Berlin. Die Corona-Pandemie ist eine schwere Belastungsprobe für das deutsche Gesundheitswesen - doch was folgt aus akuten Mängeln und Problemen? Die Ärzte wollen über eine Reihe dringender Konsequenzen beraten.

Ärztepräsident Klaus Reinhardt sieht als Lehre aus der Corona-Krise großen Verbesserungsbedarf von Notfallplänen bis zur Pflege - aber auch eine Warnung vor zusätzlichem Kostendruck.

"Wir brauchen eine kritische Analyse der jetzt zu Tage getretenen Schwächen", sagte der Chef der Bundesärztekammer der Deutschen Presse-Agentur. "Der Wert des Gesundheitswesens ist in der Krise aber sehr deutlich geworden." Daran sollte man sich erinnern, wenn wieder Debatten darüber geführt würden, wie Strukturen ausgedünnt und auf reine Kosteneffizienz getrimmt werden sollten.

Lehren aus dem Corona-Krisenmanagement sind ein Thema des Deutschen Ärztetages, der an diesem Dienstag als Online-Veranstaltung beginnt. Es sind die ersten großen Beratungen der Ärzteschaft seit Beginn der Pandemie, nachdem der Ärztetag im vergangenen Jahr ausgefallen war.

Reinhardt sagte, Deutschland sei im Kampf gegen Corona "nicht mehr so exorbitant gut, wie es nach der ersten Welle aussah". Und es sei "nicht wahrscheinlich, dass es noch einmal 100 Jahre bis zu einer nächsten größeren Gesundheitskrise dauert". Deutschland müsse sich den Mehraufwand für Reserven an Betten oder Schutzausrüstung leisten. "Es darf nicht wieder so etwas wie im Frühjahr 2020 passieren, als wir nicht einmal Masken und Schutzkleidung hatten." Das werfe auch Fragen auf, wie man bei Produktionskapazitäten unabhängiger vom Weltmarkt werden könne.

In der Alten- und Krankenpflege seien Druck und Personalmangel nicht erst durch Corona entstanden. "Viele Mitarbeiter in diesen Bereichen müssen sich jetzt komplett verausgaben, um die Krise einigermaßen managen zu können." Diese Menschen dürfe die Politik nicht aus dem Blick verlieren. "Sie verdienen eine höhere Wertschätzung, bessere Arbeitsbedingungen und auch eine bessere Bezahlung."

Zu den Gesundheitsämtern sagte Reinhardt, man habe nun die Erfahrung machen müssen, dass der öffentliche Gesundheitsdienst "geradezu kaputtgespart" worden sei. "Das muss dringend umgekehrt werden." Defizite in der digitalen Vernetzung hätten sich als wesentliche Schwachstelle gezeigt. "Und es fehlt Personal." Viele Ämter seien mit viel Improvisationstalent und freiwilligem Engagement unterwegs. Aber darauf könne man nicht grundsätzlich bauen. Nötig sei auch eine bessere Bezahlung der Ärzte, vergleichbar mit der an Kliniken. Vorgesehene Milliardenhilfen des Bundes dürften nicht verpuffen.

Wichtig sei auch, dass Gesundheitsämter stärker abgestimmt agieren, forderte Reinhardt. "Entscheidungen etwa über Hygienekonzepte waren in angrenzenden Kommunen oder großen Städten mit mehreren Bezirken zum Teil sehr unterschiedlich. Da fragen sich Bürger natürlich, wie es nun eigentlich richtig ist." Katastrophenpläne und Vorgaben für Krisenstäbe müssten standardisiert und laufend aktualisiert werden. "Der Ernstfall muss regelmäßig geübt werden."

Bei den Krankenhäusern sei es wichtig, Kooperationen stärker zu fördern. Dafür müssten Kommunen und Länder bei Standortplanungen auch über Landesgrenzen hinweg schauen. "Darin haben wir leider wenig Tradition. Aber es ist nach der Krise vielleicht der Moment gekommen, dass man dieses Thema endlich sachorientiert und nicht mehr interessengeleitet diskutiert." Es sollte möglich sein, dass ein Landkreis zugunsten eines benachbarten nachgibt, wenn dort modernere Einrichtungen sinnvoll ausgebaut und alle Beschäftigten an diesem Ort konzentriert werden könnten.

"Wir müssen Synergieeffekte nutzen, ohne Personal einzusparen oder sogar Betten abzubauen", sagte Reinhardt. "Das können wir uns in einer älter werdenden Gesellschaft nicht leisten."

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