den Sport zu binden. Aber es gibt in unserer Gesellschaft insgesamt schon weniger Kinder, damit ist die Nachwuchsfindung außerordentlich schwierig. Andererseits werden gerade Randsportarten meist nur an wenigen Standorten betrieben, wo sie einen riesigen Stellenwert haben. In einer Badminton-Hochburg spielen die Laute eben Badminton. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das so einfach wegbricht. Aber die Zahlen insgesamt sind eben rückläufig. Selbst Fußball-Dörfer bekommen keine Jugendmannschaften mehr zusammen und müssen Spielgemeinschaften bilden. Das ist leider der Trend.

Was passiert in unserer Region? Überleben alle Spitzenteams, die Großvereine, die kleinen?

Der VfL, Eintracht, Basketball, Eishockey, Handball, Volleyball, die werden alle überleben. Beim Frauen-Basketball sehe ich es kritischer. Die haben es deutlich schwerer, Sponsoren zu finden, das gilt für alle Frauen-Ligen, auch im Fußball. Unsere Großvereine werden ein paar Mitglieder verlieren, aber nicht in ihrer Substanz getroffen sein. Der MTV Braunschweig hat mit 4000 Mitgliedern existiert, und das könnte er auch mit 5000. Vielleicht muss man auf das eine oder andere Schmankerl verzichten. In unserer Region wird kein Verein verschwinden.

Bei Braunschweigs Basketballern ist Braunschweigs NBA-Star und Multimillionär Dennis Schröder als neuer Chef und Geldgeber eingestiegen. So etwas gab es in Deutschland noch nicht. Werden die Löwen davon profitieren können?

Ja, für die Löwen ist das eine tolle Sache, nicht nur wegen des Geldes. Dennis Schröder bringt ja auch ein unheimliches Know-how und jetzt aus den USA auch Netzwerke mit. Allerdings besteht immer eine Gefahr, wenn man zu sehr von einem Sponsor abhängig ist. Wenn der dann die Lust verliert, kann es schnell vorbei sein. Das haben die Braunschweiger ja schon mit Metabox erlebt, die plötzlich selbst in finanziellen Schwierigkeiten waren. Aber die Gefahr sehe ich bei Dennis Schröder nicht. Dass er Trainer Liviu Calin wieder zurückgeholt hat in die Jugendarbeit, finde ich auch gut. Der hat ja offenbar ein Händchen für die Entwicklung von Talenten.

Wie sind die Aussichten für Eintracht Braunschweig? Klappt es mit dem Klassenerhalt? Und wird mit Daniel Meyer wieder Kontinuität ins Traineramt einziehen?

Eintracht hat zu viele Gegentore kassiert, die Abwehr ist jedoch das A und O. Wenn man in jedem zweiten Spiel nach zehn Minuten 0:2 hinten liegt, kann man seine Spielweise nicht vernünftig einrichten. Der Trainer muss schnell Stabilität reinbringen und personelle Kontinuität. Gerade bei der zentralen Achse darf man nicht zu viel wechseln. Da muss Daniel Meyer sagen: das sind jetzt meine Leute und auch zu ihnen halten, wenn sie mal `nen Fehler machen.

Ich halte ihn für intelligent genug, damit er eine Weile in Braunschweig bleibt. Aber im Fußball kommt es auf die Ergebnisse an, da kann der Rest noch so gut sein. Trotzdem ist meine Prognose, dass Daniel Meyer 2021 übersteht. Wenn die Abwehr stabiler wird, hat die Mannschaft gute Aussichten, die Klasse zu halten. Spielerisch ist es nicht so schlecht, was Eintracht macht.

Was passiert auf der Führungsebene? Schafft es der neue Präsident Christoph Bratmann, die Konflikte mit der Fanabteilung zu befrieden?

