London. Nur eine Parlamentskammer weltweit hat mehr Mitglieder als das britische Oberhaus: der chinesische Volkskongress. Bald dürfte es noch voller werden, denn Boris Johnson wird Freunde und Helfer zu Adligen erheben.

Noch im schmachvollen Abgang dürfte Boris Johnson Großbritannien sein politisches Erbe aufdrücken - und zu verhindern ist das kaum. Politische Weggefährten, loyale Helfer und wichtige Geldgeber sollen Medienberichten zufolge auf Bitten des scheidenden Premierministers ins Oberhaus einziehen. Trotz erheblicher Kritik plant Johnson, vor seinem Abschied aus der Downing Street einer ungewöhnlich großen Zahl sogenannter Peers den Weg ins House of Lords zu ebnen.

Die Spekulationen, wer alles von den «Prime Minister's Resignation Honours» profitiert, ist aktuell das Tuschelthema im politischen London. Mehrere Namen, die schon durchgesickert sind, sorgen für Empörung. In einer Umfrage waren 54 Prozent dagegen, dass Johnson vor seinem Abgang - vermutlich in einem Monat - noch Lords ernennen darf. Nur 13 Prozent halten das für in Ordnung.

Da ist Kulturministerin Nadine Dorries, die wohl loyalste Unterstützerin des konservativen Regierungschefs. Zum Gespött vieler wirft sie sich für ihn auch in die Bresche, wenn es ausweglos erscheint. Genannt wird auch Lubov Chernukhin, Ehefrau eines russischen Ex-Ministers und eine der größten Geldgeberinnen der Konservativen Partei. Der Unternehmer David Ross ist ebenfalls ein wichtiger Spender und arrangierte im Winter 2019 zudem für Johnson und Partnerin einen Luxus-Urlaub in der Karibik.

Als Adlige auf Lebenszeit im Oberhaus

Sie alle könnten bald als Adlige auf Lebenszeit im Oberhaus sitzen - und Einfluss auf die Politik des Vereinigten Königreichs nehmen. Als «lebenslangen Passierschein, um die Gesetze zu beeinflussen, die uns regieren, und exklusiven Zugang zu den Korridoren der Macht» kritisieren Gegner die zweite Parlamentskammer.

Johnson ist beileibe nicht der erste Premierminister, der die «Resignation Honours» - also die «Rücktrittsehren» - nutzt, um Parteifreunde oder enge Mitarbeiter auszuzeichnen. Auch Vorgänger wie Theresa May oder David Cameron hievten Vertraute ins Oberhaus. Doch Kritiker vermuten, Johnson könne das Privileg viel stärker ausnutzen. «Seine bisherigen Ernennungen für diese Kammer und die Art des hastigen Abschieds von seinem hohen Amt sprechen Bände», schrieb Darren Hughes, Chef der Electoral Reform Society, die sich für eine Reform des House of Lords einsetzt, an die Zeitung «Times».

Bereits jetzt verdanken gut zehn Prozent der mehr als 800 Mitglieder in den Lords ihren Posten dem baldigen Ex-Premier. Darunter Johnsons Bruder Jo - Baron Johnson of Marylebone - oder Jewgeni Lebedew, Sohn des russischen Oligarchen Alexander Lebedew, Chef der Zeitungen «Evening Standard» und «Independent» und enger Kumpel des Premiers. Sein schwülstiger Titel: Baron von Hampton im London Borough Richmond upon Thames und Sibirien in der Russischen Föderation.

«Resignation Honours»-Liste sorgt für Unmut

«Boris Johnsons «Resignation Honours»-Liste wird die endgültige Beleidigung sein», warnt die Zeitschrift «New Statesman». «Dutzende Kumpane, Großspender, Brexit-Cheerleader und Schmeichler» könnten in das ehrenwerte Haus einziehen. Schon jetzt hat weltweit nur der chinesische Volkskongress mehr Mitglieder. Das Lobby-Unternehmen CT Group, das dem Tory-Berater Lynton Crosby gehört, hat nun auch vorgeschlagen, Johnson solle bis zu 50 konservative Lords ernennen, um umstrittene Gesetze durchs Parlament zu bringen.

Zwar werden die Debatten im House of Lords nur selten beachtet. Vielen gilt es als historisches Überbleibsel. Doch tatsächlich hat die zweite Parlamentskammer enormen Einfluss. Immer wieder machen die Lords der Regierung das Leben schwer. Mit seinen Ernennungen könnte Johnson die Gewichte verlagern und es künftigen konservativen Premiers erleichtern, konservative Gesetze durchzubringen.

Als Favoritin für die Nachfolge gilt derzeit Außenministerin Liz Truss, die am rechten Rand der Partei verortet wird. Auf der Agenda stehen unter anderem, dass Großbritannien die Europäische Menschenrechtskonvention verlässt, um seine Einwanderungsgesetze noch drastischer verschärfen zu können, oder völkerrechtlich bindende Brexit-Sonderregeln für Nordirland mit einem neuen Gesetz ignoriert.