Berlin. Auf Kundgebungen gegen die Corona-Beschränkungen werden sie häufig geschwenkt: die schwarz-weiß-roten Reichsfahnen und Reichskriegsflaggen. Die Rufe nach einem Verbot mehren sich. Doch sind die Fahnen wirklich das Problem?

Bilder von aufgebrachten Demonstranten, die vor dem Reichstagsgebäude schwarz-weiß-rote Fahnen schwenken, haben die Republik schockiert und gingen um die Welt.

Auch in Stuttgart wehten Reichsfahnen und Reichskriegsflaggen auf Kundgebungen gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen. Unter denen, die diese Fahnen besitzen, sind viele Reichsbürger, die das System der Bundesrepublik nicht anerkennen, und auch Rechtsradikale.

Die Bremer Innenbehörde hat vergangene Woche beschlossen, die Flaggen aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Laut dem Bremer Erlass "stellt ihre Verwendung in der Öffentlichkeit regelmäßig eine nachhaltige Beeinträchtigung der Voraussetzungen für ein geordnetes staatsbürgerliches Zusammenleben und damit eine Gefahr für die öffentliche Ordnung dar".

Die Polizei im Bundesland Bremen kann die Flaggen nun konfiszieren und die Eigentümer mit einem Bußgeld von bis zu 1000 Euro zur Kasse bitten. Ähnliche Überlegungen gibt es in Thüringen. Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hält ein Verbot für "angemessen".

Die Amadeu Antonio Stiftung, die sich dem Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus verschrieben hat, findet die Flagge zwar auch problematisch. Nach Einschätzung ihrer Experten wird sie gerne von Neonazis als "Ersatzflagge" für die bundesweit verbotene Reichskriegsflagge des NS-Regimes mit Hakenkreuz benutzt. Sprecherin Simone Rafael meint jedoch: "Verbote zeigen Grenzen, was gut ist, lösen aber keine Probleme."

Sie rechnet damit, dass die "rechtsalternative Szene" sich dann eine neue Flagge suchen oder einfach mit der schwarz-rot-goldenen Deutschlandfahne marschieren würde. Daher sei es wichtiger, herauszufinden: "Warum folgen die Menschen diesen wahnhaften Erzählungen, Deutschland sei besetzt und nicht souverän?" Und: "Wie holen wir die Menschen zurück, damit ein Gespräch wieder möglich ist?

Die schwarz-weiß-rote Reichsfahne war zwischen 1871 und 1919 die Flagge des Deutschen Reichs, ab 1892 auch offizielle Nationalflagge des Kaiserreichs. Die Nationalsozialisten übernahmen die Farben ab 1933 wieder. Dazwischen - in der Zeit der Weimarer Republik - waren die Farben des Deutschen Reichs Schwarz-Rot-Gold.

Unter der schwarz-weiß-roten Fahne sammelten sich zu jener Zeit die rechten Gegner der Demokratie, erklärt der Marburger Historiker Eckart Conze. Dabei habe es sich sowohl um Anhänger des autoritären Kaiserreichs als auch Verfechter eines neuen "Führerstaats" gehandelt. In deren Tradition stellten sich auch heutige Rechtsradikale, glaubt Conze.

Die Reichskriegsflagge war die Fahne der Streitkräfte des Deutschen Reiches. Es gibt sie in verschiedenen Variationen. Sie zeigt stets das Eiserne Kreuz, das wichtigste Symbol des preußischen Militärs. Ab 1935 gab es die Reichskriegsflagge außerdem mit Hakenkreuz in der Mitte. Diese Variante ist in Deutschland bundesweit verboten.

Conze, der an der Universität Marburg Neuere und Neueste Geschichte lehrt, spricht sich für eine Einschränkung des Gebrauchs der Fahnen aus. Er sagt: "Im öffentlichen Raum haben sie nichts zu suchen, weil sie für eine radikale Ablehnung und Bekämpfung unserer freiheitlichen Demokratie und ihrer Werte stehen."

Seit den 90er Jahren hat es immer wieder Diskussionen um ein Verbot vor allem der Reichskriegsflagge gegeben. Sie kann laut Verfassungsschutz in bestimmten Fällen sichergestellt werden, zum Beispiel, "wenn die Flagge Kristallisationspunkt einer konkret drohenden Gefahr ist". "Diese Praxis ließe sich sicher auf die schwarz-weiß-rote Reichsfahne ausweiten", schlägt der Historiker vor. Doch auch er weist auf die Grenzen möglicher Einschränkungen hin: "Man darf sich nichts vormachen: Rechtsradikale und rechtspopulistische Gegner unserer Demokratie werden andere Symbole finden, unter denen sie sich versammeln können."

Wenn Rechtsextreme die Reichskriegsflagge zeigten, sei dies Ausdruck einer Glorifizierung der deutschen Streitkräfte sowohl des Kaiserreichs als auch des Dritten Reiches. Die Träger verharmlosten beide Weltkriege und relativierten deutsche Verbrechen während des Zweiten Weltkrieges.

Mathias Middelberg, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, hat kein Problem mit der Flagge an sich, findet es aber "unerträglich, wenn historische Flaggen aus der Kaiserzeit zu antidemokratischen, extremistischen Zwecken missbraucht werden". Ein generelles Verbot dürfte seiner Ansicht nach aber schwierig werden: "Da die Flaggen für sich genommen in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus stehen."

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) steht Überlegungen der Länder mit dem Ziel, das Zeigen der Flagge einzuschränken, aufgeschlossen gegenüber. Er setzt sich für eine bundesweit einheitliche Regelung ein und will das Thema bei der nächsten Innenministerkonferenz von Bund und Ländern besprechen.

Die AfD hält nichts von einem Verbot. Der Innenpolitiker und Bundestagsabgeordnete Martin Hess sieht sich durch die aktuelle Debatte zu den Fahnen in seinem Gefühl bestätigt, "dass gegen Regierungskritiker mit unnötiger Repression vorgegangen wird, während Linksextremisten das Demonstrationsrecht oftmals ungehindert für massive Gewalttaten missbrauchen."

Der FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser hält aus anderen Gründen wenig von Flaggenverboten. "Das Problem sind doch nicht die Flaggen, sondern diejenigen, die sie tragen", sagt er. Die Sicherheitsbehörden bräuchten eine bessere Analysefähigkeit, um Radikalisierung und Mobilisierung zu erkennen. Nur so könne verhindert werden, dass sich "Neonazis in Wolf-im-Schafspelz-Manier als besorgte Bürger" ausgäben und mit ihren Botschaften "ganz normale Menschen" erreichten.

Ute Vogt, innenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, hält die jetzt schon bestehende Möglichkeit, die Fahne unter Berufung auf das Versammlungsrecht einzuziehen, für ausreichend. Die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus sei nur zu gewinnen "mit klarer Haltung für Menschlichkeit und Demokratie".

© dpa-infocom, dpa:200925-99-704404/5