Berlin. Extremisten lieben Messenger-Dienste. Auf die verschlüsselte Kommunikation dort soll der Verfassungsschutz nun stärker zugreifen dürfen. Der Preis dafür sei zu hoch, warnen Kritiker.

Der Inlandsgeheimdienst bekommt mehr Rechte zum Zugriff auf die Telekommunikation. Die entsprechende Novelle des Verfassungsschutzgesetzes passierte am Donnerstag den Bundestag.

Es gab 355 Ja-Stimmen, 280 Nein-Stimmen und vier Enthaltungen. Vertreter von Union und SPD verteidigten die Pläne gegen scharfe Kritik der Opposition.

Künftig soll der Verfassungsschutz Kommunikation über WhatsApp und andere verschlüsselte Messenger-Dienste mitlesen dürfen - falls eine entsprechende Anordnung im Einzelfall erteilt wird. Der Verfassungsschutz, das Bundesinnenministerium und die Innenpolitiker der Unionsfraktion hatten argumentiert, damit wäre der Inlandsgeheimdienst mit seinen Möglichkeiten bloß wieder auf dem Stand angekommen, auf dem er vor der Erfindung von Internet und Mobilfunk war. Damals genügte es, Festnetztelefone abzuhören.

"Extremisten und Terroristen telefonieren nicht mehr miteinander, schreiben sich keine SMS-Nachrichten, sondern kommunizieren verschlüsselt über Messenger-Dienste", sagte der SPD-Abgeordnete Uli Grötsch. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken hatte erst am Vortag per Twitter deutlich gemacht, dass sie die Reform ablehnt.

Die Reform war in der Koalition sehr umstritten. Ein erster Entwurf war den anderen Ministerien bereits im März 2019 zur Stellungnahme übersandt worden. Damals sah er für die Geheimdienste auch noch die Erlaubnis für "Online-Durchsuchungen" vor. Darunter versteht man den verdeckten Zugriff auf Computer, Smartphones und andere IT-Geräte, deren Daten dann ausgelesen werden können. Dieser Passus wurde auf Druck der SPD gestrichen.

Der nun verabschiedete Gesetzentwurf sieht auch einen erweiterten Austausch von Informationen zwischen dem MAD und den Verfassungsschutzbehörden vor. Das soll vor allem helfen, rechtsextreme Bundeswehrangehörige und Reservisten besser als bisher zu identifizieren.

"Der Rechtsstaat muss sich angemessen und entschieden zur Wehr setzen, wenn er im Kern angegriffen wird", sagte der CDU-Abgeordnete Michael Brand. "Alles andere wäre Weimar, und dahin wollen wir nicht zurück." Die demokratische Weimarer Republik konnte sich gegen ihre Feinde nicht wehren und ging unter, als 1933 die Herrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland begann.

Oppositionsvertreter kritisierten die Reform als zu weitreichenden Eingriff in Bürgerrechte. André Hahn von der Linken nannte die Neuerungen verfassungswidrig, Konstantin von Notz (Grüne) "hoch problematisch". Damit wäre nicht ein einziger Anschlag verhindert worden, sagte er. Scharfe Kritik gab es insbesondere an der Nutzung von IT-Sicherheitslücken, so genannten Staatstrojanern. "Ihre Sicherheitspolitik ist selbst ein Sicherheitsrisiko", sagte der FDP-Politiker Stephan Thomae dazu. Kriminelle könnten diese Schwachstellen nutzen, um Firmen zu erpressen und Identitäten zu stehlen, und auch ausländische Nachrichtendienste könnten damit spitzeln. Diese Sicherheitslücken beträfen 82 Millionen Menschen im Land, unterstrich von Notz. Mit Verweis auf die Staatstrojaner lehnt auch SPD-Chefin Esken die Neuerungen ab.

Durch die Reform werden zudem die Hürden für die Beobachtung von Einzelpersonen durch den Verfassungsschutz gesenkt. Damit zieht die Bundesregierung Konsequenzen aus den rechtsextrem motivierten Terroranschlägen in Halle und Hanau. Beide Anschläge waren von Tätern verübt worden, die nach bisherigen Erkenntnissen keiner Gruppierung angehörten.

Aus der Opposition kam vor allem Kritik am geplanten Zugang der Geheimdienste zu verschlüsselten Chats. Die FDP sieht das Risiko, dass das Gesamtmaß staatlicher Überwachung weiter steigt.

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