Berlin. Wegen eines Warnstreiks steht der öffentliche Nahverkehr vielerorts still. Manche Schüler dürfen deshalb sogar zu Hause bleiben. Der Gewerkschaft geht es um bessere Arbeitsbedingungen, aber auch um eine solidere Finanzierung des ÖPNV. Die Arbeitgeber bleiben hart.

Viele Berufstätige haben sich am Dienstag nach anderen Verkehrsmöglichkeiten für den Weg zur Arbeit umsehen müssen: Busse und Bahnen standen wegen eines bundesweiten Warnstreiks in zahlreichen Städten still.

Betroffen waren etwa Berlin, Hamburg, die Region Hannover, Magdeburg, Kiel und Erfurt. Auch in München, Konstanz und Freiburg waren Beschäftigte im öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) dazu aufgerufen, die Arbeit niederzulegen. Die Betriebe empfahlen ihren Kunden, am Morgen auf nicht erforderliche Fahrten zu verzichten und auf andere Verkehrsmittel umzusteigen.

Auch in Nordrhein-Westfalen blieben vielerorts Busse und Straßenbahnen im Depot. Der S-Bahn- und der Regionalverkehr zwischen den Städten war allerdings nicht betroffen. Ähnlich war die Lage in Berlin, wo S- und Regionalbahnen weiterhin fuhren. In Mecklenburg-Vorpommern wiederum waren Schüler mit langem Schulweg wegen des Warnstreiks am Dienstag sogar vom Unterricht befreit, wenn ihr Bus oder ihre Straßenbahn nicht fährt. Die Dauer der Aktionen war von Ort zu Ort unterschiedlich. In Berlin ruhte die Arbeit für rund neun Stunden bis zum Mittag, in Brandenburg wiederum sollte 24 Stunden gestreikt werden.

Mit den Warnstreiks will der Verdi-Bundesverband bundesweite Verhandlungen über einen einheitlichen Tarifvertrag für die rund 87.000 Beschäftigten im ÖPNV durchsetzen. Derzeit werden in den 16 Bundesländern jeweils eigene Tarifverträge mit den kommunalen Arbeitgeberverbänden ausgehandelt. Dabei haben sich aus Sicht der Gewerkschaft viele Regelungen auseinander entwickelt, etwa was Arbeits- und Urlaubszeiten angeht. Die regionalen Verträge sollen deshalb um eine bundesweite Tarifregelung ergänzt werden.

"Der ÖPNV ist völlig unterfinanziert", sagte die stellvertretende Verdi-Bundesvorsitzende, Christine Behle, am Dienstag bei einer Kundgebung der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) in Berlin. "Das ist ein strukturelles Problem, viele Kommunen haben kein Geld." Im Bündnis mit den Klimaaktivisten von Fridays for Future (FFF) gehe es deshalb auch darum, die Finanzierung des ÖPNV bundesweit neu zu regeln.

Für FFF spielt der Ausbau des ÖPNV im Kampf gegen die Klimakrise eine zentrale Rolle. "Wir schaffen den Ausbau aber nicht, wenn die Arbeitsbedingungen nicht attraktiv sind", sagte Sprecherin Helena Marshall am Dienstag in Berlin.

Die Betriebe finanzieren sich in der Regel zur Hälfte über den Verkauf von Fahrkarten und Abos. Die andere Hälfte kommt von den Kommunen, die dafür wiederum über die sogenannten Regionalisierungsmittel Geld vom Bund erhalten. In der Corona-Pandemie hatten Bund und Länder zugesagt, die hohen Verluste der Betriebe mit jeweils 2,5 Milliarden Euro auszugleichen. "Dadurch bleibt aber die finanzielle Lage auf dem gleichen schlechten Niveau wie vor der Krise", stellte Behle fest.

Die Arbeitgeberseite hatte Verhandlungen über einen bundesweiten Tarifvertrag zuletzt mit der Begründung abgelehnt, dass bei den gleichzeitig stattfindenden regionalen Tarifverhandlungen die gleichen Themen behandelt würden. Die Warnstreiks verurteilte die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) vergangene Woche als "Anschlag auf die Allgemeinheit". "Wir haben mehrfach deutlich gemacht, dass die VKA nicht zuständig ist, Tarifverhandlungen für den öffentlichen Nahverkehr zu führen. Daran ändert auch ein Warnstreik nichts", teilte die Vereinigung am Dienstag mit.

Der Vorsitzende der Partei Die Linke, Bernd Riexinger, bezeichnete die Ablehnung der Arbeitgeber am Dienstag als "unerträglich". "Aus vielen Gesprächen vor Ort weiß ich: Besonders ärgern sich die Beschäftigten in den öffentlichen Verkehrsbetrieben." Verdi-Vize Behle betonte, die Streiks seien früh angekündigt worden, so dass sich die Fahrgäste rechtzeitig darauf einstellen und nach Alternativen hätten suchen können.

Verdi hat auch im Rahmen des ebenfalls derzeit ausgetragenen Tarifstreits im Öffentlichen Dienst zu Warnstreiks aufgerufen. Beide Arbeitskämpfe würden aber unabhängig voneinander geführt, hieß es. Beim ÖPNV handelt es sich demnach um Spartentarifverträge. In Berlin legten am Wochenende und am Montag Mitarbeiter der Berliner Stadtreinigung die Arbeit nieder. An den großen Berliner Kliniken Charité und Vivantes gab es ebenfalls einen Warnstreik für mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen.

© dpa-infocom, dpa:200929-99-749611/11