Carolinensiel. Die Friesengeistmeile gilt als Höhepunkt des Wintermarkts im Ort an der Nordsee. Die kultige Tradition lockt viele Besucher an.

Ortsbrandmeister Jens Fremy kennt auch im zwölften Einsatzjahr kein Pardon: „För de Jugendfüerwehr is dat nix“, sagt der Ortsbrandmeister mit einem Augenzwinkern. Fremy setzt im ostfriesischen Carolinensiel beim wohl skurrilsten Feuerwehreinsatz der Republik zwischen Weihnachten und Silvester ganz auf bewährte Routine. Gestandene Frauen und Männer entsprechen eher seinem Anforderungsprofil für den Großeinsatz an der Friesengeistmeile am 29. Dezember.

Bis es ans „Löschen“ geht, ist aber noch Einiges zu tun. Zu beiden Seiten des historischen Hafens werden lange, schmale Tischvorrichtungen aufgebaut, auf denen dann die Holzschuhe mit den Friesengeistgläsern abgestellt werden. Da – wie jedes Jahr – eine neue Welt­rekordfriesenmeile erwartet wird, müssen es mehr als 131 Meter sein, denn dies ist der aktuelle Rekord.

Was vor zwölf Jahren entstand, war im wahrsten Sinn des Wortes eine „Schnapsidee“. Damals war die „Meile“ nur gut 30 Meter lang, heute ist sie nicht nur deutlich länger, sondern mittler­weile auch Kult. Neben langjährigen Stammgästen möchten inzwischen auch neugierige Besucher aus ganz Deutschland aktiv dabei sein und selbst Teil der Meile werden.

Voraussetzung für das kultige Spektakel ist der Kauf eines Holzschuhs, in den entweder zwei oder sechs Gläser passen. Echte Friesengeistenthusiasten lassen sich auf ihrem Schuh natürlich jedes Jahr eine neue Gravur einbrennen.

Zu beiden Seiten des Hafens werden lange, schmale Tische aufgebaut, auf denen dann die Holzschuhe mit den Friesengeistgläsern abgestellt werden.
Zu beiden Seiten des Hafens werden lange, schmale Tische aufgebaut, auf denen dann die Holzschuhe mit den Friesengeistgläsern abgestellt werden. © Christian Nowak/www.srt-bild.de | Christian Nowak

Wenn es dunkel wird, stehen die Menschen dann dicht gedrängt an den langen Tischen und warten darauf, dass ihre Gläser mit Hochprozentigem gefüllt werden. So bleibt genug Zeit für ein Schwätzchen mit dem Nachbarn, alle sind gut drauf, und es herrscht eine friedliche, fast mystische Stimmung.

Gegen 18.30 Uhr brennt dann der Friesengeist in allen Gläsern, alle Anwesenden murmeln andächtig den obligatorischen Trinkspruch: „Wie Irrlicht im Moor, flackert’s empor, lösch aus, trink aus, genieße leise, auf echte Friesen­weise, den Friesen zur Ehr, vom Friesengeist mehr.“

Die Legende vom Friesengeist beginnt im nahen Torfmoor

So ist es seit 50 Jahren in Friesland Tradition. Danach steht man noch einige Zeit zusammen, plaudert mit dem Nachbarn, schlendert über den Wintermarkt oder geht in einem der Restaurants essen – und freut sich schon auf das nächste Jahr im winterlichen Caro­linensiel, um Teil des hoffentlich nächsten Rekords zu sein.

Jedes Restaurant und jede Kneipe in Ostfriesland hat den Friesengeist auf der Karte. Wer einen bestellt, der bekommt das Glas mit dem Hochprozentigen auch überall in einem Holzschuh serviert. Während die Bedienung den klaren Kräuterschnaps mit der streng geheimen Kräutermischung entzündet, sagt sie den Trinkspruch auf. Nur mit dem Ritual ist der Genuss perfekt.

Beim Torfstechen wurde angeblich ein Fässchen Schnaps gefunden

Erfunden hat den Friesengeist in den 1950er-Jahren Johann Eschen, der damalige Inhaber des Hotels Friesenhof im Ort Wiesmoor. Angeblich hat er beim Torfstechen im Moor ein kleines Fass mit schwarzgebranntem Schnaps gefunden. Dessen Inhalt schmeckte ihm so vorzüglich, dass er jahrelang herumexperimentierte, bis er schließlich hinter das Geheimnis des Geschmacks und der Ingredienzien kam.

Den edlen Tropfen schenkte er in seiner Gaststätte aus, nannte ihn anfangs „Geist vom Friesenhof“, später „Friesengeist“. Ob er sich den Fund des Fässchens nur ausgedacht hat? Falls ja, war es ein genialer Einfall, denn bald verkaufte er den Friesengeist auch außerhalb Ostfrieslands, sogar nach Dänemark, Schweden, Frankreich und den Niederlanden.

