Paris. Firmenchef Louis Renault führte die Marke mit dem Rhombus zu weltweitem Renommee. Bis heute bewahren die Gallier ihre Kreativität.

Gesellschaftsfähig wurde das Automobil einst durch geniale gallische Konstrukteure wie Louis Renault, der sein globales Industrieimperium aus dem Nichts aufbaute. Was vor 120 Jahren in einem Holzschuppen in Boulogne-Billancourt mit der Entwicklung des Direktantriebs für eine kleine Voiturette begann, wurde innerhalb weniger Jahrzehnte eines der größten Industrieunternehmen.

Renault hatte das richtige Gespür für gesellschaftliche Trends, eroberte ab 1905 den Taximarkt, kurbelte mit Rennerfolgen das Geschäft an, konkurrierte ab 1919 mit Citroën um die Vorherrschaft in der Fließbandproduktion, ­lieferte Luxuskarossen für Politik und Prominenz und präsentierte 1937 mit dem Juvaquatre einen zukunftsweisenden Kleinwagen.

Nach Louis Renaults Tod wurde das Unternehmen 1945 verstaatlicht, was die Kreativität der Renault-Konstrukteure aber noch zu beflügeln schien. Die Marke mit dem Rhombus wurde auch in Deutschland zeitweise zum größten Importeur – kultige Kisten wie der Renault 4 und raffinierte Fünftürer wie der Renault 16, aber auch Kleine in Pariser Couture wie R5 und Monospace wie Twingo und Espace schickten die Franzosen auf einen Höhenflug. Grandios gescheitert ist der 1996 reprivatisierte Konzern nur in der Luxusklasse. Größe zeigen gelingt Renault besser durch ­Kooperationen, wie die Renault-Nissan-Allianz demonstriert. Den Geist der Avantgarde hat Renault elektrifiziert – als größter europäischer E-Auto-Bauer.

Diese Zahlen hätten Louis Renault gefallen: 120 Jahre nachdem der visionäre Tüftler und Techniker seine gesamten Ersparnisse einsetzte, um einen dreirädrigen De-Dion-Bouton zur vierrädrigen Renault Voiturette mit patentierter Technik zu transformieren, produziert Renault heute jährlich in 36 Werken rund 2,7 Millionen Fahrzeuge. Das Streben nach Fortschritt durch weltweites Wachstum stand schon bei dem Firmengründer im Fokus, und tatsächlich hatte Louis Renault dabei erstaunliche Fortune.

Oberklassemodelle waren in den 20er-Jahren ein Inbegriff luxuriöser Avantgarde

Seine Taxiflotte prägte schon 1907 das Straßenbild in London und New York, bevor die Droschken im Ersten Weltkrieg als sogenannte Marne-Taxis die französischen Truppen an die Front transportierten. In Deutschland zeigte Renault ab 1907 mit eigener Niederlassung Präsenz – früher als alle anderen bis heute aktiven Importeure. In mehreren europäischen Ländern genügte das nicht, dort sicherte sich Renault schon vor 1914 den Status eines einheimischen Unternehmens durch eigene Montagewerke.

Dazu zählte sogar Russland, denn ebenso wie der japanische Kaiser präferierte der Zar die stilprägenden Repräsentationslimousinen à la française. Tatsächlich waren Renault-Oberklassemodelle in den 1920er- und 30er-Jahren ein Inbegriff luxuriöser Avantgarde, die gegen konservative Rolls-Royce oder Maybach Erfolge erzielten.

So wurden die Achtzylinder-Limousinen 40 CV unter dem Slogan „Schneller als ein Flugzeug“ beworben, und die im Schwung des Art déco gezeichneten ­Renault Suprastella und Reinastella glänzten auf Concours d’Elégance.

Louis Renault führte in Europa die Fließbandfertigung ein

Auf der anderen Seite expandierte Renault durch populäre Kleinwagen wie den schnellen Vierzylinder 10 CV, der 1922 den Nord-Express auf der Strecke Paris–Warschau durch eine Rekordzeit deklassierte und kompakte Autos für die Massen bezahlbarer machte. Als erster europäischer Generalist führte Louis Renault die effiziente Fließbandfertigung nach US-Vorbild ein, und sein Stammwerk Billancourt wurde in den 30er-Jahren Vorbild für viele andere Volumenhersteller.