Christoph Bratmann hat ja angekündigt, dass er sich nur als Übergangspräsident sieht bis zur nächsten Hauptversammlung. Ob das so glücklich war? Ich hätte es so nicht verkündet. Und ich sehe es auch kritisch, was sich da abgespielt hat. Die Fans servieren in Helmut Streiff einen Präsidentschaftskandidaten einfach so ab, der die Möglichkeiten und die Zeit für dieses Amt hat und als JHK-Präsident beste Kontakte in die Wirtschaft, nur weil er ein paar Äußerungen macht, die den Fans nicht gefallen. Damit haben sie den Verein gefährdet, ich war erschüttert.

Ich glaube, dass bei Eintracht die Fans eine viel zu starke Position haben. Dass manche Gruppen glauben, sie müssten im Aufsichtsrat oder im Vorstand mitsprechen, halte ich für eine ganz falsche Entwicklung. Fans sind ja erstmal keine Sportler. Wenn die Idee war, sie zu binden und ruhiger zu stellen, mag das noch vernünftig sein. Aber dass man den Fans ein Mitspracherecht bei wichtigen Vereinsentscheidungen einräumt, halte ich nicht für richtig.

Sie sind nicht kalkulierbar, das hat man ja gesehen, als den Vorstandsmitgliedern die Entlastung verweigert wurde, obwohl sie vernünftige Arbeit gemacht haben. Christoph Bratmann ist ein politisch geschulter Mensch, der kann das vielleicht moderieren. Aber wenn man den Fans nachgibt, gerät man doch in immer größere Abhängigkeit. Diese Entlastung ist jedenfalls dringend erforderlich, und ich weiß nicht, wie Eintracht an dieser Stelle weiterkommen will.

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Schafft es der VfL Wolfsburg wieder in den internationalen Wettbewerb und dann auch über die Qualifikation hinaus?

Die Wolfsburger spielen ja unglaublich stabil diese Saison. Wenn sie im Sturm noch etwas treffsicherer wären, wären sie noch besser. Ich bin ich mir relativ sicher, sie werden den internationalen Wettbewerb erreichen. Die Top-Vier mit Bayern, Leipzig, Leverkusen und Dortmund sind einfach outstanding. Also wird es wahrscheinlich die Europa League, und da geht es nach der Enttäuschung in diesem Jahr dann von Platz fünf ohne Qualifikation direkt in die Gruppenphase. Und bei guter Auslosung können sie die auch überstehen.

Können die Wölfinnen trotz der klaren Niederlage gegen Bayern München doch noch ihr nationales Double wiederholen? Und wie schneiden sie international ab? Kann der Frauenfußball dort Boden gutmachen?

Es ist ein kleiner Umbruch in Gang bei den VfL-Frauen. Sie haben wichtige Spielerinnen verloren. Da ist es schwer, den Rückstand zu den Bayern aufzuholen, ich denke, die werden diesmal Meister. Für einen Champions-League-Platz wird es beim VfL aber auf jeden Fall reichen. Dass der deutsche Frauenfußball international wieder aufholt, glaube ich allerdings nicht. In anderen Ländern spielt er eine andere Rolle.

Könnte es 2021 auch Corona-Gewinner im Sport geben?

Amazon ist der Corona-Gewinner schlechthin, aber so etwas sehe ich im Sport nicht. Es gibt Vereine, die ihre Mitglieder mit kreativen Angeboten oder E-Sport begeistern und einige dazugewinnen. Aber Gewinner? Der Zusammenhalt zwischen Leidensgenossen ist immer besser, als wenn manche auf einer Erfolgswelle reiten. Und es ist ja eine Leidensgemeinschaft derzeit in vielen Ligen. Sogar im Fußball werden die TV-Gelder ein bisschen gleicher verteilt, das ist ein Weg in die richtige Richtung. Aber unter dem Strich klafft der Wettbewerb durch die Champions League doch immer weiter auseinander.

Wenn es also im Sport ein bisschen mehr Solidarität gäbe und die Reichen etwas an die abgeben würden, die es schwerer haben, weil sie aus kleineren Städten kommen und kleinere Stadien haben, wenn weniger das Kirchturmdenken vorherrschen würde, dann wäre das eine sehr positive Corona-Folge.