Voraussetzung zur Teilnahme ist der Kauf eines Holzschuhs, in dem die Gläser serviert werden. .
Voraussetzung zur Teilnahme ist der Kauf eines Holzschuhs, in dem die Gläser serviert werden. . © Christian Nowak/www.srt-bild.de | Christian Nowak

In den meisten alten Sielhäfen entlang der ostfriesischen Küste ist in der Winterzeit nur wenig los. Anders in Caro­linensiel, da ist Hochsaison, und das nicht nur wegen der Friesengeistmeile. Schon seit 25 Jahren schwimmt zur Adventszeit ein stattlicher Weihnachtsbaum auf einem Ponton im Museumshafen.

Vor gut zehn Jahren beschloss man, vom ersten Adventswochenende bis ins neue Jahr den kleinen Ort rund um den Hafen in ein Lichtermeer zu verwandeln. Vom Museumshafen über die zwei Kilometer lange Harle-Promenade und bis zum Harlesiel wurden Bäume und Häuser mit Lichterketten geschmückt.

Die stimmungsvolle Kulisse kann man seitdem alljährlich in der Weihnachtszeit zudem auch noch besonders gut vom Wasser aus bei Glühwein und Grog an Bord des Raddampfers „Concordia II“ erleben.

Mit dem Weihnachtsbaum kommt auch der Wintermarkt in den Museumshafen. Rund zwei Dutzend Buden reihen sich dann zu beiden Seiten des Wassers und tauchen den Hafen bei Dunkelheit in ein warmes Licht. Bratwurst, Fischbrötchen, Glühwein, Grog und Friesengeist sorgen für das leibliche Wohl. Fehlen dürfen natürlich auch die frisch ausgebackenen Prülkers nicht. Immer der Nase nach, dann kann man das ostfriesische Hefegebäck, das andernorts als Ochsenaugen oder Krapfen bekannt ist, nicht verfehlen.

Von hier aus fahren die Fähren zu den Inseln

Carolinensiel-Harlesiel ist wegen seiner drei Häfen einmalig an der Nordseeküste. Vom Außenhafen legen die Fähren zur Insel Wangerooge ab, nehmen die Krabbenkutter Kurs auf die Fanggründe und starten die Ausflugsschiffe zu den Seehundbänken. Landeinwärts an der Harle kommt man zum Yachthafen und zum Museumshafen, dem Schmuckstück der Stadt.

Eingerahmt von typischen Friesenhäusern liegen dort historische Segelschiffe vor Anker, die von ihren Besitzern liebevoll in Schuss gehalten werden. Rund um den Alten Hafen befindet sich in drei Häusern das Deutsche Sielhafenmuseum.

Im Groot Hus, einem ehemaligen Kornspeicher, erfährt man alles über Siele, Häfen, Deiche und Küstenfischerei, im Kapitänshaus geht es um das Leben an Land und in der Alten Pastorei um die teils längst vergessenen Handwerke, die nötig sind, um einen Sielhafen am Laufen zu halten.

Tipps & Informationen

Die Anreise mit dem Auto über Hannover und Bremen dauert etwa fünfeinhalb Stunden. Per Bahn ist der Weg etwas umständlich, selbst bei der besten Verbindung muss man dreimal – in Hannover, Bremen und Norden – umsteigen und braucht knapp sieben Stunden.

Seinem Namen alle Ehre macht beim Übernachten das Hotel Erholung. Hier gibt es maritimes Ambiente mit Blick auf Hafen, Weihnachtsbaum und Friesengeistmeile. Doppelzimmer ab
69 Euro, Am Hafen Ost 5, 26409 Nordseebad Carolinensiel, Tel. 04464/310.

Der Wintermarkt beginnt am 1. Dezember um 12 Uhr und ist von da an
bis Anfang Januar immer donnerstags bis sonntags geöffnet. Es gibt viele kulinarische und winterliche Angebote am Museumshafen in gemütlicher Atmosphäre. Die Friesengeistmeile wird am 29. Dezember mit einem neuen Rekordversuch veranstaltet. Am Nachmittag sind die Holzschuhe für den Friesengeist am Service-Stand auf dem Wintermarkt erhältlich. Beginn der Meile ist ungefähr 18 Uhr.www.lichtermeer-carolinensiel.de

Weitere Auskunft gibt es bei der Tourist-Information, 26409 Nordseebad Carolinensiel, Nordseestr. 1, Tel. 04464/949 30.

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch PRaffairs.)