Kitzbühel. Der 24-Jährige gewinnt sensationell die schwerste Abfahrt der Welt. Den letzten deutschen Sieg gab es 1979.

Die goldene Gams verpflichtet, das muss ein Streif-Sieger sehr schnell erfahren. Thomas Dreßen hat nach einem sehr bewegten Tag mit dem historischen Triumph auf der spektakulärsten Abfahrt der Welt einen anstrengenden Abend hinter sich. Geendet hat die Feier in der Nacht oder vielleicht auch erst am frühen Morgen im legendären Pub „The Londoner“. Ob Dreßen sich wie einst regelmäßig die „crazy Canucks“, die verrückten Kanadier um Ken Read und Steve Podborsky am Mobiliar der Kneipe vergriffen hat, ist nicht überliefert. Aber die für den Abfahrts-Helden des Hahnenkammrennens obligatorische Lokalrunde hat er jedenfalls ausgegeben.

Den Party-Marathon hat der 24-Jährige vom SC Mittenwald, so ist zu hören, ziemlich gut bewältigt. „Ich glaube, das gehört dazu“, sagte er. Dass das nicht alles ist, was sich im Sportlerleben des Thomas Dreßen mit der Fahrt auf der Streif ändern wird, hat am Samstag im Zielraum sein Vorgänger als deutscher Hahnenkammsieger bereits angedeutet. Sepp Ferstl war wie jedes Jahr als Gast beim Hahnenkammrennen geladen und fieberte auf der Tribüne zunächst mit Dreßen, und später natürlich auch mit seinem Sohn Pepi. „Jetzt geht’s ja erst richtig los. Das ist ein armer Hund, weil er alles durchmachen muss“, sagte Ferstl, der 1978 und 1979 die prestigeträchtige Abfahrt gewonnen hatte. „Das ist ein Mythos, der mir immer noch nachrennt.“

Dreßen ist ein Sieg für die Ewigkeit gelungen. Es spielte keine Rolle, dass er etwas profitiert hat von der Sonne, die kurz vor seinem Start hinter den Wolken herkam. „Er hat wirklich eine gute Fahrt gemacht und durchgezogen, dass muss man einfach so anerkennen“, sagte der Schweizer Beat Feuz, den der Deutsche vom ersten Platz verdrängt hatte.

„Das hat einen Nachhall“, sagt Wolfgang Maier, Alpinchef im Deutschen Skiverband und glaubt sogar: „Die Olympiasieger sind bei weitem nicht so bekannt wie die Kitzbühel-Sieger.“ Aber vor allem hat Dreßen ein Signal für die bevorstehenden Olympischen Spiele gesendet. „Das lässt sich jetzt nicht wegdiskutieren, wenn du Kitzbühel gewinnst unmittelbar vor Olympia, dass du dann einer der Favoriten bist“, weiß Cheftrainer Mathias Berthold.

Dreßen schaffte schneller als viele seiner Alterskollegen den Anschluss an die Weltelite und etablierte sich schon in seiner zweiten Saison im Kreis der Besten als Dritter von Beaver Creek und Fünfter von Wengen in der vergangenen Woche. Berthold lobt Dreßens Fähigkeit, schnell zu lernen und Dinge umzusetzen, die wichtig sind. Trotzdem schien ihm für einen Coup auf der Streif noch Erfahrung zu fehlen. Mit Ausnahme von Domink Paris, der 2013 als 23-Jähriger gewonnen hatte, war in diesem Jahrtausend kein Fahrer jünger als der Deutsche.

Als Dreßen nach knapp zwei Minuten Fahrzeit am Samstag im Ziel abschwang, dachte er beim ersten Blick auf die Zeittafel zunächst, „die wollen mich verarschen.“ Er kapierte aber schnell, dass ihm tatsächlich Historisches gelungen war, er hatte sogar noch Energie für einen Begeisterungsausbruch. Er schrie seine Freude heraus, ehe er in die Knie ging und kurz innhielt. Es war der Moment, wie er später zugab, an dem er an seinen Vater dachte. Der ist 2005 bei einem Seilbahnunglück in Sölden ums Leben gekommen. Der damals zwölfjährige Thomas hatte damals weitergemacht, für den Vater, der auch sein Trainer gewesen war. „Aber der Dank geht nicht nur nach oben, sondern auch zu meiner Mama. Wenn die mich nicht so unterstützt hätte und hinter mir gestanden wäre, wäre ich jetzt nicht da.“ Seit Samstag ganz weit oben, beinahe im Ski-Olymp.

Endstand: 1. Thomas Dreßen (Mittenwald) 1:56,15 Min.; 2. Beat Feuz (Schweiz) +0,20 Sek.; 3. Hannes Reichelt (Österreich) +0,41; 4. Vincent Kriechmayr (Österreich) +0,46; 5. Marc Gisin (Schweiz) +0,68; 6. Andreas Sander (Ennepetal) +0,74; ... 20. Josef Ferstl (Hammer) +2,49; 37. Manuel Schmid (Fischen) +3,53