Gleiches galt für wegweisende Großserienmodelle wie den 1937 präsentierten kleinen Renault Juvaquatre mit selbsttragender Karosserie und Einzelradaufhängung, der als Kombi Dauphinoise bis 1960 aktuell blieb.

In jenem Jahr hatte Renault die tiefste Zäsur in der Unternehmensgeschichte bereits überwunden. Bei Kriegsende war der Konzern nationalisiert worden und musste sich auf wenige Modelle konzentrieren: Dennoch wurden der knuffige Heckmotor-Kleinwagen 4 CV – von seinen deutschen Fans „Cremeschnittchen“ genannt – und die 1956 lancierte, etwas größere Dauphine globale Bestseller.

Der Renault 12 legte das Fundament für die spätere Tochter Dacia

Mission erfüllt, freuten sich Louis Renaults Nachfolger, denn Devisenbeschaffung für die Grande Nation war in den Jahren des wirtschaftlichen Wiederaufbaus Pflicht für den Staatskonzern.Selbst in Nordamerika konnten die französischen VW-Käfer-Konkurrenten kurzzeitig reüssieren, und in Deutschland hatte Renault mit den formschönen und erschwinglichen Viertürern die Pole-Position im Importsegment im Visier.

Ein Ziel, das endgültig nach den umwälzenden 1960er-Jahren erreicht wurde. Es war eine Dekade der Verwerfungen, in der Renault durch die unkonventionellen Typen R4 und R16 mit Frontantrieb und Heckklappe zukunftsweisende Zeichen setzte, die vom 1972 lancierten Renault 5 in poppigen Farben und mit pfiffigen Plastikstoßfängern auf Cityflitzer übertragen wurden.

Zeitgleich legte der 37 Jahre lang gebaute Renault 12 das Fundament für die spätere Renault-Tochter Dacia. Sogar Ford bediente sich in Südamerika der Renault-12-Architektur, und als Gordini belebte die Stufenhecklimousine das Sportgeschäft. Mit 1,8 Millionen Einheiten pro Jahr war Renault Ende der 70er-Jahre einer der führenden Autobauer und auf scheinbar endlosem Höhenflug.

Globalisierung war Renaults Devise im 21. Jahrhundert

Aber auch kreative Unternehmen bleiben von Krisen nicht verschont. Bei Renault war es die Rückkehr in die Oberklasse, die weder mit dem mutigen Renault 30 noch mit den gewagten Typen Vel Satis und Avantime gelingen wollte. Der Espace wurde ab 1984 der Begründer des europäischen Van-Segments, brauchte aber Zeit, bis seine Idee zum Trend wurde, und die Marke hatte auch noch mit Qualitäts­problemen zu kämpfen. Nachhaltig aufwärts ging es erst wieder in den 90er-Jahren. Damals wurde der kleine Twingo Kult, der Kangoo führte das Konzept des R4 in die Gegenwart und Clio und Mégane brachten Charme in die kompakten Klassen.

Für Familien und Freizeitgesellschaft hatte Renault den Laguna sowie eine große Van-Flotte im Programm. „Es lebe die Avantgarde“, textete die Renault-Werbung, und tatsächlich schien das wieder privatisierte Unternehmen perfekt präpariert für das neue Jahrhundert, wie die auf 2,4 Millionen Einheiten steigende Produktion unterstrich. Globalisierung lautete die Devise für Renault im 21. Jahrhundert, und so erfolgten 1999 die Allianz mit Nissan sowie die Übernahme von Dacia. Renault Samsung in Korea wurde gegründet und eine Partnerschaft mit Lada kommuniziert, seit 2016 zählt Mitsubishi Motors zur Renault-Nissan-Allianz. Trotzdem blieb sich Renault treu, mit erfinderischem Esprit wie am Anfang unter Louis. Nicht Elon Musk, sondern elektrifizierte Renault-Modelle führten Europa in die nächste automobile Revolution.